Was ist innerhalb von nur 30 Jahren passiert, dass sich in Europa ein solcher Kulturpessimismus breitgemacht hat?

8 Antworten

Ich denke auch das die Technik segen und fluch ist, in den 90er war man schlicht nicht Zuhause wenn das Telefon bimmelte, die Pflicht immer, zu jeder Zeit erreichbar zu sein gab es nicht. Bin selber 84 geboren, ich kenn noch die Geduld die man für die ersten Internetbesuche brauchte , alleine bis so ein PC hochgefahren war hat ewig gedauert. Heute kriegt man alles relativ ungefiltert um die Ohren gehauen, man ist mit smartphone nicht nur jederzeit telefonisch erreichbar sondern muss auch bei whatsapp dank Häkchen schnell reagieren um niemand zu verletzen. Man bekommt weltweite Nachrichten, Storys, Videos um die Ohren gehauen , Sachen von denen ich damals zu meiner Zeit nix gehört habe. Dazu kamen unzählige Krisen die es nicht besser gemacht haben (Terror, weltwirtschaftskrise, kriegen, Naturgewalten die man sich so nie hätte vorstellen können). Ich denke es ist zuviel unser Gehirn bekommt dadurch faktisch nie Pausen um überhaupt alle Informationen zu verarbeiten und sich zu erholen.

Immerehrlich615  08.09.2023, 09:36

Ja diese indirekte Verpflichtung 24/7 erreichbar sein zu müssen

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Neben den bereits genannten technischen „Fortschritten“ hängt es aus meiner Sicht auch damit zusammen, dass sich die Politik emanzipiert hat. Vielleicht könnte man sagen, dass sie dreister wurde. Andere behaupten, dass die Politik den Kontakt zur Basis verloren hat. Vermutlich sind das Auswüchse der immer stärker in die Nationalstaaten einwirkenden EU. Dadurch wird der Eindruck geweckt, dass die nationalen Regierungen eher Vorgaben aus Brüssel nachkommen als konkrete Innenpolitik für die Belange des eigenen Landes durchzuführen.

Es wird stets behauptet, Deutschland sei ein reiches Land. Trotzdem werden notwendige Reformen aus Kostengründen ausgesetzt oder nur so schleppend bearbeitet, dass es sich wie jahrelange Autobahnbaustellen anfühlt. Das führt letztlich zu Frust in Teilen der Bevölkerung, weil augenscheinlich nichts vorangeht. Stattdessen werden Milliarden für umstrittene Bauprojekte ausgegeben (Stuttgart21, BER, Elb-Philharmonie) oder wie jüngst verlautete stehen 212 Mrd Euro bereit, um die Ansiedlung von deutschen Industriestandorten ausländischer Firmen zu subventionieren, wie TSMC, Tesla, etc.)

Für die Bundeswehr fand sich ein Sondervermögen von 100 Mrd. aber die Familienministerin musste beim Finanzminister betteln und dennoch wurden die geforderten weil notwendigen 12 Mrd. der Kindergrundsicherung auf lediglich 2 Mrd zusammengestrichen.

Studenten, denen kein Bafög zusteht, können Studentenkredite erhalten. Warum aber zu horrenden Zinssätzen? Ist der Politik ein Student nichts mehr wert?

Zusammengefasst erlebt man in Deutschland eine soziale Benachteilung auf diversen Gebieten, die ebenfalls auf eine negative Grundstimmung zurückzuführen ist. Längst nicht jeder ist davon betroffen, aber ausreichend viele.

DrOnion95 
Fragesteller
 15.08.2023, 08:29

Aber da würde es dann wenig Sinn machen sich radikalen Strömungen zuzuwenden, die diese Mängel ja erst nicht beheben wollen oder?

