Dürfen Einsatzfahrzeuge der Polizei, Feuerwehr oder Notärzte/Rettungswagen schneller fahren als die jeweilige Geschwindigkeitsbeschränkung und wenn ja wieviel?

8 Antworten

Von Experte Rollerfreake bestätigt

Hi,

Dürfen Einsatzfahrzeuge der Polizei, Feuerwehr oder Notärzte/Rettungswagen schneller fahren als die jeweilige Geschwindigkeitsbeschränkung

Ja, das dürfen sie - Sonderrechte nach § 35 StVO befreien von den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung und damit auch von der zulässigen Höchstgeschwindigkeit.

"(1) Von den Vorschriften dieser Verordnung sind die Bundeswehr, die Bundespolizei, die Feuerwehr, der Katastrophenschutz, die Polizei und der Zolldienst befreit, soweit das zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist."

wenn ja wieviel?

Das ist wiederum nicht eindeutig geregelt - es gilt die Maßgabe:

"(8) Die Sonderrechte dürfen nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden."

Das ist das "Übermaßverbot", welches SuperKuhnibert4 bereits genannt hat. Das Maximum, welches erlaubt ist, ist also das, was noch als "für sich und andere sicher" vertretbar ist.

Als Faustregel wird hier gerne eine Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit um 10 - 20 % genannt.

LG

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Notfallsanitäter, Blogger, Medizinstudent

Ohne das Vorliegen der juristischen Voraussetzungen, sprich ohne einen Einsatz, der die Inanspruchnahme von Sonderrechten gemäß §35 Straßenverkehrsordnung (StVO) rechtfertigt, sind Einsatzfahrzeuge ganz normale Verkehrsteilnehmer und haben sich dann dementsprechend auch an sämtliche Vorschriften der StVO zu halten.

Im Einsatz, wenn dieser die Inanspruchnahme von Sonderrechten gemäß §35 StVO rechtfertigt, sind die jeweiligen Institutionen oder deren Fahrzeuge von den Vorschriften der StVO befreit und dürfen dann zum Beispiel Ampelkreuzungen bei Rotlicht überqueren, im Überholverbot überholen, Sperrflächen überqueren, im Halte- bzw. im Parkverbot halten und parken und auch die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschreiten. Um wie viel km/h diese überschritten werden darf, das ist immer von den Umständen des jeweiligen Einzelfalles abhängig zu machen und nicht genau geregelt. §35 Absatz 8 StVO schränkt die Sonderrechte insoweit ein, dass diese nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden dürfen. Manche Gerichte haben in der Vergangenheit bereits entschieden, dass zumindest innerorts eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von mehr als 20% nicht mehr mit der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu vereinbaren sind. Jedoch existiert keine sogenannte höchstrichterliche Rechtsprechung hierzu. Letztendlich, ist das Verkehrsgeschehen und die Straßenverhältnisse-/ die Witterungsbedingungen entscheidend. Man darf selbstverständlich auch mit Sonderrechten nicht mit 70 km/h durch die Stadt fahren, wenn so dichter Nebel ist, dass man nur 20 Meter weit schauen kann und man darf auch nicht außerorts über die Landstraße brettern, wenn diese vollkommen vereist ist.

Mfg

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Rettungsdienst🚑, sehr großes Interesse an Notfallmedizin.
Rollerfreake  21.04.2024, 16:24

Ergänzend kann man noch erwähnen, dass über die Inanspruchnahme der Sonderrechte auf der Anfahrt zu einem Einsatzort der Disponent in der Leitstelle die Entscheidung trifft, da dieser das Gespräch mit dem Anrufer geführt hat und anhand der gewonnen Informationen die Situation vor Ort in diesem Moment am Besten beurteilen kann. Sobald die Einsatzkräfte vor Ort sind, entscheidet der Verantwortliche. Mfg

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Rollerfreake  22.04.2024, 16:39
@Rollerfreake

Auch die Erfahrung als Einsatzfahrer spielt selbstverständlich eine große Rolle hierbei. Es macht einen erheblichen Unterschied, ob der Fahrer bereits über mehrere Jahre Erfahrung und dementsprechend über tausende absolvierte Fahrten mit Sonderrechten verfügt oder ob es sich um eine seiner ersten Fahrten mit Sonderrechten handelt. Mfg

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Dürfen Einsatzfahrzeuge der Polizei, Feuerwehr oder Notärzte/Rettungswagen schneller fahren als die jeweilige Geschwindigkeitsbeschränkung

Unter gewissen Voraussetzungen ja. Wobei die Voraussetzungen für Polizei und Feuerwehr andere sind (Erfüllung hoheitlicher Aufgaben) als für den Rettungsdienst (höchste Eile geboten, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden. Dies steht im § 35 StVO:

(1) Von den Vorschriften dieser Verordnung sind die Bundeswehr, die Bundespolizei, die Feuerwehr, der Katastrophenschutz, die Polizei und der Zolldienst befreit, soweit das zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist.
(5a) Fahrzeuge des Rettungsdienstes sind von den Vorschriften dieser Verordnung befreit, wenn höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden.

