Dawkins Theorie zu Determinismus?

3 Antworten

Richard Dawkins ist Biologe und vor allem daran interessiert, die Evolution zu untersuchen und darzustellen. Dabei versucht er Erklärungen mit kausalen Zusammenhängen (Ursache-Wirkungs-Verknüpfungen). Es gibt von ihm in Büchern Aussagen zum Problemfeld Determinismus oder Indeterminismus, aber die grundsätzliche theoretische Auseinandersetzung damit bleibt knapp und zu dem Thema »Willensfreiheit« gibt es keine gründliche Erörterung. Zu vielen philosophischen Fragen in diesem Bereich gibt es keine genaue Stellungnahme.

hauptsächliche Standpunkte, die vorkommen oder aus der Darlegung erschlossen werden können:

  • In der Welt herrscht Kausalität. Alles Geschehen beruht auf Ursachen, auch menschliche Entscheidungen und Handlungen.
  • Es gibt keine allgemeine strikte (streng notwendige und ausnahmslose) Determiniertheit. Das Geschehen ist determiniert (bestimmmt), aber kein durchgehender notwendiger Ablauf. Menschliches Verhalten unterliegt keiner Zwangsläufigkeit. Es ist nicht unausweichlich, unvermeidbar und notwendig festgelegt. Dawkins vertritt damit einen »weichen«, keinen »harten« Determinismus. Allerdings hat er auch einige Aussagen formuliert (The selfish gene, 1976), die auf einen »harten« Determinismus hinauslaufen (z. B. Menschen als Maschinen, blind programmiert, also ohne Möglichkeit einer Steuerung nach selbstbestimmten Absichten).

Richard Dawkins, Das egoistische Gen Mit einem Vorwort von Wolfgang Wickler. Aus dem Englischen übersetzt von Karin de Sousa Ferreira. Jubiläumsausgabe München ; Heidelberg : Elsevier, Spektrum, Akademischer Verlag, 2007, S. 30:  

„Wir sind Überlebensmaschinen – Roboter, blind programmiert zur Erhaltung der selbstsüchtigen Moleküle, die Gene genannt werden. Dies ist eine Wahrheit, die mich immer noch mit Staunen erfüllt“.

Diese nicht sorgfältigen und ungenauen Formulierungen hat er nach einigen Jahren für mißverständlich erklärt.

  • Kausale Zusammenhänge können auch nur nach Wahrscheinlichkeit geschehen und statistisch nachgewiesen werden.

Richard Dawkins, Der erweiterte Phänotyp : der lange Arm der Gene. Mit einem Nachwort von Daniel Dennett. Aus dem Englischen übersetzt von Wolfgang Mayer. Heidelberg : Spektrum, Akademischer Verlag, 2010 (Spektrum-Akademischer-Verlag-Sachbuch) S. 13 - 14:  

„Was bedeutet es denn letztlich zu behaupten, dass irgendetwas determiniert würde durch irgendetwas? Philosophen machen, vielleicht mit Recht, viel Wind um den Begriff der Kausalität, aber für einen Biologen in der Praxis ist Kausalität eher ein einfaches statistisches Konzept. In der Realität lässt sich nicht beweisen, dass ein bestimmter beobachteter Vorgang C ein bestimmtes Ergebnis R verursacht hat, auch wenn ein kausaler Zusammenhang oft für wahrscheinlich gehalten wird. Was Biologen in der Praxis üblicherweise tun, ist statistisch nachzuweisen, dass Ereignisse der Klasse R zuverlässig Ereignissen der Klasse C folgen. Dazu benötigen sie eine größere Zahl miteinander verbundener Einzelfälle: Ein einmaliger Vorgang reicht dafür nicht aus.“

  • Die Ursachen für menschliches Verhalten sind komplex (z. B. sowohl Vererbung [Gene] als auch Umwelt, außerdem psychologische Faktoren) und die Ursachen beeinflussen sich gegenseitig.
  • Aufgrund der Komplexität des Nervensystems können Menschen nicht vollständig durchschauen, wodurch ihr Verhalten jeweils verursacht ist. Subjektiv haben sie den Eindruck, eine Wahl zu treffen und dabei Freiheit zu haben. Menschen können sich daher in der Praxis so verhalten, als ob sie Willensfreiheit besäßen.
  • Im Fall der Auffassung, menschliche Handlungen seien durch Ursachen in der Vergangenheit vorherbestimmt, enthält ein genetischer Determinimus keine schwererwiegende Notwendigkeit als ein umweltbedingter Determinusmus.
  • Alle menschlichen Handlungen haben eine physikalische, materialistische Grundlage (Verursachung durch materielle Faktoren).

Richard Dawkins, Der erweiterte Phänotyp : der lange Arm der Gene. Mit einem Nachwort von Daniel Dennett. Aus dem Englischen übersetzt von Wolfgang Mayer. Heidelberg : Spektrum, Akademischer Verlag, 2010 (Spektrum-Akademischer-Verlag-Sachbuch), S. 12:  

„Über die deterministische Sichtweise und ihre Tragweite für die moralische Verantwortlichkeit eines Individuums für sein Handeln streiten Philosophen und Theologen seit Jahrhunderten, und sie werden wohl auch noch in hundert Jahren darüber streiten. Ich vermute, dass sowohl Rose als auch Gould insofern Deterministen sind, als sie an eine physikalische, materialistische Grundlage für alle unsere Handlungen glauben. Ich teile diese Auffassung. Und wahrscheinlich stimmen wir drei auch darin überein, das menschliche Nervensystem als so komplex anzusehen, dass wir in der Praxis den Determinismus vergessen und uns so verhalten können, als ob wir einen freien Willen besäßen."