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Amtsschreck  15.08.2023, 08:46
@DrOnion95

Ist es radikal, wenn man sich für das Wohl des eigenen Landes einsetzt und die EU bzw. andere Länder erst an zweite Stelle setzt? Deutschland ist in der EU ein Geberland. Das ist doch ein wichtiger Aspekt. Solidarität zu anderen Mitgliedstaaten ist nur insofern tolerierbar, solange die Belange der eigenen Bevölkerung nicht zu kurz kommen. Stichwort Kinder- und Altersarmut, von der ca. 10 Millionen Menschen im „reichen“ Deutschland betroffen sind.

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DrOnion95 
Fragesteller
 15.08.2023, 08:52
@Amtsschreck

Da würde ich dir absolut zustimmen, aber die rechte Partei in meinem Land (FPÖ) und die wahrscheinlich auch die AfD und die Pegida, die meinen mit ,,Wir sind das Volk" ja nicht unbedingt, die gesamte Bevölkerung, sondern ganz bestimmte Merkmale, die jemand vorweisen muss. Für einige Leute reicht es schon homosexuell oder Eltern mit Migrationshintergrund zu haben, damit nicht mehr zum ,,Wir gehörst", obwohl in beiden Fällen im Land geboren ist und zur Bevölkerung gehört. Und ich rede jetzt von radikalen Strömungen innerhalb der Parteien und der Wählerschaft. Da fehlt mir das gemäßigte Konservative, das die CDU einmal ausmachte.

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Amtsschreck  15.08.2023, 09:42
@DrOnion95

Mir persönlich wäre es völlig egal, welche Regierungspartei sich mit dem 16 Meter breiten Spruch „Dem Deutschen Volke“ über dem Eingang des Reichstagsgebäudes verpflichtet fühlt. Hauptsache, es würde entsprechend regiert. Aktuell habe ich dieses Gefühl nicht.

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Ursache sind immer größere gesellschaftspolitische Veränderungen, die Teile der Gesellschaft temporär abhängen, zu Verlierern machen und ihre Ansichten und Positionen, die mal mehrheitsfähig waren, ins gesellschaftliche Abseits befördern.

Es gibt keine Großbetriebe mehr mit industrieller Massenproduktion, in denen tausende von Menschen arbeiten, mithin keine Industriearbeiterklase - mit all den politischen und gesellschaftlichen Konsequenzen. Das wird im Ausland noch einmal besonders deutlich. In Frankreich und Italien kamen kommunistische Parteien auf bis zu einem Drittel Wähler - heute nicht mal mehr auf 1 %.

Schau dir die Innenstädte an. Voll mit komunalem Einzelhändler und städtischen Unternehmenrn - einer sicheren Wählerbasis der Union. Verdrängt durch hohe Mieten und günstigere Fillialisten.. Und manche kommen dabei halt als Verlierer unter die Räder. Davon gibt es insbesondere in Ostdeutschland haufenweise.

Andererseits gibt es aber auch Gewinner - und die setzen sich im Verlauf am Ende auch immer durch.

Das ist also eine "normale" Reaktion von jenen Bevölkerungsteilen, die im Rahmen eines temporär sich verstärkenden gesellschaftlichen Wandels nicht mehr mithalten können.

Homophobe Ansichten haben mal unsere Gesellschaften bestimmt. Heute sind 85 % für die "Ehe für alle" und die verbleibenden finden sich nun ihrerseits in der Rolle der latent gesellschaftlich Geächteten wieder. Das stimmt dann natürlich pessimistisch dauerwütend. :-)

DrOnion95 
Fragesteller
 15.08.2023, 09:09

Naja, wenn ich mir die Entwicklungen in den USA und Osteuropa ansehe, dann bin ich mir nicht so sicher, ob die Errungenschaften der Emanzipationsbewegungen und die Menschenrechte so abgesichert sind, wie du glaubst.

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Adzec  15.08.2023, 09:22
@DrOnion95

Tatsächlich hatte ich da zunächst auch vor allem unsere Demokratie vor Augen.

