3 Antworten

hallo, strongcock,

du hast da ein wunderschöndes gedicht von Nkolaus Lenau aufgelesen, so recht zur jahreszeit passend - " Herbst" / lies es laut / genieße es / spüre den klang, den ruhigen rhythmus, sieh im innern die bilder, die farbe der wörter, den zusammenklang der silben, den tonfall, der in den zeilen liegt //

Wenn dir das geglückt ist, können wir an das "zerfetzen" gehen - das gedicht auseinandernehmen, um deine frage beantworten zu können / die antwort findest du in dir nämlich schneller, wenn du vorher das ganze erfahren und genossen hast //

du hast also nach stilmitteln gefragt / betrachten wir zunächst wie ein arzt den nackten korpus / da es sich um poesie handelt, ist hier zunächst die gliederung sichtbar / es sind vier strophen mit jeweils vier versen vorhanden / alle vier strophen sind gleich - in ihrem reimbild, in ihrer zeilenzahl, in ihrem metrum / mit einer solchen gliederung ist da stilmittel (1) gefunden //

stilmittel (2); der reim / er wird hier in der form des xxxxxx reimes angewandt mit dem schema abba / das heißt: es reimen sich die zeilen 1 + 4 und die zeilen 2 + 3 / dieses reimschema wird ganz und fehlerlos durchgehalten / es handelt sich auch durchgehend um weibliche reime (d. h. zweisilbige reime (nicht geht/steht sondern gehen/stehen / ein solcher weicher, gleichmäßiger zeilenausklang strahlt ruhe, gelassenheit,aus / diese stimmung paßt zu dem inhalt und dem gehalt des gedichtes (thema "sterben") / man spricht dann von der einheit von form und inhalt /stilmitel = formelement / inhalt = bedeutung der wörter / gehalt = sinn der sätze, des textes / die übereinstimmung von form mit inhalt ist ein gutes zeichen für die qualität eines gedichtes //

stilmittel (3): der rhythmus / er ergibt sich aus dem metrum, das ein vierfüßiger jambus ist / jambus heißt: zuerst eine senkung (unbetonte silbe), dann eine hebung (betonte s.) / beide zusammen bilden einen "versfuß" / und diese jamben kommen in jeder zeile viermal vor / entscheidend ist die gleichförmigkeit und das ruhige dahinflie0en der sprache - daher ein ausgeglichener, milder rhyrthmus / so ruhig und ausgeglichen wird uns auch im inhalt des gedichtes von ´herbst und tod erzählt / das äußere (reim, rhythmus, metrum) pasen also gut mit dem inneren (inhalt und gehalt = handlungsaussage und sinnbedeutung) zusammen / inhalt (herbstliches sterben = tod) und form (ruhe, dahingleitende sprache) bilden also im rhythmus eine einheit / das ist ein qualitätsmerkmal für ein gutes gedicht / und wie der klang des reimes eine stimmung in uns bewirkt, so geschieht dies auch durch metrum und rhythmus / ein gelichförmiges, weiches metrum zusammen mit einem gleichmäßigen weichen reim dringt als ruhiges moment in unser gefühl, unsere seele ein - beruhigt, läßt uns die dinge gelassener sehen / schon diese beiden stilmittel (reim, metrum = sprachklang, sprachfluß) snd also zugleich stimmungsbildende mittel //

stilmittel (4): die bilder / der herbst wird als sinnbild für das sterben genommen / das wird in vielen bildern gezeigt: das laub, das fallende blatt, die leeren nester = jungvögel verlassen eltern, die blätter verlassen die bäume / so kommt das motiv "einsamkeit" auf / und so kommt "der gehalt" des gedichtes zum ausdruck / gehalt = der hintergrung, die sinntragende aussage, das, was eigentlich gemeint ist, aber in anderer aussage gesagt wird / also auch hier einheit von form und inhalt/gehalt / und auch die ruhe, die in den bildmotiven steckt, hat die gleiche wirkung auf unser gemüt, wie die reime, der sprachklang, das metrum, der sprachfluß - nun also noch die sprachvorstellung , die bilder in uns - auch sie also beruhigend //

stilmittel (5): die sprache, die wortwahl, der satzbau / hier wunderbar gelungen, weil (a) die gewählten wörter gut "zusammen klingen" - das bewirkt eine bestimmte stimmung in uns / eine stimmung, die der poet ja erreichen will - nämlich duch eine widersprüchlich erscheinende darstellung der situationen: das entfärben macht die blätter bunt - ein schöner anblick für den abschied: trost, milde / die nester sind leer, blätter fallen in sie hinein, das rauschen des waldes, der blätter ist ein trost, weht über den schmerz des abschieds, des todes hinweg und macht das sterben milder / ende 1. strope: "ich liebe dieses MILDE sterben" / mehr noch - und das ist der höhepunkt des gedichtes, der uns in wunderschöner weise dargeboten wird / das ist höchste qualität - dieser einfall //

