Also meiner Erfahrung nach wird Rassismus künstlich aufrecht erhalten und kaum etwas, das als Rassissmus abgestempelt wird, hat wirklich etwas damit zu tun. Rassissmus ist eine wirkliche Anfeindung, fast schon ein Hass gegenüber einer oder mehrerer ethnischer Gruppen. Es ist eine bewusste Ablehnung dessen, was anders ist.
Dazu muss man aber verstehen, dass solch eine Ablehnungshaltung urprünglich mal aus einer Angst entstanden ist. Irgendwer hat mal gesagt: "Wovor wir Menschen am meisten Angst haben, ist nicht das Unbekannte, sondern die Verzerrung des Bekannten." Das heißt, wir fürchten uns vor davor, dass das, was wir kennen, und worauf wir unser Weltbild und unser Leben aufgebaut haben, in Frage gestellt wird. Als die Menschen vor 500-700 Jahren zum ersten Mal mit Afrikanern konfrontiert wurden, hat das eine natürliche Angst in den Menschen ausgelöst, weil alles, das sie kannten, plötzlich angezweifelt werden musste. Und diese Angst führt zu Vorurteilen.
Aber auch Vorurteile sind per se etwas gutes. Wenn du einen Bären im Wald siehst, hast du auch das Vorurteil, dass er dich fressen will. Und nur aufgrund dieser Vorurteile haben wir als Menschen so lange überlebt. Wenn die Menschen in der Steinzeit keine Angst und Vorurteile gegenüber wilden Tieren gehabt hätten, wären wir als Spezies längst ausgestorben.
Problematisch wird es erst dann, wenn wir unseren Gefühlen erlauben, Einfluss auf unser Weltbild und damit auf unser Denken und unser Handeln zu nehmen. Versteh mich da bitte nicht falsch. Kein Mensch kann und darf für seine Gefühle verantwortlich gemacht werden. Genauso wenig wie du beeinflussen kannst, wann du horny wirst, können wir Menschen beeinflussen, wovor wir uns fürchten. Auch wenn ich versuche ruhig zu bleiben, kann trotzdem irgend etwas passieren, das mich total in Rage versetzt. Diese Gefühle zu bekommen, kann niemand von uns beeinflussen. Aber wir können beeinflussen, wie wir damit umgehen.
Wenn ein schwarzer Mann mich auf der Straße anspricht, kann ich ein Gefühl der Furcht bekommen, weil ich den Anblick schwarzer Menschen nicht gewohnt bin. Entsprechend werde ich ein wenig vorsichtig sein, einen gewissen Abstand halten, um mich selbst zu schützen. Aber kann man da wirklich von Hass oder einer Anfeindung sprechen? Ich sage oder tue ja schließlich nichts gegen den Mann oder irgendwen sonst. Ich wähle weder eine Partei, die gegen Ausländer ist, noch versuche ich dir ich dem Mann irgendetwas zu verwehren, das irgendwelchen weißen Menschen vorbehalten sein sollte, die ich gar nicht kenne. Und meiner Erfahrung nach bestehen gut 95% dessen, was wir heute als Rassismus werten, auch genau solchen oder ähnlichen Situationen.
Ich denke, das Problem ist, dass wir Menschen viel zu sehr mit uns selbst beschäftigt sind. Du hast geschrieben, dass du dich persönlich von dem Herren im Supermarkt angegriffen gefühlt hast. Und das, obwohl er eigentlich nichts gegen dich getan oder gesagt hat. Er hat dich neutral behandelt, während er eine andere Dame eher positiv behandelt hat. Genau genommen hat er dich nur ganz normal, wie jeden anderen Menschen behandelt. Trotzdem hat das auf dich so gewirkt, als hätte er eine Abneigung gegen dich und hätte dich persönlich angegriffen.
Nun meine Frage: wie oft tust du denn etwas, nur um jemand anderen anzugreifen, ihm etwas schlechtes zu tun? Der Punkt auf den ich hinaus will ist, wir sind alle viel zu sehr auf uns selbst und unser eigenes Leben konzentriert, um andere wirlich zu hassen. Ich für meinen Teil müsste da so viel Aufwand und Energie hinein stecken, um eine Person, oder gar eine ganze "Rasse" wirklich zu hassen oder etwas gegen sie zu unternehmen. Und diesen Aufwand macht sich kaum jemand. Das ist mir viel zu mühselig, genauso wie dir.
Das Problem ist also vielmehr, wie wichtig ich mich selbst im Vergleich zu anderen sehe. Denn wenn wir beide wissen, dass wir niemanden wirklich persönlich angreifen wollen, so hat auch der Herr im Supermarkt vermutlich nicht den Wunsch gehabt, irgendwen anzugreifen oder schlecht zu behandeln. Warum sollte er das auch tun?
Dass du das aber trotzdem als persönlichen Angriff auf dich gesehen hast, macht meinen Punkt deutlich, dass du vieles, was in der Welt passiert sofort auf dich persönlich beziehst. Genauso werden andere Meschen Dinge auf sich beziehen, die du einfach so vor dich hin sagst.