Osteuropa durchläuft unsere Entwicklung während der Weimarer Republik. Für die sind ihre aktuellen Zustände eine dramatische Verbesserung gegenüber den stalinistischen - kranken aber natürlich daran, dass es keine demokratischen Traditionen dort gibt. Andererseuts sind sie internationale fest in demokratische Strukturen eingebunden.

In den USA radikalisiert sich zwar der Konservatismus, aber schaun mer mal, ob er sich damit nicht am Ende selber stranguliert...

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DrOnion95 
Fragesteller
 15.08.2023, 09:27
@Adzec

Und was ist mit den AfD-Umfragewerten bei euch?

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Adzec  15.08.2023, 16:57
@DrOnion95

Die passen doch zu meiner Erklärung. Das sind in Westdeutschland halt die 12-15%, die immer schon ein geschlossen rechtsextremistisches Weltbild haben und im Osten die, die nach 62 Jahren erst faschistischer und dann stalinistischer Diktatur von der Demokratie enttäuscht sind, weil die moderne soziale Marktwirtschaft ihre Qualifikationen nicht weiter nachfragt. Die sterben in den nächsten Jahrzehnten aus und dann wird sich auch da eine stärkere demokratische Tradition entwickeln.

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DrOnion95 
Fragesteller
 15.08.2023, 17:44
@Adzec

Aber es ist doch nicht zu leugnen, dass es in der AfD auch jüngere und gut ausgebildete Personen gibt. Das belegen auch Umfragewerte und bei uns in Österreich führt die FPÖ im Moment sogar in Umfragen. Wir müssen uns schon überlegen, wie wir bestimmte Leute zurückgewinnen. Auch muss man doch den Leuten ohne Qualifikation doch eine Perspektive bieten, das gilt ja auch für junge geflüchtete Männer.

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Adzec  15.08.2023, 18:21
@DrOnion95

Das leugnet auch keiner. Ausreißer hast du immer. Aber unter 30 kommt die AfD kaum auf 10 %.

Für Junge Menschen lautet die erfolgversprechendste Perspektive "Anstrengungsbereitschaft". Die muss man denen nicht bieten, die müssen sie selber entwickeln. Wenn sie die entwickeln, kann man sie fördern. Den Popo pudern muss man ihnen aber nicht. :-)

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DrOnion95 
Fragesteller
 15.08.2023, 18:38
@Adzec

Naja bei Leuten, die aus völlig anderen Gesellschaften kommen und die auch sprachliche Barrieren überwinden müssen, ist das vielleicht schon noch einmal etwas anderes.

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5432112345  15.08.2023, 09:29

Ich denke momentan ist es vor allem der schleichende Wohlstandsverlust und der Mangel an Garantien für die Zukunft, der gerade viele Menschen umtreibt.

Die Rente ist schon lange nicht mehr garantiert - zumindest keine auskömmliche. Dass zukünftiges Wachstum durch Bildung, Digitalisierung, Infrastruktur, u. ä. abgesichert ist kann man auch nicht sehen. Es mangelt an allen Ecken und Enden, während gleichzeitig Milliarden für Themen verschwendet werden, die den meisten Menschen persönlich keinerlei Vorteil bringen. Deutschlands Vorsprung wird gerade immer kleiner, weil andere Länder pragmatisch Denken und Handeln, während in Deutschland Moral- und Ideologieträume verfolgt werden.

Da braucht man doch nur mal den Energiemarkt zu beobachten - kaum ein Land hat so hohe Energiepreise und die schlagen auf alle Waren und Dienstleistungen durch. Statt wie Polen auf Kohle- oder Frankreich auf Atomstrom zu setzen produzieren wir lieber "sauberen" Strom den wir dann an diese Länder günstig verscherbeln um deren Kohle- und Atomstrom dann teuer einzukaufen. Hätten wir günstigere Energie wäre der Standort wettbewerbsfähiger und die Preise niedriger.

