Wie viele Einwohner hatte Gallien zu Zeiten Caesars?

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Genaue statistische Angaben für die Gesamtzahl der Einwohner zur Zeit Caesars gibt es nicht. Auch über das gemeinte Gebiet ist eine Verständigung nötig. Neben den drei Teilen Galliens, die Gaius Iulius Caesar, Commentarii de Bello Gallico 1, 1, 1 nennt und die Belger, Aquitanier und Kelten/Gallier bewohnen, gibt es die römischen Provinzen Gallia cisalpina und Gallia Narbonensis sowie das Gebiet der Stadt Massalia.

Möglich sind nur ziemlich grobe Schätzungen und aufgrund der Notwendigkeit, in gewissem Ausmaß Vermutungen zugrundezulegen, die nur sehr ungefähre Annahmen sind, ist es bei den Schätzungen auch zu voneinander beträchtlich abweichenden Ergebnissen gekommen.

Caesar hat die besiegten Helvetier und Verbündeten zählen lassen (Commentarii de Bello Gallico 1, 29, 2 – 3; danach kehrten von 368000 ausgewanderten Helvetiern und Verbündeten nur 110000 - zwangsweise - in ihre Heimat zurück) und gibt Zahlen zu Truppenaufgeboten verschiedener Stämme und zu gegnerischen Verlusten an. Er hatte wohl nicht immer zuverlässige Daten und hat anscheinend außerdem zumindest teilweise mit hohen Zahlen übertreiben, um Eindruck zu erzeugen (Siege über eine Riesenmasse von Gegnern), vielleicht auch um nicht mit der Staatskasse eine sehr hohe Anzahl von Gefangenem als Beute (zur Versklavung) abrechnen zu müssen.

Wahrscheinlich ist eine Bevölkerungszahl für Gallien insgesamt im Bereich zwischen 4 und 10 Millionen Menschen.

Julius Beloch, Die Bevölkerung der griechisch-römischen Welt. Leipzig : Dunker & Humblot, 1886 (Historische Beiträge zur Bevölkerungslehre ; Theil 1), S. 460 nennt aufgrund seiner Untersuchungen 636000 Quadratkilometer, 4890000 Einwohner und eine Bevölkerungsdichte von 7,6 Einwohner pro Quadratkilometern.

Julius Beloch, Die Bevölkerung Galliens zur Zeit Caesars. In: Rheinisches Museum für Philologie 54 (1899), S. 414 – 445 räumt in einer zweiten Berechnung die Möglichkeit von 6750000 Einwohnern ein, bevorzugt aber eine Zahl von 570000 Einwohnern und 9,1 Einwohner pro Quadratkilometern.

Einige andere Veröffentlichungen gehen deutlich darüber hinaus.

Wolfgang Will, Julius Caesar : eine Bilanz. Stuttgart ; Berlin ; Köln, Mainz : Kohlhammer, 1992 (Urban-Taschenbücher ; Band 448), S. 96 - 97:
„Laut Plutarch und Appian starben im römischen Krieg eine Million Kelten, eine weitere Million wurden versklavt. Plutarch zufolge repräsentieren sie zwei Drittel der Toten der waffenfähigen Bevölkerung, nach Appian die Hälfte. Die Zahl der Toten unter der Zivilbevölkerung lag möglicherweise noch höher. Sie läßt sich ebensowenig schätzen wie die Gesamteinwohnerschaft. Weder aus der Größe der Oppida noch aus den Gräberfunden sind zuverlässige Angaben zu gewinnen. Die literarische Überlieferung beschränkt sich vornehmlich auf Caesar, den auch Plutarch, Polyaen, Appian und Orosius teilweise ausschrieben. In den Commentarii werden mit Berufung auf einheimische Verzeichnisse 263000 Helvetier, 36000 Tulinger, 14000 Latobicer, 23000 Rauracer und 32000 Boier gezählt. Ebenfalls mit Hinweis auf keltische Quellen bezifferte Caesar die belgischen Bellovacer auf 15000, Suessionen und Nervier auf 50000, die Atrebaten auf 15000, Moriner und Menapier auf 25000 bzw. 9000, Ambianer, Caleten, Veliocasser und Voriomanduer auf je 10000 sowie die Atuatucer auf 19000 Waffenfähige. Strabon will von 400000 bewaffneten Avernern und Helvetiern sowie 300000 Belgern wissen, Diodor behauptet im 5. Buch seiner noch in der späten Republik publizierten »Bibliotheke«, die größten Stämme hätten ungefähr 200000 Krieger umfaßt, die kleinsten noch 50000.

