Frage an Ehemalige DDR-Bürger oder solche, die sich mit der DDR gut auskennen!

16 Antworten

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Der Russisch-Lehrplan an den sogenannten polytechnischen Oberschulen, die jeder normale Schüler durchlief, war sehr anspruchsvoll und für damalige Verhältnisse vorbildhaft. Man kann sogar von einer Korrelation sprechen, nach der die Anzahl der Doppelstunden im Fach Russisch (der Sprache des "Großen Bruders" Sowjetunion) mit Lehrbeginn ab Klassenstufe 5 derjenigen des muttersprachlichen Unterrichts in der Gesamtheit der drei Aspekte D-Orthografie, D-Grammatik, D-Literatur entsprechen sollte. Dennoch war der Lernerfolg, wenn man auf den Durchschnittsschüler blickt, eher mäßig, weil es zum einen als Fleiß-Fach galt, zum anderen sich schon immer die meisten Schüler gen Westen orientierten - was nicht eben dazu motivierte, in der allgemein als aufoktroyiert empfundenen Sprache Russisch mit guten Leistungen und Lernerfolgen zu glänzen. An diesem Punkt kann man den Unterschied zu heute festmachen: die Generation facebook is ambitious to do English Lessons > sa protiwopoloschnostch prepodawanje po russki pristawali k utschenikam ;)

Für den aktuellen Vergleich ist es vielleicht interessant zu wissen, dass das aktuelle Lernniveau im Fachunterricht Russisch als 1. Nebensprache an der Sekundarstufe II (eines normalen, nicht fremdsprachlichen Gymnasiums in den neuen Bundesländern) gegen Ende des neunten Schuljahres ungefähr dem entspricht, was ein Schüler des DDR-Bildungssystems bereits in der siebenten Klasse, also nach zwei Lernjahren im 12./13. Lebensjahr locker beherrschen musste. Es ist allerdings ein Mythos ohne Berechtigung, demzufolge Russisch eine schwierig zu erlernende Sprache sein soll. Es wird situationsgemäß zu recht mit Latein verglichen. Die klare grammatikalische Struktur der slawischen Sprache macht sie wesentlich einfacher erlernbar, als - aufgrund all der exceptions - im Vergleich Englisch als Weltsprache oder - aus Sicht beispielsweise eines Migranten - Deutsch. Wobei der mediale Berieselungsfaktor für letztere seine einmal positive Wirkung entfaltet. Als echte Herausforderung mag vielmehr der Einstieg in die russische Straßensprache gelten.

Der Beweggrund dafür, dass der Russischunterricht nach der Wiedervereinigung seinen Pflichtcharakter verlor ist ungefähr der gleiche, dem zufolge die sächsische Industriestadt Karl-Marx-Stadt in Chemnitz rückbenannt wurde - und zwar durch Bürgerentscheid - entsprechend so, wie es zu Beginn der 90er Jahre für die künftige Gestaltung des fremdsprachlichen Unterrichts, einher gehend mit der Etablierung westdeutscher föderaler Bildungsstrukturen auf dem Gebiet der neuen Bundesländer, in Ausführung kultusministerieller Vorgaben von den ostdeutschen Landesparlamenten abgesegnet wurde. In den Folgejahren haben sich aber recht viele Eltern für den Russischunterricht ihrer Kinder entschieden, was sicher zum Auskommen der engagiertesten Ex-DDR-Russischlehrer beitrug. Inzwischen befindet sich diese Erscheinung deutlich im Rückzug, mit der Konsequenz, dass Schulwechsler mit Russischfach ein Problem mit der adäquaten Fortsetzung ihres Fremdsprachenunterrichts bekommen.

Da ich in eine "Schule mit erweitertem Russischunterricht" ging, also Russisch ab der 3. Klasse lernte, kann ich den Unterricht an normalen Schulen nicht beurteilen. Ich denke, dass man in unserer Schule schon Wert auf gute Russischlehrer gelegt hat. Im Anfang hat mir das Lernen großen Spaß gemacht, deshalb fiel es mir auch nicht schwer. Später bekamen wir 2 Jahre lang einen Lehrer, der kurz vor der Rente stand und den die ganze Sache wohl inzwischen recht kalt ließ (er hatte übrigens, wie ein anderer Lehrer auch, auch Tschechischkenntnisse und stammte vielleicht von dort). Er gab uns immer Aufgaben aus den Lehrbüchern auf, die wir natürlich nicht machten, sondern statt dessen "Stadt, Name, Land" spielten. Bei Leistungskontrollen legten wir die aufgeschlagenen Bücher unter den Tisch und schrieben alles ab.

