Wer kennt sich mit dem Asperger-Syndrom aus oder ist selbst betroffen?

2 Antworten

Wie sieht der Alltag eines Asperger-Autisten aus? Gibt es konkrete Strukturen und Routinen denen Sie folgen ?

Ich stehe auf, frühstücke, setze mich an meinen PC und arbeite bis zur Mittagspause. Dann koche ich mir etwas zu Essen, dann arbeite ich weiter bis zum Feierabend. Abends esse ich etwas und schaue Netflix, lese ein Buch, programmiere etwas, oder verbringe Zeit mit WG-Mitbewohnern. Manchmal gehe ich einkaufen. Manchmal dusche ich abends noch. Dann verbringe ich noch Zeit am Handy (soziale Medien, Schach, etc.) und höre Musik, bevor ich schlafen gehe.

Wie empfinden Sie soziale Interaktionen im Alltag? (Gesellschaft, Ausschluss...)

Soziale Interaktionen können stressig sein. Vor allem, wenn viele Menschen beteiligt sind, und ich die Leute nicht/kaum kenne. Von größeren Familienfeiern verschwinde ich immer nach ein paar Stunden wieder.

Welche Kommunikationsmethoden oder -strategien nutzen Sie, um mit anderen zu interagieren?

Ich spreche mit ihnen.

Ja, meine Kommunikation ist anders als bei neurotypischen Menschen. Ich kann zwar Augenkontakt, mache ich aber eher ungern. Ich verwende nicht viel Mimik oder Gestik, um Gefühle auszudrücken. Wenn mich etwas unglücklich macht, sage ich es geradeheraus. Ich hasse Smalltalk, ich rede aber sehr gerne über reguläre Ausdrücke, Unicode oder andere spannende Themen.

Wie beeinflusst Ihre Wahrnehmung Ihr tägliches Leben?

Meinst du, wie ich Dinge wahrnehme, oder wie ich wahrgenommen werde? Die meisten Menschen bemerken nicht, dass ich autistisch bin. Sie merken aber, dass ich

  • sehr introvertiert bin
  • sehr ehrlich bin
  • sehr neugierig bin und mich mit gewissen Dingen erstaunlich gut auskenne
  • analytisch und präzise denke
  • zu Perfektionismus neige

Andererseits merken sie auch manchmal, dass ich unzuverlässig bin, z.B. weil ich Dinge vergesse oder zu spät aufstehe.

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Ich möchte einmal erwähnen, dass alle Menschen unterschiedlich sind, und das gilt ganz besonders für autistische Menschen. Es gibt nicht den "klassischen Asperger-Autisten", auch wenn das gerne so dargestellt wird.

Hinzu kommt, dass viele autistische Menschen mehrere Diagnosen haben. Ich bin nicht nur autistisch, sondern habe auch ADS und war bis vor wenigen Jahren schwer depressiv. Weitere häufige Begleiterkrankungen von autistischen Menschen sind Traumastörungen, Burnout, Alexithymie (Gefühlsblindheit), Essstörungen und verschiedene körperliche Beschwerden.

Ich bin außerdem queer, und bin damit unter autistischen Menschen keine Ausnahme. Zum Beispiel sind laut einer Studie von 2009 etwa 33% von autistischen Menschen anscheinend asexuell, und 15% sind laut einer Studie von 2018 trans oder nichtbinär.


SophSoph07 
Beitragsersteller
 30.01.2025, 16:27

Hallo, erstmal ganz lieben Dank für deine Antwort.

Bezüglich deines Tagesablaufes hätte ich noch eine Frage. (entschuldigen Sie, falls es Sie stören sollte, dass ich nicht ganz so förmlich schreibe)

Ist es da immer die gleiche Tagesroutine ? Bzw. stört es dich, wenn da was anders abläuft? (z.B. Zwischenfälle)

Oder gibt es auch direkte Herausforderungen in deinem Alltag, denen du dich stellen musst? Wie kommst du damit zurecht ?

Bei der 4. Frage meinte ich so ziemlich beides. Also auch wie du die Dinge wahrnimmst. Gibt es da etwas "Besonderes"?

Wenn du soziale Interaktionen im Alltag für manchmal stressig empfindest, hast du da trotzdem viele soziale Kontakte ? (Freunde, Bekannte etc.) Und wissen diese auch, wie sie mit "deiner Situation" umgehen sollen, bzw. wie sie dir helfen ? (bisschen schwierig hier die richtigen Worte dafür zu finden XD)

Entschuldige wenn ich viele Fragen stelle, nur interessiert mich das Thema ungemein. (Deshalb auch Belegarbeit XD)

LG

VeryBestAnswers  30.01.2025, 19:27
@SophSoph07

Es freut mich, dass dich das Thema interessiert!

Ist es da immer die gleiche Tagesroutine ?

Größteils ja, durch die Arbeitszeiten bedingt. Wochenends oder wenn ich Urlaub habe, bin ich flexibler. Zwischenfälle stören mich nicht, solange ich dadurch nicht direkt einen Nachteil habe. Ich übernachte nicht gerne woanders, aber das liegt glaube ich v.a. daran, dass ich als introvertierter Mensch viel Zeit für mich brauche und mein eigenes Zimmer ein Gefühl von Sicherheit vermittelt.

Oder gibt es auch direkte Herausforderungen in deinem Alltag, denen du dich stellen musst?

