Wird Faust am Ende der Tragödie "Faust" zu Recht gerettet?

3 Antworten

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Man könnte sagen: Faust hat schwere Schuld auf sich geladen, deshalb ist er zu Unrecht gerettet worden. Doch worin liegt seine Schuld? Den Untergang von Philemon und Baucis (in Faust II, 5. Akt) hat er nicht zu verantworten, er hatte Mephistopheles einen ganz anderen Auftrag gegeben: „Wart ihr für meine Worte taub? Tausch wollt' ich, wollte keinen Raub! Dem unbesonnenen, wilden Streich, ihm fluch ich...!“ (s. V. 11354 ff). Auch gegenüber Gretchen kann er keine Schuld empfinden, er hatte alles Mögliche getan, sie zu retten, aber Gretchen hatte ihre Mutter (unabsichtlich) und ihr Kind (mit Absicht) getötet, außerdem war sie wahnsinnig geworden; Fausts Rettungsaktion musste scheitern (s. Ende des 1. Teils). Der Schlaftrunk, der Margaretes Mutter tötete, war (wahrscheinlich) von Mephisto vergiftet worden; Faust trägt an dem Mord keine Schuld, er dachte, es sei ein Schlafmittel. Faust hat aber Margaretes Bruder Valentin getötet, allerdings im Duell, und Mephisto führte ihm die Klinge. Eine moralische Schuld, für die sich Faust vor Gott verantworten müsste, zählt bei Faust sowieso nicht. Er ist nämlich kein gläubiger Christ. Am Ende „outet“ er sich als Atheist bzw. als Agnostiker: „Ich bin nur durch die Welt gerannt.“ (s. V. 11415-11444) „Nach drüben ist die Aussicht uns verrannt; Tor, wer dorthin die Augen blinzelnd richtet, sich über Wolken seinesgleichen dichtet!“ - Faust glaubt nicht an einen Gott, der ihm irgendeine Schuld vergelten könnte; sein Trachten ist allein auf die irdische Welt gerichtet, die jenseitige Welt kümmert ihn nicht: „Dem Tüchtigen ist diese Welt nicht stumm! Was braucht er in die Ewigkeit zu schweifen?... Wenn Geister spuken, geh er seinen Gang...“ So tritt auch, als nach dem Flammentod von Philemon und Baucis (im 5.Akt) sich 4 graue Weiber – der Mangel, die Schuld, die Sorge und die Not – aus dem Rauch des brennenden Hauses lösen, allein die Sorge in Fausts Palast ein, haucht ihn an, sodass er erblindet. Die drei anderen Weiber, also auch die Schuld, gehen an dem Palast vorbei. Das besagt, Faust ist frei von Schuld bzw. er hat überhaupt kein Schuldgefühl. – Faust könnte aber aus einem anderen Grunde dem Teufel verfallen sein, also am Schluss von Faust II zu Unrecht gerettet werden. Er hatte mit Mephisto jenen Vertrag geschlossen und dabei gelobt: „Werd ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen….Kannst du mich schmeichelnd je belügen…..Kannst du mich mit Genuss betrügen, das sei für mich der letzte Tag….Sag‘ ich zum Augenblick, verweile doch, du bist so schön, dann magst du mich in Fesseln schlagen…“ (s. V. 1696 ff). Genau letzteres sagte nun Faust am Ende des Dramas: „Zum Augenblicke dürft ich sagen, verweile doch, du bist so schön…. Im Vorgefühl von solchem hohen Glück, genieß ich jetzt den höchsten Augenblick!“ (s. V. 11573 ff). Doch nur dem Wortlaut nach hat Mephisto seine Wette gewonnen. Der Augenblick des höchsten Glückes ist weder durch die Befriedigung der Sinnenlust noch sonst durch Mephistos Verführung zu andern Begierden herbeigeführt worden; sondern Faust hat durch immerwährendes Streben z.B. Land gewonnen und urbar gemacht, sodass den Mitmenschen, den Millionen, Räume zum Wohnen eröffnet wurden, „nicht sicher zwar, doch tätig frei zu wohnen….im Innern hier ein paradiesisch Land…Und so verbringt, umrungen von Gefahr hier Kindheit, Mann und Greis sein tüchtig Jahr, solche ein Gewimmel möchte ich sehn, auf freiem Grund mit freiem Volk zu stehn!“ Die Freude darüber ist bei Faust ganz spontan und frei von Eigennutz (Faust II, 5. Akt, v. 11573 ff). Am Schluss, als Fausts Seele in die höheren Sphären der Mater gloriosa, der Himmelskönigin, getragen wird, heißt es denn auch: „Gerettet wird das edle Glied der Geisterwelt vom Bösen: wer immer streben sich bemüht, den können wir erlösen!“ (V. 11918 ff). Hinzu kommt die Kraft der Liebe des verstorbenen Gretchens, die Fausts Seele entgegenschwebt und bei der Himmelkönigin für Faust Fürbitte leistet. Deshalb heißt es am Schluss: “Das ewig Weibliche zieht uns hinan.“ (gemeint ist die reine Liebe Gretchens).

