Gutes Gedicht zum Üben von Gedichtanalysen?


01.08.2020, 23:27

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4 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Wir hatten in einer Arbeit mal "Sachliche Romanze" von Erich Kästner zu analysieren. Ich nehme an, das wird immernoch gelegentlich genommen. Hier hast du es:

Sachliche Romanze

Als sie einander acht Jahre kannten
(und man darf sagen: sie kannten sich gut),
kam ihre Liebe plötzlich abhanden.
Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.

Sie waren traurig, betrugen sich heiter,
versuchten Küsse, als ob nichts sei,
und sahen sich an und wußten nicht weiter.
Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei.

Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.
Er sagte, es wäre schon Viertel nach Vier
und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken.
Nebenan übte ein Mensch Klavier.

Sie gingen ins kleinste Cafe am Ort
und rührten in ihren Tassen.
Am Abend saßen sie immer noch dort.
Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.

Germania46 
Fragesteller
 01.08.2020, 20:56

Danke! Habe dazu mittlerweile eine Analyse geschrieben. Interessantes Gedicht, auch wenn man sich am Anfang fragt, weshalb hier Sachlichkeit und Romantik vereint werden, obwohl das ja eigentlich im Kopf der Menschen eher ein Gegensatz ist..

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Aroanida  01.08.2020, 22:28
@Germania46

Ja, das ist genau der "Catch Phrase" am Anfang. Magst du mir deine Analyse mal schicken? (geht das hier irgendwie per PN?) Ist sie lang?

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Germania46 
Fragesteller
 01.08.2020, 23:54
@Aroanida

Das ist ja lieb, vielen Dank! Leider kann man per PN keine Bilder versenden und ich habe die Analyse auf ein Blatt geschrieben. :/ Ich habe drei Seiten geschrieben. Eigentlich komme ich mit Metren relativ gut klar, aber hier bei dem Gedicht war es etwas schwierig, da ich hier generell auf einen Jambus schließen würde, das sich meiner Meinung nach im vierten Vers aber nicht richtig anhört.. Die Hebung sollte da bei „Stock“ und „Hut“ liegen, nicht bei „ein“

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Aroanida  03.08.2020, 13:39
@Germania46

Ist dir die überzählige Zeile im letzten Vers aufgefallen? Und wie deutest du das?

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Germania46 
Fragesteller
 03.08.2020, 14:37
@Aroanida

Ja, die ist mir aufgefallen. Hmm, im Endeffekt unterbricht dieser Vers das eigentlich so regelmäßige Reimschema von dem sonst fortlaufenden Kreuzreim. Somit beginnt das Gedicht strukturiert und scheinbar vorhersehbar und endet mit etwas Unerwartetem. Genau so ist es ja bei der Beziehung der Beiden. Die ersten acht Jahre sind sie wohl glücklich zusammen und am Ende passiert etwas Unerwartetes (die Liebe kommt abhanden, ähnlich wie das Reimschema). Vielleicht soll der letzte Vers dieses so plötzliche Ende verstärkter darstellen. Macht das Sinn?

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Aroanida  07.08.2020, 22:00
@Germania46

Ist auch eine Idee. Meine Idee war, dass die "überzählige" Zeile den Grund für die Misere benennt. "Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort" -> Einsam zusammen und mangelnde Kommunikation.

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kurz und knackig, ehrlich und witzig ist zb

Eugen Roth mit seinen Gedichten, die alle gleich beginnen

Ein Mensch erblickt das Licht der Welt

Doch oft hat sich herausgestellt,

nach manchem trüb verbrachten Jahr,

dass dies der einzige Lichtblick war.

Oder die ganz schweren Gedichte wie z.B.

Der Panther von Rainer-Maria Rilke

https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Panther

Sozusagen grundlos vergnügt



Ich freu mich, daß am Himmel Wolken ziehen

Und daß es regnet, hagelt, friert und schneit.

Ich freu mich auch zur grünen Jahreszeit,

Wenn Heckenrosen und Holunder blühen.

– Daß Amseln flöten und daß Immen summen,

Daß Mücken stechen und daß Brummer brummen.

Daß rote Luftballons ins Blaue steigen.

Daß Spatzen schwatzen. Und daß Fische schweigen.

-

Ich freu mich, daß der Mond am Himmel steht

Und daß die Sonne täglich neu aufgeht.

Daß Herbst dem Sommer folgt und Lenz dem Winter,

Gefällt mir wohl. Da steckt ein Sinn dahinter,

Wenn auch die Neunmalklugen ihn nicht sehn.

Man kann nicht alles mit dem Kopf verstehn!

Ich freue mich. Das ist des Lebens Sinn.

Ich freue mich vor allem, daß ich bin.

-

In mir ist alles aufgeräumt und heiter:

Die Diele blitzt. Das Feuer ist geschürt.

An solchem Tag erklettert man die Leiter,

Die von der Erde in den Himmel führt.

Da kann der Mensch, wie es ihm vorgeschrieben,

– Weil er sich selber liebt – den Nächsten lieben.

Ich freue mich, daß ich mich an das Schöne

Und an das Wunder niemals ganz gewöhne.

Daß alles so erstaunlich bleibt, und neu!

Ich freu mich, daß ich . . . Daß ich mich freu.

-

Aus: Mascha Kaléko: In meinen Träumen läutet es Sturm.

Die Krücken. von Bert Brecht

Sieben Jahre wollt kein Schritt mir glücken.

Als ich zu dem Großen Arzte kam,

Fragte er: Wozu die Krücken?

Und ich sagte: Ich bin lahm.

Sagte er: Das ist kein Wunder,

Sei so freundlich, zu probieren!

Was dich lähmt ist dieser Plunder.

Geh, fall, kriech auf allen vieren!

Lachend wie ein Ungeheuer

Nahm er mir die schönen Krücken,

Brach sie durch auf meinem Rücken,

Warf sie lachend in das Feuer.

Nun, ich bin kuriert: ich gehe.

Mich kurierte ein Gelächter.

Nur zuweilen, wenn ich Hölzer sehe,

Gehe ich für Stunden etwas schlechter