Ja, natürlich. Eine Herausforderung ist zum Beispiel Bahnfahren. Ich muss ca. alle 2 Wochen zur Arbeit in die Stadt fahren, und manchmal fahre ich auch meine Familie oder Freunde zu besuchen. Volle Züge sind für mich nur mit ANC-Kopfhörern ertragbar.

Die 5-Tage-Woche finde ich sehr stressig. Ich arbeite deshalb aktuell nur 80%, also 4 Tage die Woche. So habe ich den Freitag zum Entspannen und das Wochenende fürs Einkaufen, Putzen und andere Erledigungen, sowie für Zeit mit Freunden.

Bei der 4. Frage meinte ich so ziemlich beides. Also auch wie du die Dinge wahrnimmst.

Das kommt ganz darauf an, worum es geht. Grundsätzlich habe ich die gleichen Sinnesorgane wie andere Menschen auch. Die größten Unterschiede sind bei der Kommunikation: Zum Beispiel bin ich nicht so gut darin, zwischen den Zeilen zu lesen, was von mir erwartet wird. Deswegen rede ich auch meistens nicht viel.

Wenn du soziale Interaktionen im Alltag für manchmal stressig empfindest, hast du da trotzdem viele soziale Kontakte ?

Nein, ich hatte noch nie viele Freunde. Eine ganze Weile lang hatte ich keinen einzigen Freund. In der Zeit war ich auch schwer depressiv. Inzwischen wohne ich in einer WG und verstehe mich gut mit den anderen Bewohnern. Ich habe noch eine weitere gute Freundin. Außerdem habe ich ein gutes Verhältnis zu meinen Geschwistern. Beziehungen aufrecht zu erhalten fällt mir sehr schwer. Aktuell wissen aber alle, dass ich autistisch bin. Hilfe brauche ich keine, nur ein wenig Rücksicht. Ich bin inzwischen ganz gut darin, selbst auf meine Bedürfnisse zu achten.

Ich wünsche dir viel Erfolg bei der Belegarbeit 🤞

"Den" Autismus gibt es nicht. Jeder von uns kann seine Diagnose anders haben. Dies führt allerdings auch dazu, dass viele Leute den Autismus nicht als Autismus ansehen, wenn gewisse Merkmale nicht erfüllt sind. Das musste ich besonders von vielen Psychologen feststellen. Dass man sich noch mehr um mich kümmern muss, als die meisten Leute dies tun wollen, ärgert auch ganz viele. Deswegen wurde ich schon an Schulen in der Integrationsklasse mit dem Status nicht genommen und es hatte einige Jahre mehr gedauert, bis ich endlich einen Beruf hatte, in dem ich inzwischen seit fünf Jahren fest im Sattel bin. Dies aber auch, weil es im Hotel ist, wo Inklusion gefördert wird (dort wollte man mich zuerst zwar auch nicht, aber dies nicht wegen meinem Autismus). Trotzdem ist es traurig, dass besonders Autisten darunter leiden, dass viele Unternehmen sie nicht wollen. Zwar hatte der Staat schon versucht, zu reagieren und Strafen verhängt, wenn gewisse Behindertenquoten in Unternehmen nicht erfüllt sind. Leider zahlen die meisten Unternehmer lieber die Strafe.

Was zu mir zu sagen ist: ich bin begabt mit Fremdsprachen und in der Musik und begeistere damit ganz viele. Was mich immer wieder freut. Auch bin ich begabt darin, mir Sachen merken zu können und nach Jahren noch wiedergeben zu können (leider auch die negativen Ereignisse, mit denen ich leider schwer abschließen kann). Ich bin drauf angewiesen, in absoluter Ruhe zu arbeiten, klare Ansagen zu erhalten und immer jemanden da zu haben, der in heiklen Situationen helfen kann. Im Hotel erhalte ich natürlich die unterschiedlichsten Kunden. Von den herzlichsten Freunden bis zu denen, wo fast die Fäuste fliegen. Zwar hat mich meine Erfahrung schon abgehärtet, aber ich brauche trotzdem Unterstützung von anderen.

Ich weiß ebenfalls nicht, wie ich auf andere wirke. Es hatte bei mir zum Beispiel eine vollkommene Umstellung meiner Handlungen gebraucht, um mich davon abzuhalten, dass ich z.B. ohne Reue jemandem "auf die Fresse gehauen" hab, weil ich in dem Moment nicht verstanden habe, warum es falsch war. Zum Glück ist das vorbei, aber es hatte gedauert. Schwer ist für mich auch noch, Sachen anzusprechen, die mich belasten, weil ich meist Angst habe, wenn ich was falsches sage, wird es auf mich zurückkommen und ich kriege dann allen Ärger.


SophSoph07 
Beitragsersteller
 30.01.2025, 20:04

Ganz lieben Dank auch dir, für deine Rückmeldung und deine Öffenheit. Ich freue mich so viele Ansichten zu bekommen. Es tut mir natürlich leid, dass dein Start im Leben mit so vielen Hürden gespickt war und ist. Und trotzdem gehe deinen Weg.

Aus deiner Antwort konnte man nur nicht rauslesen welche Form des Autismuses du hast. Bzw. Hab ich das richtig verstanden, dass du keine genau definierte hast ?

Ich weiß, dass die Übergänge der ASS sehr fließend sind und daher zunehmend die Klassifizierung verschwimmt (siehe ICD-11; Es gilt aber bisher noch der ICD-10), aber gibt es bei dir eine Tendenz?