  • Menschen können den Genen trotzen und sich gegen die Macht der Gene auflehnen (dagegen rebellieren). Diese Aussage setzt Willensfreiheit voraus, wobei Dawkins aber nicht ausdrücklich ihre Existenz bejaht und unklar bleibt, wie diese Freiheit im Rahmen seiner Annahmen möglich ist.

Richard Dawkins, Das egoistische Gen Mit einem Vorwort von Wolfgang Wickler. Aus dem Englischen übersetzt von Karin de Sousa Ferreira. Jubiläumsausgabe München ; Heidelberg : Elsevier, Spektrum, Akademischer Verlag, 2007, S. 334:  

„Wir haben die Macht, den egoistischen Genen unserer Geburt und, wenn nötig, auch den egoistischen Memen unserer Erziehung zu trotzen. Wir können sogar erörtern, auf welche Weise sich bewußt ein reiner, selbstloser Altruismus kultivieren und pflegen läßt – etwas, für das es in der Natur keinen Raum gibt, etwas, das es in der gesamten Geschichte der Welt nie zuvor gegeben hat. Wir sind als Genmaschinen gebaut und werden als Memmaschinen erzogen, aber wir haben die Macht, uns unseren Schöpfern entgegenzustellen. Als einzige Lebewesen auf der Erde können uns gegen die Tyrannei der egoistischen Replikatoren auflehnen."

S. 496: „Wir, das heißt unser Gehirn, sind ausreichend getrennt und unabhängig von unseren Genen, um gegen sie rebellieren zu können. Wie ich bereits sagte, tun wir dies immer dann im kleinen, wenn wir Empfängnisverhütung betreiben. Nichts spricht dagegen, uns auch im großen gegen unsere Gene aufzulehnen.“

Guten Abend. Meine Sicht der Dinge:

Dawkins war in erster Linie Evolutionsbiologe und ist in diesem Zusammenhang in erster Linie als radikaler aber scharfsinniger Kritiker der trivialreligiösen Kreationismus / Intelligent Design - Behauptungen und ihrer Anhänger bekannt geworden.

In seiner Eigenschaft als Evolutionsbiologe hatte er jedoch naturgemäß wenig bis gar nicht mit wissenschaftlichen Bereichen zu tun, in denen die Frage von Indeterminismus respektive Determinismus eine originäre Rolle spielte. Allenfalls als angewandte Fragestellung zur Evolutionssystematik war diese Frage für ihn von Belang. Insofern gibt es meines Wissens keine explizite Auseinandersetzung Dawkins´mit diesem Thema wie dies etwa in der Quantenphysik, der Systemtheorie oder metatheoretisch im Kritischen Rationalismus durch Karl Popper der Fall ist.

Im Rahmen evolutionstheoretischer Systemfragen jedoch kann man seine Position zumindest indirekt aus einzelnen Beiträgen erschließen; so z. B. in dem Kapitel "Nicht reduzierbare Komplexität", in seinem Buch "Der Gotteswahn", S. 164 ff.

Hier scheint sich eine Position herauszukristallisieren, die man ggf. als eine Art Mittelweg beschreiben könnte, indem er das vertritt, was durch Maturana / Varela zuvor als "evolutionäre Drift" bezeichnet wurde und als eine Art Übergang von rein optionaler Komplexität durch strukturformenden Zufall zur Kausalität einer Entwicklungslinie entlang dieser "Leitstrukturen" und damit zu einer letztlich deterministischen Entwicklungslogik verstanden werden kann, ohne jedoch jede Möglichkeit von Zufall auszuschließen.

So gesehen könnte man ihn als "weichen" Deterministen einstufen. "Weich" deshalb, weil er trotz des deterministischen Grundansatzes in seinem wissenschaftlichen Denken den Umgang mit optionaler Komplexität nicht völlig ignoriert und zugunsten eines trivial-linearen Kausalitätsverständnisses im Sinne banaler Algorithmik bzw. Maschinenmodellierung, also eines Trivialverständnisses von Determinismus eingetauscht hat.

Gruß

Ist schon etwas her seit dem ich mich in das Thema eingelesen habe. Im wesentlichen meint Determinismus, dass das Universum oder besser gesagt alle Prozesse, die darin ablaufen, theoretisch (!) komplett vorhersehbar sind (vorausgesetzt, man könnte die Daten aller Teilchen usw. verarbeiten und auswerten). Damit ist der Determinismus in gewisser Weise ein Widerspruch zur Quantenphysik, da diese darauf aufbaut, dass sich Teilchen durch Fluktuationen usw. rein zufällig verhalten können. Ein weiterer Aspekt ist, dass der Determinismus sehr atheistisch geprägt ist, da er durch die Aussage alles sei auf Naturgesetze zurückzuführen, die Transzendenz leugnet.

Mehr fällt mir jetzt auch nicht mehr ein; ich hoffe, ich konnte damit etwas helfen :)