Das ist das gleiche, wenn du deiner Frau sagst, dass du ein Kleid im Schaufenster schön findest. Und deine Frau sich dann denkt, dass du ihr das nur gesagt hast, weil du weißt, dass sie nicht die Figur hat um das Kleid zu tragen und du ihr damit sagen willst, dass sie hässlich und fett sei. Sie bezieht die Aussage sofort auf sich, obwohl du nur gesagt hast, dass du das Kleid schön findest.
Damit will ich sagen, nur weil ich mich von etwas angegriffen fühle, das du gesagt hast, bedeutet das nicht, dass du mich damit auch angreifen wolltest. Denn deine und meine Wahrnehmung der Welt sind manchmal halt verschieden. Und genauso wie du vieles um dich herum auf dich beziehst, beziehe ich diese Dinge auf mich.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass die meisten größeren Probleme, die als rassistisch deklariert werden, oft kultureller Natur sind. In den USA gibt es z.B. ca. 13% Schwarze. Trotzdem werden rund 50% der schweren Verbrechen von Schwarzen begangen. Statistken zeigen, dass täglich mehr Schwarze von Schwarzen getötet werden als Schwarze von Weißen, Weiße von Schwarzen oder Weiße von Weißen. Und das alles, obwohl Schwarze nur 13% der Bevölkerung ausmachen. Die Zahl der Schulabbrechern ist unter Schwarzen viel höher als unter Weißen, gemessen an der Bevölkerungszahl. Gefängnisse beherrbergen genauso viele Schwarze wie Weiße, obwohl es viel weniger Schwarze in den USA gibt. Und all das zeigt ganz deutlich, dass es sich hier vor allem um ein kulturelles Problem handelt und nicht um eines der Hautfarbe.
Auf dich kann man diese Statistik natürlich nicht anwenden, zumal du Türke und kein Schwarzer bist. Die Kultur, von der ich spreche, ist eine Sache der Einstellung und deines menschlichen Umfelds. Junge Menchen, die HipHop oder Rap hören ziehen sich anders an, als Leute, die Techno hören. Menschen die Metal hören, kleiden sich wieder anders. Ich für meinen Teil komme aus der Gothic-Szene und wir haben uns früher wieder ganz anders angezogen. Und die Art und weise, wie wir uns anziehen, drückt aus, wie wir uns fühlen und wie wir denken. Wenn wir uns mit Menschen umgeben, die sich so kleiden wie wir, umgeben wir uns damit mit Menschen, die ähnlich denken und fühlen wie wir. Mit denen können wir uns selbst identifizieren, weil wir Gemeinsamkeiten haben, mit denen wir uns tief verbunden fühlen. So etwas nennt sich Kutur.
Und ein Teil der Rap-Kultur ist z.B. dass man gerne lange Jogginghosen trägt, große Pullover mit Kapuzen. Man kleidet sich quasi als "Gangster". Denn gerade Pullover und Hosen, mit vielen Taschen, wo man Hände und Waffen verstecken kann, und Kapuzen, um das Gesicht zu verbergen, werden halt auch gerne von Kriminellen verwendet. Daher kommt ja auch der Ausdruck "Gangster".
Ich sage nicht, dass du dich so anziehst, aber die Art und Weise, wie du erzogen wurdest, wie du aufgewachsen bist, mit welchem Umfeld du dich umgeben hast, das alles hat dich und dein Verhalten geprägt. Und auch wenn du den Herren im Supermarkt ganz freundlich gefragt hast, so hat er vielleicht irgendetwas an dir gesehen, das dich in seinen Augen als potenzieller Verbrecher oder "Gangster" hat rüber kommen lassen. Solche Dinge kommen jeden Tag immer wieder vor und auch das hat mit Rassissmus nichts zu tun, sondern mit der individuellen Kultur eines jeden einzelnen von uns.
Du möchtest auch nicht glauben, wie oft ich schon aufgrund meines Outfits als schwul oder als Satansanbeter bezeichnet wurde. Einfach weil die Menschen davor hatten, dass ich ihr Weltbild in Frage stelle. Was mich an der Sache aber ein wenig fasziniert und auch erschreckt ist, wie sehr ich allein durch meine Anwesenheit und mein Auftreten, andere Menschen beeinflusse. Obwohl ich ganz ruhig und still bin, werten sie meine Existenz als persönlichen Angriff, weil sie alles auf sich selbst beziehen. Dabei bin ich nur da und lebe mein Leben. Die Menschen interessieren mich oft nicht einmal.
Solltest du also wirklich mal mit Rassismus ein Problem haben, weil dir das nahe geht, will ich dir die Worte von Keanu Reeves auf den Weg geben. "Es gibt 8 Milliarden Menschen auf der Welt. Und es ist deine Aufgabe herauszufinden, wen du in deinem Leben haben willst und wen nicht. Wenn dich ein Fremder beleidigt, dann solltest du nicht wütend, sondern dankbar sein. Denn er hat dir damit enorm viel Zeit und Arbeit erspart, um herauszufinden, wie der Mensch ist. So kannst du ihn gleich direkt aus deinem Leben entfernen."