Und das ist nur ein Beispiel von vielen wo die Ideologie über den Wohlstand gestellt wurde und wird - und dass haben nun immer mehr Menschen satt.

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Adzec  15.08.2023, 16:59
@5432112345

Ja. Bei bestimmten Gruppen wirken sich gesellschaftliche Veränderungen tatsächlich auch als Wohlstandsverlust aus. Mein Reden. :-)

Dazu gesellen sich dann Schwarzmaler wie du, die Teilentwicklungen zu einem unausweichlichen Abwärtsstrudel zusammendichten. Und das mündet dann - übrigens in die x-te Neuauflage des Kulturpessimismus ein. :-)

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5432112345  16.08.2023, 08:29
@Adzec
die Teilentwicklungen zu einem unausweichlichen Abwärtsstrudel zusammendichten

Wenn man genug Löcher ins Schiff macht sinkt es irgendwann. Das hat nichts mit "zusammendichten" zu tun, sondern damit die Realität wahrnehmen zu können.

Und was heißt hier bitte

Bei bestimmten Gruppen wirken sich gesellschaftliche Veränderungen tatsächlich auch als Wohlstandsverlust aus

Welche "betsimmten Gruppen" zahlen denn nicht die hohen Energiepreise? Welche "bestimmten Gruppen" sind denn nicht von der Inflation betroffen? Jeder ist davon betroffen.

Den Bürger interessiert in erster Linie das eigene Wohlergehen. Wovon profitiert der Bürger mehr? Von intakten Straßen oder von einem Flüchtlingsheim? Von einer gut ausgestatteten Schule für seine Kinder oder vom "sauberen" Strom? Meinst du dem Bürger auf Wohnungssuche ist es lieber, dass die Bauvorschriften weiter erhöht werden und dafür aber nicht mehr gebaut wird?

Tatsachen aufzuzeigen und zu kritisieren hat nichts mit Kulturpessimismus zu tun. Nicht alles was unter dem Deckmantel "Fortschritt" verzapft wird ist automatisch gut und die Zivilisation als solches geht auch nicht unter. Wohlstand ist nicht gleich Zivilisation.

Die Smileys täuschen auch nicht darüber hinweg, dass deine Antwort ein schwacher Versuch war meine Argumente zu diskreditieren.

Hast du auch sachliche Argumente oder wars das schon?

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Internet und Social Media bzw. die Art der Berichterstattung hat hier einen immensen Einfluss: Angesichts der vielen (schlechten) Nachrichten - fake oder real -, mit denen wir tagein-tagaus in Echtzeit bombadiert werden, entsteht bei vielen Menschen der subjektive Eindruck, dass die Welt um uns herum sehr viel schlechter, krimineller, dekadenter geworden wäre. Das liegt u.a. an der Reizüberflutung bzw. der Tatsache, dass viele (ältere) Menschen Probleme damit haben, derartige Informationen kognitiv filtern und einordnen zu können, aber auch an mangelnder Medienkompetenz bzw. quellenkritisch-analytischer Denke.

Entgegnet man manchen dieser Leute mit Quellen und Statistiken, die beispielsweise anhand valider Zahlen Gegenteiliges belegen (z.B. Kriminalitätsstatistiken), überwiegt dennoch vielfach die subjektive Sicht des eigenen - oftmals überschaubaren - Mikrokosmos'. "ICH habe das anders erlebt!". Demzufolge stellt sich bei vielen Menschen eine Art (kultur-)pessimistische Paralyse ein, die am Ende des Tages leider auch empfänglich für radikale Ideologien macht, die einfache Erklärungsmuster für hochkomplexe politische, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Zusammenhänge anbieten.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Geschichte (Fokus: Mittelalter / Renaissance)
Havenari  15.08.2023, 09:27
Tatsache, dass viele (ältere) Menschen Probleme damit haben

Gibt es irgendeinen Grund, warum du ältere Menschen hier besonders hervorhebt?

