Artheist (67): Faust hat leider auch Theologie studiert. Wieso leider?

6 Antworten

In Faust 1 (Schülerszene) lässt Goethe Mephisto über die Theologie sagen: „Was diese Wissenschaft betrifft, es ist so schwer, den falschen Weg zu meiden…“ – Und einige Zeilen später: „Im Ganzen: haltet Euch an Worte! Dann geht Ihr durch die sichre Pforte zum Tempel der Gewissheit ein.“

Goethe / Mephisto ist also (im Umkehrschluss) der Meinung, die Theologie könne nicht zur Gewissheit führen, sondern führe leicht auf den falschen Weg.

Das stimmt mit Fausts Äußerungen am Ende von Faust 2  überein, wo er sich als Agnostiker zu erkennen gibt: „Ich bin nur durch die Welt gerannt!.... Nach drüben ist die Aussicht uns verrannt; Tor, wer dorthin die Augen blinzelnd richtet, sich über Wolken seinesgleichen dichtet! Er stehe fest und sehe hier sich um: Dem Tüchtigen ist diese Welt nicht stumm! Was braucht er in die Ewigkeit zu schweifen? Was er erkennt, lässt sich ergreifen. Er wandle so den Erdentag entlang; wenn Geister spuken, geh er seinen Gang…“ (Verse 11415 – 11452)

Wichtig ist der Satz: „Was er erkennt, lässt sich ergreifen.“ „Ergreifen“ kann man die Dinge nur kraft der dem Menschen allein zur Verfügung stehenden Erkenntnisinstanz, der Ratio. Das aber ist die Argumentation der Agnostiker, die sich um die Ewigkeit, um Gott nicht scheren (weil man sie rational nicht erkennen kann!).

[Faust hat in religiöser Hinsicht eine Entwicklung durchgemacht. In Faust 1 lehnt er zwar die (christliche) Theologie ab, jedoch nicht die christliche Religion; s. z.B. das Religionsgespräch mit Gretchen; seine Auffassungen sind hier allerdings - wie beim späteren Goethe - durchsetzt von pantheistischen Überlegungen. (s. zu allem Joachim Radtke „Die Rolle und Bedeutung der Religion in Faust 1“ - bei Google!)

Der Faust am Ende von Faust 2 ist jedoch  - wie gesagt -  Agnostiker („Tor, wer dorthin die Augen blinzelnd richtet, sich über Wolken seinesgleichen dichtet…“ ist fast schon Feuerbachscher Atheismus); m.a.W. nur im „Hier“ soll sich der Mensch umsehen, nicht nach „drüben“ gucken! Allerdings schließt dieser Blick alleine auf das Innerweltliche nicht den goethischen Pantheismus aus.]

Faust war unzufrieden mit den Erkenntnissen, die er für sich aus verschiedenen Disziplinen ziehen konnte - und insbesondere Theologie hat ihn offenbar schwer enttäuscht.

Das könnte daran liegen, dass er sich von einer solch scheinbar "spirituellen" Lehre besonders viel Einsicht in die Natur der Dinge erhofft hatte - doch anscheinend war es ihm zu theoretisch.

Schließlich verschrieb er sich der Magie, die deutlich praxisorientierter ist und einen Ausweg zu bieten schien - etwa durch Anleitungen zum aktiven Beschwören von Geistern.

Anstatt also weltliches Recht, medizinische Kenntnisse oder religiöse Abhandlungen zu studieren, hoffte er nun selbst zu seinem Erkenntnisgewinn beitragen zu können.

hutten52  26.07.2017, 20:30

Später wird im "Faust" die Theologie so abqualifiziert: 

Was diese Wissenschaft betrifft,
Es ist so schwer, den falschen Weg zu meiden,
Es liegt in ihr so viel verborgnes Gift,
Und von der Arzenei ist's kaum zu unterscheiden.

Am besten ist's auch hier, wenn Ihr nur einen hört,
Und auf des Meisters Worte schwört.
Im ganzen – haltet Euch an Worte!
Dann geht Ihr durch die sichre Pforte
Zum Tempel der Gewißheit ein.

Schüler:

Doch ein Begriff muß bei dem Worte sein.

Mephistopheles:

Schon gut! Nur muß man sich nicht allzu ängstlich quälen
Denn eben wo Begriffe fehlen,
Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.
Mit Worten läßt sich trefflich streiten,
Mit Worten ein System bereiten,
An Worte läßt sich trefflich glauben,
Von einem Wort läßt sich kein Jota rauben.

1

Eine brutal kurze Antwort auf deine Frage hinsichtlich eines Wortes aus meinem Lieblingswerk: Goethe benötigte für sein opus magnum insgesamt 60 (sechzig !) Jahre. Es beinhaltet Einflüsse / Kriterien der Aufklärung, des Sturm & Drang, besonders, aber bei weitem nicht ausschließlich der Klassik.

Hier wendet sich der verzweifelt nach Sinn suchende Faust ganz im Sinne der Aufklärung gegen alles, was auch nur im Verdacht stehen könnte, mit RELIGION zusammenzuhängen - siehe übrigens auch die Antwort auf Gretchens berühmte Religions-Frage !!

Nochmals: Die Aufklärung wendet sich gegen Religion.

Das heißt indessen keinesfalls, dass "Faust" ein Werk überwiegend der Aufklärung sei, wie man in der berüüüühmten Szene sieht, als sich Mephisto dem Schüler / Studenten gegenüber geradezu sarkastisch zu der Wissenschaftsgläubigkeit der Aufklärung äußert !

pk

Ich nehme an, dass er sich Herzenswissen über den Urgrund des Seins erhofft hat und mit unwichtigen Inhalten abgespeist wurde, die für einen spirituellen Sucher uninteressant sind.

Sehr gute Frage. Beste des Jahres.

Faust hat erlebt, was schon zehntausende Theologiestudenten erlebt haben:

Wenn man die historischen Grundlagen und Quellen des Christentums erforscht, dann wird man riesig ernüchtert.

Man sieht dann, daß dieser ganze Glaube ein von Menschen errichtetes Kartenhaus ist. Daß nichts glaubhaft und göttlich ist, was die Kirche so predigt und daß Jesus nur ein simpler Bettelprediger war.

Vom Christengott bleibt nichts übrig. Mit anderen Glauben schauts genauso schlecht aus.

D.h. nach dem Theologiestudium kann man nichts mehr über Gott lehren ohne sich als Lügner zu fühlen. Faust sagt dann, daß wir nichts wissen und die Schüler an der Nase rumführen.