Dann übernahm uns in der 7. Klasse eine ehrgeizige Lehrerin. Bei ihr konnten wir nicht abschreiben. Die erste Klassenarbeit war verheerend, die beste Zensur war eine 3. Diese Lehrerin hat uns dann getriezt, immer wieder Grammatik mit uns geübt, ebenso das Anwenden des Gelernten (da wir über verschiedene Themen referieren mussten, war die Versuchung groß, alles auswendig zu lernen, aber dabei lernt man die Sprache nicht). Wir haben dann in der 10. Klasse bei der Prüfung relativ gut abgeschnitten, und bei meiner ersten Reise in die damalige Sowjetunion konnte ich mich schon recht gut verständigen. Allerdings merkte ich dort auch, dass mir noch viel fehlte, und seltsamerweise verstand ich von einer Rede, die nach der Ankunft am Freundschaftszug gehalten wurde und viele Phrasen enthielt, mehr als vom normalen Alltagsrussisch.

Bei einer anonymen Umfrage in der 8. Klasse zu unseren Lieblings- und den unbeliebten Fächern schnitt übrigens "Russisch" am schlechtesten ab. Unsere Lehrerin war entsetzt, das in einer Sprachklasse! Aber da kann es ja in den Normalschulen eher noch schlimmer ausgesehen haben. Ich kannte Leute, die bemühten sich, nach der Schule das ganze Russisch schnell wieder zu vergessen.

Kontakte zu Muttersprachlern hatten wir nur einmal über ein organisiertes Freundschaftstreffen in der Garnison. Aber da bekamen wir auch nicht allzu viel zustande (ich denke auch, unser Akzent war zu ausgeprägt und wurde nicht verstanden). Und da sich die jungen Soldaten zu sehr für die Mädchen interessierten und mit einigen bald schon Arm in Arm über das Gelände spazierten, waren wir mit der Kommunikation auch etwas zurückhaltend.

Ersetzt wurde Russisch als 1. Fremdsprache nach der Wende, da dann die Lehrpläne an die westlichen Verhältnisse angepasst wurden.

Claud18  29.01.2011, 16:37

PS: Da sich die slawischen Sprachen mehr oder weniger ähneln, bin ich doch ganz froh über den Russischunterricht, den ich erhalten habe und der mir die Verständigung in vielen osteuropäischen Ländern einfacher macht.

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Der Unterricht war schlecht in meiner Erfahrung. SPrachen ohne Praxis zu lernen ist eh schwierig. Die Leute in der DDR haben schon ein Paar Wörter gelernt, abr das war's auch wenn sie nicht im Kontakt zu Russischsprchigen waren. Ich habe eine Lehrerein erlebt, die hat dauern Russisch und Tschechisch verwechselt. Was sollte man von ihren Schülern erwarten?

nonentity  13.01.2011, 12:05

Das Beispiel "Verwechseln Russich-Tschechisch" ist ein ungeeignetes Beispiel, da es ein Einzelerlebnis ist, das mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat.

Ein studierter Russischlehrer hatte im Studium als Fremdsprache nur das Fach Russisch, so dass ein Verwechseln mit Tschechisch nur so zustande gekommen sein kann, dass diejenige keine ausgebildete Lehrerin war und sie aus Tschechien stammte und Russisch aus anderen "Quellen" kannte.

Solche Lehrer gab es häufig nach der Wende in Bildungseinrichtungen.

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aptem  13.01.2011, 19:43
@nonentity

Das ist ein Erfahrungsbericht und das war gefragt. Ausserdem waren andere Russischlehrer nicht besser. Ich kenn einige Leute aus der DDR, die perfekt Russisch können. Aber aus der Schule haben sie es bestimmt nichht. Es geht nur über Praxis. Die besagte Lehrerin war eine studierte alte Dame, die in vollen Genuss des Russischunterrichts kam in der DDR. Warum soll man hier etwas beschönigen? Die sowjetischen Fremdsprachenlehrer ware auch nicht besser und da habe ich einen umfassenden Vergleich. Ausserdem ging's um die DDR. Ich weiss nicht was nach der Wende war, da bin ich nicht mehr mit Russischlehrern im Osten in Berührung gekommen. Und zu Deinen "Bildungeinrichtungen". Das war die beste Schule der Stadt an der ich Erfahrungen sammeln durfte. Ist später auch ein Gymnasium geworden nach der Wende.

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GTH2014  14.01.2011, 16:45
@nonentity

Russischlehrer in der DDR waren durchweg schlecht. Und haben (es ist guter deutscher Brauch alles besser zu wissen) sogar mit Russen über Grammatik gestritten. Der Vater einer Schulfreundin hat Bücher in Russisch geschrieben und Zehntausende gelesen und die Lehrerin war sich sicher das sie recht hat.