Auf dieser Plattform sind offenkundig überwiegend jüngere Menschen unterwegs, um deren kognitive Fähigkeiten es wohl auch nicht gut bestellt ist...

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DrOnion95 
Fragesteller
 15.08.2023, 18:40
@Havenari

Woran machst du das mit den jüngeren Menschen und deren Fähigkeiten fest? Ich bin erst seit heute hier angemeldet. Insofern würde es mich interessieren.

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30 Jahre Neoliberalismus, ist das zu bewundernde Ergebnis.

DrOnion95 
Fragesteller
 15.08.2023, 08:07

Naja welchen tollten Alternativen hatten wir denn? Den Realsozialismus, den Faschismus? Wenn mir etwas einfällt, dann maximal die Sozialdemokratien der 60er und 70er, aber die haben sich ja dann auch stark an den Neoliberalismus angepasst.

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cas65  15.08.2023, 08:22
@DrOnion95

Wie wäre es denn zur Abwechslung mal mit einer Gesellschaft, die nicht mehr auf der Ausbeutung des Menschen und der Natur durch den Menschen basiert? Einer Gesellschaft, in der alle gemeinsam Werte schaffen - die sie dann auch alle gemeinsam genießen? Und zwar auf eine nachhaltige Weise und nicht immer nur oberflach "mehr, schneller, größer"? Wie wäre es mit einer Welt, in der eben im Zweifel das Wohl von vielen schwerer wiegt als das Wohl einzelner? Mit einer Welt, in der man RECHNEN kann und in der einem klar ist, dass ich nicht mehr verprassen kann, als in derselben Zeit zur Verfügung steht? Mit einer Welt, in der ich nicht gucke wie Iltzchen, wenn "plötzlich" 10.000e Lehrer/Lokführer/sonstige Fachkräfte fehlen, weil man einfach JEDEN lernen oder studieren lässt, was er will - egal, ob er später dann auch eine berufliche Perspektive hat oder nicht?

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DrOnion95 
Fragesteller
 15.08.2023, 08:32
@cas65

Da steckt sehr viel Utopie und Idealismus drin. Ich würde aber dafür plädieren, dem Kollektivismus mindestens so skeptisch gegenüberzustehen wie dem Egozentrismus, denn Individualismus und einige Facetten des Liberalismus erscheinen mir als ein hohes Gut des Westens. Eine Gesellschaft in der alles anhand der Nützlichkeit für die Gemeinschaft und der Umwelt gemessen wird, könnte sehr schnell in extrem autoritäre Formen abdriften.

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cas65  15.08.2023, 08:50
@DrOnion95

Ich hätt es trotzdem gerne mal probiert! Denn dass "Individualismus" und "einige Facetten des Liberalismus" Gesellschaft wie Habitat an die Wand fahren, sollte inzwischen auch der Letzte kapiert haben. Wir können uns Sonderrechte für materiell Privilegierte und immer mehr "Superreiche" einfach nicht mehr leisten. Und ich will die auch nicht mehr mitfinanzieren, ganz ehrlich!

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DrOnion95 
Fragesteller
 15.08.2023, 09:04
@cas65

Individualismus und Liberalismus sind auch die beiden Dinge, die dir unter anderem eine Menschenwürde und persönliche Freiheitsrechte garantieren. Das so abzuklatschen, ist wirklich unfassbar, denn in Ungarn phantasieren Personen wie Viktor Orban jetzt schon von einer ,,illiberalen Demokratie" und er meint damit sicher nicht die von dir beschriebenen Idealvorstellungen. Und die gesamte Politik nur auf die Ökologie und Naturressourcen zu fokussieren, halte ich auch für naiv, denn ich habe in meinem Leben aufgrund familiärer Umstände auch schon Gesellschaften gesehen, die noch ein sehr naturverbundenes und vorindustrielles Leben in der Landwirtschaft führen und das ist sicher nicht die Gesellschaft von der wir träumen sollten. Die soziale Kontrolle ist dort erheblich größer.

