Was bedeuten die Begriffe paraphyletisches Taxon und Monophylum?

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AstridMusmann 
Beitragsersteller
 04.10.2019, 12:42

Das heißt dann also der Abschnitt I- Diese Familie gilt heute als paraphyletisches Taxon, da sie nur unter Einschluss der Tukane ein Monophylum bilden würden -I bedeutet soviel wie, Die Familie der Bartvögel wird heute als nicht ganz vollständige Familie betrachtet da sie nur vollständig wäre wenn man die Tukane mit dazu zählt. Stimmt das so?

Du hast Recht mit den Tukanen.

Wikipedia schreibt ja zu den Bartvögeln:

Die 1838 von Charles Lucien Bonaparte beschriebene Familie gilt heute als paraphyletisches Taxon, da sie nur unter Einschluss der Tukane (Ramphastidae) ein Monophylum bilden würden. Sie wurden deshalb in vier Familien geteilt, die Afrikanischen Bartvögel (Lybiidae), die Amerikanischen Bartvögel (Capitonidae), die Asiatischen Bartvögel (Megalaimidae) und die Tukan-Bartvögel (Semnornithidae).

Ob ein Taxon als paraphyletisch, polyphyletisch oder monophyletisch gilt, hängt vom Stammbaum ab. Phylon bedeutet Stamm. Para bedeutet neben. Mono bedeutet eins und Poly bedeutet zwei.

Ein Monophylum (=monophyletisches Taxon) ist die Gruppe aller Nachfahren einer bestimmten Lebensform. Wenn wir Tukane zu den Bartvögeln zählen, so sind alle Nachfahren eines Ur-Bartvogels (was auch immer das für ein Vogel gewesen sein mag), Bartvögel. Wir können dann auf einem Stammbaum alle Zweige rot einfärben, die von diesem Ur-Bartvogel aus, weggehen. Alle roten Zweige würden dann irgendwelche Bartvögel bedeuten. Wenn wir Tukane aber nicht dazu zählen, dann müssen wir ihren Zweig ungefärbt lassen. Dann müssen wir erklären, dass Bartvögel an dieser Stelle aufgehört haben, Bartvögel zu sein und Tukane wurden. Und wenn wir das machen, dann sind Bartvögel paraphyletisch.

Zur Vollständigkeit noch etwas zur Polyphylie: Ein polyphyletisches Taxon umfasst die Nachkommen verschiedener Vorfahren. Meeresreptilien beinhalten Seeschlangen, Ichtyosaurier, Plesiosaurier, Schildkröten und Meeresechsen. Auf einem Stammbaum müssten wir viele Anfangspunkte markieren und von dort aus rot einfärben.

Um das zu verstehen, muss man sich einmal anschauen, wie Systematiker eigentlich arbeiten.

Bereits Aristoteles hat sich damit beschäftigt, Ordnung in die Welt um sich herum zu bringen. Er hat sehr genau Tiere und Pflanzen beobachtet und anhand von gemeinsamen Merkmalen Gruppen gebildet. So war beispielsweise alles, was im Wasser lebte, für ihn ein "Fisch". Darüber hinaus unterschied er noch zwischen "Vögeln" und "Landtieren".

Später wurde vor allem ein Mann zu einem Wegbereiter einer neuen Form der Systematik, Carl Linné (1707 - 1778), ein schwedische Botaniker und Arzt, der zum Begründer der traditionellen Systematik wurde und auf den auch die Einführung der heute noch gebräuchlichen wissenschaftlichen Namen für Tiere und Pflanzen aus zwei Bestandteilen zurückgeht, die so genannte binominale Nomenklatur. Linné führte seine Form der Systematik zunächst bei Pflanzen ein, die er anhand des Baus ihrer Geschlechtsorgane, der Blüten, charakterisierte. Pflanzen, die in wesentlichen Blütenmerkmalen übereinstimmten, z. B. der Symmetrie der Blüte, Anzahl der Staubgefäße und Fruchtknoten usw., ordnete er übergeordneten Gruppen zu: Gattungen, einander ähnliche Gattungen in Familien, Familien in Ordnungen und so fort.
Die Einteilung der Lebewesen erfolgte bis dahin aber immer nur nach einem Kriterium, nämlich nach dem, wie ähnlich (oder unähnlich) sich die Lebewesen sind.

Das änderte sich mit dem Aufkommen der Evolutionstheorie. Nun wurde klar, dass das alte System einen entscheidenden Nachteil hat, denn es gibt keine Auskunft über die Stammesgeschichte der Lebewesen. Darum wurde ein neues Konzept der Systematik erarbeitet. Das Resultat ist die moderne Taxonomie. Ziel der Taxonomie ist es, Lebewesen nicht mehr anhand ihrer äußerlichen Ähnlichkeiten, sondern einzig aufgrund ihrer tatsächlichen Verwandtschaftsverhältnisse, aufgrund einer gemeinsamen Abstammung zu ordnen. Denn ein gemeinsames Merkmal muss nicht zwangsläufig darauf hindeuten, dass zwei Lebewesen miteinander auch wirklich verwandt sind, sondern können auch das Resultat einer konvergenten Entwicklung sein (das Merkmal ist dann unabhängig voneinander in zwei Entwicklungslinien entstanden).