Mehrere Unsicherheitsfaktoren machen eine Gesamtrechnung sehr schwierig. Das Verhältnis zwischen waffenfähigen und Gesamtbevölkerung ist nicht gesichert. Bei den Atuacern errechnete Caesar mit 1 : 3 (19000 : 57000), bei den Helvetiern betrug es, ebenfalls nach seinen Angaben, jedoch nur knapp 1 : 4 (92000 : 368000). Übertreibungen sind vorauszusetzen. Auch ist der aus der Antike überlieferte Katalog der gallischen Stämme nicht vollständig. Die Forschung zählt 60 Stämme, davon 40 kleinere, auch die doppelte bzw. dreifache Menge wird nicht ausgeschlossen. Hochrechnungen auf die Bevölkerung der drei Gallien divergieren zwischen 5 und 20, ja sogar 48 Millionen. Realistisch dürfte die Schätzung zwischen 4 und acht, maximal zehn Millionen sein. Sie kämen auch den Vorstellungen Plutarchs und Appians nahe."

Albrecht  07.03.2014, 08:03

S. 264 Anm. 21 Quellen und Literatur

Edmond Frezouls, Gallien und römisches Germanien. In: Handbuch der europäischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Herausgegeben von Wolfram Fischer, Jan A. van Houtte, Hermann Kellenbenz, Ilja Mieck und Friedrich Vittinghoff. Band 1: Europäische Wirttshafts- und Sozialgeschichte in der römischen Kaiserzeit. Unter Mitarbeit von John H. d'Arms, Anthony R. Birley, José María Blázquez, Glen W. Bowersock, Edmond Frezouls, András Mócsy, Mihály Párducz, Henri Willy Pieket, Jaroslav Šašel Jaro Saselt, Franz Tichy, Rafael von Uslar, Hartmut Wolff herausgegeben von Friedrich Vittinghoff . Stuttgart : Klett-Cotta, 1990, S. 434 – 435: 11- 12 Millionen

Albert Grenier, La Gaule Romaine. In: An economic survey of ancient Rome. Edited by Tenney Frank. Volume 3. Baltimore : Johns Hopkins Press, 1937, S. 574 – 757: 15 – 20 Millionen

Camille Jullian, Histoire de la Gaule. Tome 2: La Gaule indépendante. Troisième edition. Paris : Hachette, 1923, S. 8: 20 – 30 Millionen

John Drinkwater, Roman Gaul: The three provinces 58 BC - AD 260. London: Croom Helm, 1983, S. 169 – 170: 8 – 12 Millionen

Jacques Moreau, Die Welt der Kelten. Zürich : Fretz & Wasmuth, 1958 (Grosse Kulturen der Frühzeit ; N. F.), S. 76 – 77: 15 – 25 Millionen

Gabriele Schulte-Holtey, Untersuchungen zum gallischen Widerstand gegen Caesar. Dissertation Münster, 1968, S. 39 – 40: 15 – 20 Millionen

Jacques Harmand, Une campagne césarienne: Alesia. Paris : Picard, 1967, S. 94, S. 104 und S. 265: 5 – 10 Millionen

Forschungsbericht:

Sabine Rieckhoff-Pauli, Das Ende der keltischen Welt: Kelten – Römer – Germanen. In: Die Kelten in Mitteleuropa : Kultur, Kunst, Wirtschaft ; Salzburger Landesausstellung 1. Mai - 30. Sept. 1980 im Keltenmuseum Hallein Österreich. Amt der Salzburger Landesregierung, Kulturabteilung (Hrsg.). Für den Inhalt verantwortlich: Peter Krön. Redaktion: Ludwig Pauli. Katalogteil Ludwig Pauli. Salzburg : Amt der Salzburger Landesregierung, Kulturabteilung,1980. S. 37 - 47

in einer wissenschaftlichen Bibliothek vielleicht zugänglich:

Günter Stangl, Antike Populationen in Zahlen : Überprüfungsmöglichkeiten von demographischen Zahlenangaben in antiken Texten. Frankfurt am Main ; Berlin ; Bern ; Bruxelles ; New York ; Oxford ; Wien : Lang, 2008 (Grazer altertumskundliche Studien ; Band 11), S. 270 – 287 (7.5. Gallia und Caesar – Ein ungleiches Kräfteverhältnis?)

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Das zu erobernde Gebiet umfasste das heutige Frankreich, Belgien, Luxemburg, das linksrheinische Deutschland, einen Teil der heutigen Schweiz sowie die Niederlande südlich des Rheins. Die südliche Küste Galliens wurde schon im späten 2. Jahrhundert v. Chr erobert von der Römischen Republik. Unmittelbar vor der Eroberung waren es wahrscheinlich 8-9 Millionen Menschen gewesen, unmittelbar nach der Eroberung 6-7 Millionen. Dieser Bevölkerungsverlust von rund 2 Millionen binnen 7 Jahren ist durch die brutale Kriegsführung Caesers und seiner gallischen Hilfstruppen zu begründen.