dazu kommen noch die "tricks", die der dichter anwendet, um das ganze lebendiger zu machen: er personifiziert die dinge (blätter sind müde, der wind streichelt den wald u. ä.) / und er benutzt in der letzten strophe auch vergleiche (als hör ich kunde wehen - von dem letzten abschied, der vergügliches tauschen ist) / das ist ein ganz raffinierter trick, denn der dichter tut damit so, als habe er eine verbindung zum jenseits, durch die er von dem vergnügen weiß, das uns dieser tausch "leben gegen sterben" bereiten wird / er tut so, als habe er die gewißheit durch eine institution - und das tut er, um uns es fest versichern zu können, daß es so sei / er will beruhigen, angst vor dem sterben nehmen - eine gute absicht in schöner form dargeboten / das überzeugt //

alles sterben und vergehen ist ja nur ein "heimlich still vergnügtes tauschen" - wir gehen, aber andere kommen - und es ist schön, wenn wir einverstanden sind mit diesem "tausch" / er fällt uns dann leichter / die blätter fallen, neue werden wachsen / die nester sind verlassen - im nächsten jahr liegen wieder eier darin / dies ist der größte trost, der für das sterben werden kann: du bist da und stirbst, damit neues werden, kommen kann / und der gag liegt in diesem gedicht darin, daß der tod ausgetrixt wird - es gibt ihn nicht - denn alles ist nur ein tauschen, ein heimliches tauschen, das uns sogar vergnügt, weil wir die gewißheit haben, daß ja etwas neues kommt! / und damit haben wir ein stilmittel (6) - über die sprache hinaus: es geht hier um etwas, was NICHT GENANNT wird: der tod / der tod ist aufgehoben - das sterben ist ein tausch geworden, auf den wir gerne eingehen, weil wir uns freuen, daß etwas neues kommt / das sterben bringt uns nicht fort in ein "reich des todes", sondern beläßt uns in der uns vertrauten welt als tauschobjekt für das neue, bessere, andere, kommende / inhalt und gehalt werden so zu einem stilmittel, weil sie eine funktion haben: in uns eine stimmung auszulösen, die das sterben milder erscheinen läßt //

ich hoffe, ich habe dich ncht zu serh vollgestopft mit geschwätz / wenn du langsam die zeilen durchgehst, hast du die sechs stilmittel, die du dir rausschreiben kannst - sie gelten für alle dichtung. Danach unterscheidet sich, ob ein gedicht gelungen (gut) oder weniger bzw. nicht gelungen ist / wenn diese stilmittel im sinne von einheit von form und inhalt korrespondieren, so hast du ein gutes gedicht vor dir - auch wenn dir selbsr inhalt oder sprache nicht passen. Die geschmäcker snd verschieden - dürfen und sollen das - wir lieben auch nicht alle die gleiche frau (wäre ja furchtbar!) - aber wenn die hünsch ist, freundlich, zuverlässig, warmherzig, ehrlich usw. - dann ist das eine gute frau / so ist das auch mit den gedichten - wenn die kriterien stimmen, also die stilmittel gut gebraucht sind und die einheit von form und inhalt vorhanden ist - haben wir ein gutes gedicht (noch einmal: auch wenn es dir nicht gefällt) //

ich hoffe, ich habe dir geholfen / gutes gelingen für den gebrauch /

mfg

derKLEINEwolf  09.10.2009, 02:50

hallo, strongcock,

stelle eben fest, daß ich mangels ausdruck ein xxxx einsetzte / das machte ich, weil mir der ausdruck nicht gleich einfiel / wollte das später nachholen und vergaß es //

hier also die lösung: stilmittel (2) - in der form des umschließenden reimes / das heißt die reime bb werden von den reimen a umschlossen / auch das ein zeichen für wärme, ruhe / reime, die sich wechseln wie abab (gehen - meinen - stehen - scheinen) wirken mehr als bewegung, bringen weniger ruhe / selbst das also paßt zu der stimmung des ganzen - auch hier wieder einheit von form und inhalt //

ciao - alles gute!

Personifizierung (Lüfte streicheln Wald, müde Blätter); Inversion (Nester, die nicht Schutz mehr brauchen); Vergleich (als hör ich Kunde wehen)

Ich tippe auf Akkumulation.