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cas65  15.08.2023, 09:25
@DrOnion95

Was weißt DU denn bitte über meine "Menschenwürde"? Das ist ja geradezu lächerlich. Und - naiv? Naiv ist zu glauben, dass wir weiter auf eine Weise leben können, die die Biosphäre schreddert. DAS ist naiv. Nur weil DU dir offenbar keine Bilder von einer Welt vorstellen kannst, die zwischen unserem Konsumterror und unserer maßlosen Verschwendung - und dem Leben von indigenen Völkern liegen, die noch mit Pfeil und Bogen durch den kaum noch vorhandenen Urwald jachtern - heißt nicht, dass es in diesem Feld nichts gibt.

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DrOnion95 
Fragesteller
 15.08.2023, 17:49
@cas65

Ich weiß von Menschenwürde wahrscheinlich einiges, weil ich Mitglied in humanistischen Organisationen bin und unterschiedliche Menschenrechtsorganisationen unterstütze. Und auch die Ökologie hat sehr menschenfeindliche und radikale Züge. Dazu reicht ein Blick in die rechte Esoterik. Dort vermischt sich vieles mit Naturverklärung und einer Ablehnung der Moderne, der Industrie und des Konsums. Ich begreife bei Leuten wie dir auch nicht, wie man die Gesellschaft der letzten 60 Jahre so radikal ablehnen und schlechtreden kann, denn davor hatten wir 2 Weltkriege allerlei Totalitarismen und Verbrechne gegen die Menschlichkeit sowie davor viele Jahrhunderte innereuropäischer Kriege, Feudalismus, Massenarmut und Unterdrückung. Vielleicht sollte man das vorher einmal mit bedenken, bevor man das Kind mit dem Bade ausschüttet.

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cas65  15.08.2023, 18:06
@DrOnion95

Fein, wenn du "Mitglied" humanistischer Organisationen bist. Ich bin MitARBEITER eines großen nationalen und auch international agierenden Wohlfahrtsverbandes. Somit kann ich zu dem Thema gewiss auch einiges Realitätsnahes beitragen. ^^

Wer Ökologie als "Lehre vom (natürlichen) Haushalt" und wissenschaftliche Teildisziplin der Biologie als "menschenfeindlich und radikal" bezeichnet, hat von der Materie offenbar keinen Plan. Denn sie hat mit Esoterik und Nazitum soviel zu tun wie Reifendruck mit Golfspielen.

Es ist schwierig bis unmöglich, eine gemeinsame Blickrichtung zu finden, wenn du im Mittelalter, Feudalismus und dem ach so tollen Kapitalismus schwelgst, ich hingegen versuche, endlich mal was Vernünftiges für die Zukunft zu finden. Und das umso mehr, da ich wohl im Gegensatz zu dir schon erleben musste, wie "in den vergangenen 60 Jahren" eine Gesellschaft von gestern wieder gegen eine von vorgestern ausgetauscht wurde. Du freust dich vermutlich noch, wenn du heute in die USA schaust und dort schon sehen kannst, was auch uns in einigen Jahren blüht.

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DrOnion95 
Fragesteller
 15.08.2023, 18:32
@cas65

