Chemienotfall - Herstellung von Halogenalkanen!?

2 Antworten

Moin,

Alkane (wie Heptan) sind äußerst reaktionsträge Stoffe. Man kann sie verbrennen (mit Sauerstoff so oxidieren, dass die C-Kette dabei zerstört wird), weil Sauerstoff so gierig ist, sich mit anderen Stoffen zu verbinden, dass er auch vor den Alkanen nicht Halt macht. Aber ansonsten lassen sich die stabilen Einfachbindungen zwischen Kohlenstoffatomen bzw. Kohlenstoff- und Wasserstoffatomen kaum aufbrechen.

Deshalb reagieren Alkane im Dunkeln auch nicht mit Brom (deshalb funktioniert der Versuch im Dunkeln nicht).

Wenn du das Ganze allerdings bei Licht (am besten UV-Licht) durchführst, entfärbt sich das Heptan-Brom-Gemisch nach und nach. Offenbar findet dabei eine Reaktion statt (weil das rotbraun gefärbte Brom nach und nach blasser wird, bis es ganz verschwindet).

Mit Hilfe von Nachweisreagenzien (zum Beispiel Silbernitratlösung und einem pH-Farbindikator wie Universalindikator) kannst du außerdem nachweisen, dass im Verlauf der Reaktion Bromid-Anionen und eine Säure entstehen müssen.
Beides wäre mit der Bildung von H–Br (Bromwasserstoff) zu erklären, weil Bromwasserstoff einerseits eine Säure ist, andererseits in (wässriger) Lösung in Protonen und Bromid-Anionen zerfällt...

Aber wie kann das alles passieren?

Nun, das Ganze läuft über eine sogenannte radikalische Substitution (SR) ab.

Unter einer Substitution versteht man das Ersetzen eines Atoms (oder einer Atomgruppe) in einem Molekül durch ein anderes Atom (oder eine Atomgruppe).

Und Radikale sind Atome (oder Moleküle) mit einem einzelnen (ungepaarten) Elektron. Solche Teilchen sind energetisch sehr ungünstig. Deshalb greifen sie in der Regel alles an, was in ihre Nähe kommt (sie erzwingen radikal eine Reaktion), um ihren radikalischen Zustand zu beenden.

Dabei entsteht eine (radikalische) Kettenreaktion. Die Kettenreaktion verläuft (im Idealfall) in vier Schritten.

Schritt 1: Die Radikalbildung
Im ersten Schritt werden die Radikale gebildet. Brommoleküle (Br–Br) lassen sich mit Hilfe von UV-Licht in zwei einzelne Atome spalten. Weil dabei das bindende Elektronenpaar zwischen ihnen so gespalten wird, dass beide Atome je ein Elektron erhalten, bezeichnet man die Bindungsspaltung als homolytisch (homo: gleich, Lyse: lösen):

Br–Br --[UV-Licht]--> Br• + •Br

Schritt 2: Kettenstart (Initiation)
Im zweiten Schritt der Kettenreaktion greift nun ein Bromradikal (Br•) ein Heptanmolekül an und entreißt ihm ein gebundenes Wasserstoffatom mitsamt dessen Elektron aus einer C–H-Bindung. Dadurch entsteht einerseits H–Br (Bromwasserstoff), andererseits ein Alkylradikal (hier ein Heptylradikal):

C6H13–CH2–H + •Br ---> C6H13–CH2• + H–Br

Schritt 3: Kettenfortpflanzung (Elongation)
Im nächsten Schritt greift nun das Alkylradikal ein noch nicht gespaltenes Brommolekül an und entreißt diesem ein Bromatom mitsamt dessen Elektron aus der Br–Br-Bindung. Es entsteht ein bromiertes Alkanmolekül (hier Bromheptan) sowie erneut ein Bromradikal:

C6H13–CH2• + Br–Br ---> C6H13–CH2–Br + •Br

Das Bromradikal kann nun seinerseits wieder ein Alkanmolekül (Heptan) angreifen (wie beim Kettenstart):

C6H13–CH2–H + •Br ---> C6H13–CH2• + H–Br

usw. (Kettenreaktion).