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Die Lehrer waren gut ausgebildet, hatten aber im Gegensatz zu den Schülern in der BRD, die Englisch lernten, wenig Möglichkeiten, ihre Kenntnisse in der Praxis anzuwenden. Kontakte waren nicht erwünscht, und Schüleraustausch gab es nicht, erst später für wenige den Studentenaustausch. Und da für das Erlernen einer Sprache nichts wichtiger ist als die Kommunikation mit Muttersprachlern, blieb bei den meisten auch die Motivation auf der Strecke.

Hey,

also ich habe die Zeit zwar nicht wirklich miterlebt, da ich noch zu klein war, aber von einer Lehrerin weiß ich, daß es eine sehr gute Ausbildung war, und auch die Bücher - dies weiß ich allerdings aus eigener Erfahrung - waren teils viel besser. Bisher gibt es keine bessere umfassende Grammatik als die 4-bändige Reihe "Die russische Sprache der Gegenwart". Daß die Schulbücher sich jetzt unterscheiden, liegt natürlich am Wortschatz und an der neuen Methode des Russisch-Unterrichts. Dieser ist heute viel mehr kommunikativ-interkulturell bestimmt, als damals, wo man emhr auf Grammatik wert legte, also auf Übersetzungskompetenz. Guter Unterricht ist sowieso nicht zu pauschalisieren, bzw. wenn wir von gutem Unterricht sprechen, dann sollte der doch den Punkt erfüllen, daß er SchülerInnen motiviert und sie lernen. Jeder Lehrer wird anders unterrichtet haben, und so ist es heute auch. Die Ausbildung an Schulen war zumindest sehr gut, und viele StudentInnen wollten einen Auslandsaufenthalt gar nicht machen, obwohl jener angeboten, wenn nicht sogar locker verpflichtend war. Die Russisch-Lehrer, die ich kenne, haben lange Zeit in der Sowjetunion studiert, also in der RSFSR. Ahnung hatten - zumindest - diese LehrerInnen auf jeden Fall. Die Frage sollte hier deshalb eher lauten, wie gut der Unterricht didaktisch im Allgemeinen war, also auf alle Fächer bezogen. Da die Entwicklung auf dem Gebiet der Didaktik bis heute sich verändert, kann man also nicht eindeutig antworten. Es hängt ab, welche Gesichtspunkte man betrachtet. Wer als SchülerIn gut mitgearbeitet hat, wird sicher gut gelernt haben. Ich benutze heute auch noch gerne Lehrbücher aus der DDR, und setze sie komplett oder abgewandelt ein.

Hier komme ich fließend zu deiner Frage bezüglich der Erstsprache. Genau aus diesem Grund war die Entwicklung auf dem Gebiet des Russischen bzw. der Slavistik in der DDR sehr weit und so konnten teils sehr gute Bücher entwickelt und verlegt werden. Erstsprache aus dem Grund, weil die Sowjetunion einfach mal DER Staat im gesamten sozialistischen Weltsystem war. Die Entwicklungen ab 1945 gingen ja von der Sowjetunion aus. Englisch geht vom Westen aus, also von der USA. Zudem wird es wohl in vielen Ländern gelernt, sei es als Mutter- oder Fremdsprache. Der Bezug gen Osten brachte diese Entwicklung in der DDR dazu, Russisch als erste Fremdsprache zu etablieren, denn das wirtschaftliche und politische Leben bezog sich größtenteils auf den russisch-sprachigen Raum. Zudem bringt einem Russisch auch viel, wenn man mal betrachtet, daß man dann auch andere slavische Sprachen sich leicht erschließen kann. Russisch ist eine der Sprachen der UNO, wird von wohl ca. 300 Mio Menschen als Mutter- bzw. Fremd- oder Zweitsprache gesprochen. Zudem geht die Wirtschaft, und damit einhergehend auch die Politik immer weiter östlich. Russisch ist die meist gesprochene Slavine, und die meisten Slaven werden einen verstehen, weil sie Russisch können, oder weil das Russische einfach mal ihrer Sprache (sehr) ähnelt.

Achso, und ersetzt kann man soweit ich weiß auch nicht sagen, denn obligatorisch war glaube ich vor dieser Zeit in Dtl. keine Sprache. Weiß ich aber nicht genau.

Claud18  29.01.2011, 16:31

Russisch war in der DDR Pflichtfach, da kam keiner darum herum. Englisch ab der 7. Klasse war dagegen in den meisten Schulen freiwillig und hing auch von der Leistung des Schülers ab. Es gab auch Schulen, wo an Stelle des Englischen Französisch gelehrt wurde. Lediglich in den Sprachklassen, wie ich eine besucht habe (mit Russisch ab der 3. Klasse) war die zweite Fremdsprache (bei uns Englisch) Pflicht.

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