Was ist die Aussage dieses Gedichtes von Ringelnatz?

2 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Das Gedicht ist durchaus nicht romantisch. Da kennst du Ringelnatz schlecht.

Schau dir mal diese Zeilen genau an:

Ein Sofa ist entstanden,

So wie ein Flußbett entstand.

Wo immer Schiffe landen,

Finden sie immer nur Land.

Hier ein Gedicht von ihm, wo man merkt, wie viel er ganz bewusst in wenige Zeilen hineinsteckt.

Joachim Ringelnatz

Der Briefmark

Ein männlicher Briefmark erlebte

was Schönes, bevor er klebte.

Er war von einer Prinzessin beleckt.

Da war die Liebe in ihm erweckt.

Er wollte sie wiederküssen,

da hat er verreisen müssen.

So liebte er sie vergebens.

Das ist die Tragik des Lebens!

Hier geht es um Verdinglichung, Gendern, Verzwecklichung der Liebe , äußeren Zwang der Frau gegenüber dem Mann, das Wesen von Freiheit und noch viel mehr.

Etwas bescheidener der Interpretationsansatz für eine 6. Klassenstufe:

Hier wird eine Briefmarke personifiziert, sogar bis in die Wortform „der Briefmark“ hinein: Er erlebt etwas Schönes: Er wird geküsst (beleckt, befeuchtet), will seinerseits die Prinzessin küssen, muss aber „verreisen“ (Brief wird abgeschickt). Fazit: Er liebt vergebens – das ist die Tragik des Lebens. Das Gedicht ist lustig, weil jeder weiß, dass Briefmarken nichts erleben können; vielleicht werden auch die unrealistische Liebeshoffnung oder der deswegen überzogene Liebeskummer verspottet. Die Personifizierung dient dazu, eine neue Perspektive auf vermeintlichen Liebeskummer zu eröffnen, also ein lustiges Gedicht zu verfassen.

An diesem Gedicht sieht man sehr schön den Unterschied zwischen dem Sprecher in einem Gedicht und dem Autor: Der Sprecher setzt als normal voraus, dass Briefmarken sich verlieben können; der Autor J. Ringelnatz wusste natürlich, dass es so etwas nicht gibt! Dem entspricht die Differenz zwischen der Sicht des Sprechers und der Sicht des Lesers; der Leser weiß ebenfalls, dass der Sprecher etwas „sieht“, was es so nicht gibt. Solche vom Autor bewusst hergestellten Differenzen zwischen den Perspektiven des Sprechers und des Lesers sind oft ganz reizvoll, wie ja auch im Kölner Karneval die Reden der "Doofen" meistens am eindrucksvollsten sind.


Angulimala1610 
Fragesteller
 04.10.2023, 01:23

"Das Gedicht ist durchaus nicht romantisch. Da kennst du Ringelnatz schlecht." Gott, ich hab doch gesagt, dass es eine Kritik an der Romantik darstellt. Kannst du nicht lesen???

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Fontanefan  04.10.2023, 07:27
@Angulimala1610

" Ich weine vor Glück, weil ich mir nicht diesen romantischen Scheiß geben muss."

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Die Aussage des Gedichts ist, dass Ringelnatz seine Zuneigung nicht ausschließlich der Natur entgegenbringt, sondern auch in anderen Dingen Schönheit und Wert sieht. Es könnte auch eine gewisse Ironie enthalten, da er eine Mauer streichelt, die im Gegensatz zur Natur keine Reaktion zeigt. Der letzte Vers mit den weinenden Menschen vor Glück könnte darauf hindeuten, dass für manche Menschen die Schönheit und Bedeutung der Natur in ihrer Unverfälschtheit liegt, während für andere Schönheit und Bedeutung auch in künstlichen Schöpfungen zu finden ist.


JWDHF  03.10.2023, 19:34

Passt. Hätte ich ähnlich auch so zusammengefasst.

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