Schritt 4: Kettenabbruch (Termination)
Die Kettenreaktion bricht ab, wenn sich zwei Radikale treffen und vereinigen (Radikalkombination). Dazu gibt es drei Möglichkeiten:

a) Br• + •Br ---> Br–Br
Kombination von zwei Bromradikalen zu einem Brommolekül

b) C6H13–CH2• + •Br ---> C6H13–CH2–Br
Kombination eines Alkylradikals mit einem Bromradikal zu einem Bromalkan

c) C6H13–CH2• + •CH2–C6H13 ---> C14H30
Kombination zweier Alkylradikale zu einem längeren Alkanmolekül

Es gibt noch eine andere Kettenabbruchreaktion (die Disproportionierung), aber die kommt sehr selten vor und ich will dich damit nicht überfordern. Deshalb lasse ich sie an dieser Stelle weg.

Es wird auch so schon klar, dass der oben dargestellte Idealverlauf bereits zu verschiedenen Produkten führt (Halogenalkane und längere Alkane).
Wenn du dir nun noch klar machst, dass Radikale nicht wählerisch sind, wenn es darum geht, ihren radikalischen Zustand zu beenden, dann ist auch klar, dass nicht nur Monobromalkane dabei entstehen können, sondern auch Dibromalkane, Tribromalkane, Tetrabromalkane usw., denn natürlich kann ein Bromradikal auch ein bereits bromiertes Bromalkan angreifen, ihm noch ein Wasserstoffatom entreißen und ein Bromalkylradikal daraus machen, das dann seinerseits ein weiteres Bromatom ins Molekül holt...

Fazit:
Radikalische Substitutionen zwischen Alkanen und Brom ersetzen (im Idealfall) ein Wasserstoffatom im Alkanmolekül durch ein Bromatom. Außerdem entsteht dabei noch Bromwasserstoff. Der Vorgang erfolgt in mehreren Schritten (Kettenreaktion).
Bei radikalischen Kettenreaktionen entsteht immer eine Produktpalette (unterschiedliche Substitutionsprodukte), die man anschließend aufwendig in die einzelnen Stoffe trennen muss.
Radikalische Kettenreaktionen lassen sich nur schlecht kontrollieren (dafür sind die Radikale viel zu aggressiv reaktiv). Aber man kann versuchen, den Vorgang einigermaßen zu steuern, indem man zum Beispiel die UV-Belichtung nur kurz, aber dafür immer mal wieder zulässt (das schränkt die Radikalbildung etwas ein). Oder auch, indem man viel Alkan und wenig Brom einsetzt (das führt dazu, dass die wenigen entstehenden Bromradikale mit größerer Wahrscheinlichkeit auf ein noch nicht substituiertes Alkanmolekül treffen als auf ein bereits halogeniertes Alkan).

Ich hoffe, das hilft dir...

LG von der Waterkant

Hallo Ben, 

Durch das Hinzufügen von Licht wird die Reaktion gestartet und die Bindung des Moleküls homolytisch gespalten. Es bleiben zwei Brom-Atome mit jeweils einem ungepaarten Elektron zurück. Diese nennt man Radikale, welche sehr reaktiv sind. Sie suchen sich schnell ein weiteres Elektron eines anderen Atoms, um eine neue Bindung einzugehen. Die angegebene Reaktion verläuft in mehreren Schritten, bei denen immer wieder neue Radikale entstehen.

Liebe Grüße,

Herr Dr. Reiß (Professor der Philipps-Universität Marburg)

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Woher ich das weiß:Berufserfahrung
 - (Reaktion, Reaktionsgleichung, Experiment)
Jesko224  19.05.2023, 22:33

Als Professor können Sie sich hier auf Gute Frage auch zum Fachexperten befördern lassen. Den bekommt man nur, wenn man wie Sie ein nachweisbares Fachgebiet im echten Leben hat.

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