Übrigens stehen in den anderen Absätzen dieses Paragraphen auch noch andere Dienstgruppen mit eigenen Sonderrechten, z.B. Straßenreinigung und Müllabfuhr.

und wenn ja wieviel?

Tja, das ist nicht allgemein festgelegt. Im Grunde entbindet § 35 die Feuerwehr, Polizei und den Rettungsdienst von der kompletten StVO, soweit das notwendig ist. Also auch generell von den Tempolimits.

Einschränkend gibt es nur den Absatz 8:

(8) Die Sonderrechte dürfen nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden.

Sprich, man darf nicht so fahren dass Unfälle provoziert bzw. andere Verkehrsteilnehmer gefährdet werden. Das heißt in der Praxis: Wenn ein Unglück passiert, das nicht passiert wäre wenn man sich an die Verkehrsregeln gehalten hätte, hat man was falsch gemacht.

Daraus ergibt sich, dass die Bewertung darüber, wie schnell man fahren darf, immer aus der jeweiligen Verkehrssituation ergibt!

Es kann sein, dass man in der 30er Zone vor der Grundschule um 12:00 vielleicht noch nichtmal diese 30 km/h fahren kann, ohne dass es mit den herumlaufenden Kindern gefährlich wird. Blaulicht und Sirene hin oder her (Achtung, das ist ein anderer Paragraph!).

Genauso kann es sein, dass nachts um 2 auf der leeren, gut beleuchteten Stadtautobahn mit Lärmschutz-bedingtem Tempolimit 60 km/h auch völlig sicher 90 km/h fahrbar sind, also 50% Überschreitung des Tempolimits.

Auch muss man bedenken, dass diese Sonderrechte nicht zwingend an Blaulicht & Sirene gebunden sind. Man kann grundsätzlich auch Sonderrechte nutzen, ohne dieses am Auto zu haben oder einzuschalten. Nur wirkt sich das natürlich darauf aus, ob die anderen Verkehrsteilnehmer damit rechnen, dass da jemand schneller kommt als erwartet und wie sie entsprechend reagieren.

Man muss sich als Fahrer darüber im Klaren sein, dass die Fahrweise bei der gegebenen Verkehrssituation im Fall der Fälle von einem Gericht beurteilt wird. Und dieses Gericht hat viel Zeit, um die Entscheidungen, die du als Fahrer nur im Hinterkopf schnell abschätzend getroffen hast, anhand von Gutachten zu hinterfragen und zu zerpflücken.

Natürlich kann man sich als Anhaltspunkt schon gelaufene Gerichtsverfahren anschauen. Beispielsweise gibt es ein Urteil, demzufolge ein Fahrer grob fahrlässig gehandelt hat, indem er mit übe 40 km/h über eine rote Ampel gefahren ist. Oder ein anderes Urteil, demzufolge eine Überschreitung des Tempolimits um mehr als 50% grob fahrlässig war. Daran kann man sich orientieren, sollte sich aber darüber im Klaren sein dass diese Urteile immer Einzelfallurteile waren und dass der eigene Fall anders sein kann.

Rettungsfahrzeuge, sowie die Polzei & Feuerwehr im Einsatz mit blauem Blinklicht und Martinshorn sind von der StVO ausgenommen. Es gibt also auch kein Tempolimit. Allerdings müssen die Rettungs- Einsatzkräfte darauf achten, dass bei der Einsatzfahrt keine anderen Verkehrsteilnehmer zu Schaden kommen.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

Ja dürfen sie. Wenn ihre Aufgabe es erfordert können sie Sonderrechte Nutzen (§35 StVO). Das heißt sie dürfen viele Regeln der StVO ignorieren. Unterliegen dabei aber einer besonderen Sorgfaltspflicht. Passiert etwas prüft ein Gericht ob sie diese verletzt haben oder nicht. Das sind Einzelfall Entscheidungen. Im schnitt kann man wohl sagen das 20km/h drüber bei normal übersichtlichen Situationen meist klar gehen dürften. Die Anforderungen an die Handelnden bei der Wahrnehmung von Sonder-(oder gar Wege.-)rechten sind aber hoch!