LiloB  21.10.2015, 18:22

wie erfreulich, in einer Welt, in der (auch in der Literatur) überwiegend auf Sex,Crime und Action geachtet wird, jemand sich die Mühe macht, Goethe zu zitieren. Und auch Hilfe bei der Beantwortung einer nicht ganz einfachen Aufgabe behilflich zu sein.

Schade, daß es keine Sterne mehr zu verteilen gibt,-  hier wäre mehr als einer wert, vergeben zu werden ,- an Haldor, wie schon oft.

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pequenas11 
Fragesteller
 23.10.2015, 13:38

Genial, DANKE!!!

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Genau das ist die Frage, an der sich die Geister scheiden (bzw. unterscheiden). Bei der älteren Version von Goethes Faust war die christliche Version (letzte Szene) die positive Zukunftsversion. Da heißt es "ist gerichtet - ist gerettet". Also das Verprechen des Christentums (Jesus nimmt die Sünden auf sich), trotz aller Verfehlungen möglicherweise doch ins Paradies zu kommen und nicht endgültig in die Hölle. Deren er sich ja lange Zeit mit Hilfe von Mephisto bedient hat. Wenn Du dieser Version folgtst, wird ihm verziehen- also kannst Du ihm auch seine sehr menschlichen Fehler vielleicht verzeihen.

Also Güte statt Rache - oder Gerechtigkeit. Verzeihen statt bestrafen. Du selbst mußt allerdings den Schwerpunkt setzen,- d.h. entscheiden, ob seine Verfehlungen (Herausforderung Gottes durch ihn und Mephisto) zu schwer wiegen. Auch seine Schuld gegenüber Margarethe sollte nicht unterschätzt werden. wird diese durch sein Leiden, Bedauern, seine Reue aufgewogen?

Den Schwerpunkt solltest aber Du setzen,- denn das ist die Frage an Dich, nicht an uns.

pequenas11 
Fragesteller
 23.10.2015, 13:38

danke :)

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Du wirst doch aber eine eigene Meinung dazu haben, oder? Trau Dich, diese kund zu tun. Selbst die Aussage, dass Deine Meinung zwiespältig ist (falls es so wäre) ist eine Meinung. Diesen Job kann Dir hier niemand abnehmen. Vielleicht denkst Du mal in unterschiedliche Richtungen. Wie wäre denn die Auffassung: "es gilt, ein Menschenleben zu retten" aus philosophischer, ethischer, medizinischer Sicht zu beurteilen? Und welche Rolle spielen solche Begriffe wie Recht auf das Leben, Schuld, Verantwortung, Strafe, Gerechtigkeit usw. Mach was draus, Du schaffst das.

pequenas11 
Fragesteller
 23.10.2015, 13:38

danke :)

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