Lies bitte genau, was ich geschrieben habe: Ich habe geschrieben, dass die Ökologie solche Facetten beinhaltet. Und das sehe nicht nur ich so. Wenn du dir ökologisch stark engagierte Postwachstumsökonomen wie Niko Paech durchliest, dann wirst du dort wirklich eine Form der Technik- und Zivilisationsverachtung vorfinden. Das wurde auch schon von sehr linker und progressiver Seite völlig zu Recht kritisiert. Bei Paech findet sich eine komplette Ablehnung des Fortschrittsglaubens. Er selber lebt als gut verdienender Ökonom, der vermutlich nie in seinem Leben körperlich landwirtschaftlich oder handwerklich tätig war in einer aufgeklärten und liberalen Demokratie, die die Menschenrechte wesentlich besser umsetzt als die meisten Teile der Welt, aber er glaubt nicht an menschlichen Fortschritt. Ich stehe diesen Positionen auch deswegen so skeptisch gegenüber, weil meine Familie mütterlicherseits aus der Landwirtschaft stammte und dort wurde noch vorindustriell und körperlich am Feld mit der Sense geackert. Die Lebensweise war erzkatholisch und rechtskonservativ. Meine Mutter flüchtete mit 15 um sich zu befreien in die Stadt und nicht umsonst erlebt man auf der ganzen Welt den Trend der Verstädterung. Städte symbolisieren Anonymität, Zivilisation und Selbstbefreiung von patriarchalen Strukturen in ländlichen Regionen. Bei uns mag das heute nicht mehr so sein, aber in vielen Teilen der Welt ist es noch so. Paech kritisiert sogar Menschen, die den Rückgang von Elend, Kindersterblichkeit etc. durch die industrielle Revolution in Bezug auf Afrika betonen und dem Kontinent bei der Industrialisierung helfen wollen. Es gibt wirklich eine Reihe von Kritikern die diesen und andere ähnliche Denker sehr zu Recht attackieren und darauf hinweisen, wie gefährlich diese Denkweise ist. Für mich sind Industrialisierung und Emanzipation bzw. die Befreiung vieler Menschen und gesellschaftlicher Gruppen aus Unterdrückungsstrukturen und ärmlichsten Verhältnissen unmittelbar miteinander verknüpft. Er rechnet unser Gesundheits- und Bildungssystem in CO2-Werte um. Und der Hinweis auf die Biologie widerlegt nun wirklich überhaupt nicht das, worauf ich hingewiesen habe. Im Gegenteil im Zusammenspiel mit der Ökologie bewegen sich auch Bewegungen wie die Antinatalisten, der Speziesismus bzw. die Tierschutzbewegungen etc. Und natürlich findest du dort teils antihumanistische und geradezu menschenfeindliche Positionen. 

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cas65  15.08.2023, 19:55
@DrOnion95

Ich habe geschrieben, dass die Ökologie solche Facetten beinhaltet.

Und genau das stimmt einfach nicht. Eine Wissenschaft ist nie "gut" oder "böse". Eine Wissenschaft tut nur eines; sie versucht, die Wirklichkeit faktisch abzubilden und in Gesetzmäßigkeiten zu erklären. Was Menschen dann mit/aus diesen Wissenschaften zu machen suchen im einen oder anderen Fall, ist etwas komplett anderes.

Unsere Erde verliert jeden Tag um die 150 Tierarten für immer aus ihrer Vielfalt. Wir erleben einen Zusammenbruch ökologischer und ökonomischer Systeme. Das ist nicht nur meine Meinung. Dr. Mark Benecke sagt nicht von ungefähr, dass wir uns diesbezüglich "mitten im Armageddon" befinden. Und jeder, der mit einigermaßen wachen Sinnen (und ohne Smombiefon vor der Nase) durch diese Welt geht, kann das erkennen.

WENN etwas "menschenfeindlich" ist, dann zuallererst jedes Tun, was uns Menschen unsere eigene Lebensgrundlage entzieht. Wir arbeiten diese Welt buchstäblich zugrunde, weil wir uns an ein System klammern, das wie Krebsgeschwüre nur eines kennt; Wachstum um jeden Preis - bis zur Zerstörung des eigenen Wirtes. Wenn wir DAS nicht kapieren; wenn wir nicht verstehen, dass weniger Breite durchaus mehr Tiefe bedeuten kann, dass weniger Quantität sich positiv auf Qualität auswirken kann - dann werden wir an deinem tollen Neoliberalismus und dieser so genannten "Demokratie" (die einfach keine ist) elendig zugrunde gehen.

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