Die Einheit der Taxonomie ist das Taxon (Plural: Taxa). Ein Taxon kann eine beliebig große Gruppe sein: eine Art, eine Gattung oder auch eine weiter gefasste Gruppe.

Von einem monophyletischen Taxon (auch Monophylum genannt) spricht man dann, wenn ein Taxon die tatsächlichen verwandtschaftlichen Verhältnisse widerspiegelt, es wird deswegen auch natürliches Taxon bezeichnet. Ein Monophylum ist also eine in sich geschlossene Abstammungsgemeinschaft, diese enthält sämtliche Nachfahren eines unmittelbaren gemeinsamen Vorfahren sowie diesen Vorfahren selbst. Ein Beispiel für ein monophyletisches Taxon sind die Säugetiere: alle Säugetiere lassen sich auf einen einzigen gemeinsamen Vorfahren zurückführen.

Es gibt noch zwei weitere Formen von Taxa, doch diese sagen über die verwandtschaftlichen Verhältnisse nichts aus und haben deshalb heute nur noch allenfalls beschreibenden Charakter. Von einem polyphyletischen Taxon (Polyphylum) spricht man, wenn ein Taxon nicht auf einen, sondern auf mehrere unterschiedliche Vorfahren zurückgeht. Ein typisches Beispiel für ein Polyphylum sind die "Würmer", denn "Würmer" sind keine geschlossene Gruppe, sondern Angehörige sehr unterschiedlicher Tiergruppen. So sind beispielsweise die Eichelwürmer als Neumünder sogar uns Menschen näher verwandt als den zu den Urmündern gehörenden Ringelwürmern.
Ein Paraphylum ist dagegen ein Taxon, das zwar auf einen gemeinsamen Vorfahren zurückgeht, welches jedoch nicht sämtliche Nachfahren dieses Ahnen umfasst. Das bekannteste Beispiel für ein paraphyletisches Taxon sind die "Reptilien", zu denen traditionell die Schildkröten, die Brückenechse, die Schuppenkriechtiere (Echsen und Schlangen) und die Krokodile gerechnet werden. Es hat sich mittlerweile aber gezeigt, dass die Krokodile mit den Vögeln (die übrigens nichts anderes als Dinosaurier sind, die Dinos sind somit auch nie ausgestorben!) viel näher verwandt sind als mit allen anderen "Reptilien". Das heißt also, das Taxon "Reptilien" ist deshalb paraphyletisch, weil es nicht die Vögel enthält. Zur besseren Kennzeichnung nicht-natürlicher Taxa werden diese, wenn sie überhaupt in einem Buch über die Systematik noch verwendet werden, in Anführungsstriche "" gesetzt. Das monophyletische Taxon, welches die klassischen "Reptilien" und die Vögel zusammenfasst, wird übrigens Sauropsida bezeichnet.

Und hier noch einmal ein kleines Beispiel anhand einer Grafik:

Bild zum Beitrag

In diesem Bild ist ein Stammbaum zweier Gattungen dargestellt, Gattung A und Gattung B. Wie man sehen kann, ist die rot gefärbte Art der Gattung B aber am nächsten mit der rot eingefärbten Art der Gattung A eingefärbt. Die Gattung B wird dadurch paraphyletisch, denn vom letzten gemeinsamen Vorfahren (der sich dort befindet, wo der gelbe Kreis ist) führt ja auch ein Weg zu dieser rot gefärbten Art von A.
Gattung A dagegen ist demnach eine polyphyletische Gruppe, denn alle schwarz gefärbten Arten dieser Gattung haben einen ganz anderen letzten unmittelbaren gemeinsamen Vorfahren (blauer Kreis) als die rot gefärbte Art der Gattung A (immer noch im gelben Kreis zu finden).

Wir wollen dieses Dilemma nun lösen und monophyletische Gruppen erzeugen. Das geht im Prinzip auf drei Wegen:

  1. wir trennen die rot gefärbte Art A von der Gattung A ab und stellen sie stattdessen in die Gattung B, somit sind A und B wieder monophyletisch.
  2. wir lösen Gattung B vollständig auf, indem wir alle Mitglieder dieser Gattung in Gattung A integrieren. Wir erhalten dann eine einzige sehr viel größere Gattung A, die aber nun monophyletisch ist.
  3. und schließlich kann man auch noch so verfahren, dass man die beiden rot gefärbten Arten aus ihren jeweiligen Gattungen herausnimmt und mit ihnen eine dritte Gattung C begründet, deren gemeinsamer unmittelbarer Vorfahre nun im violetten Kreis zu suchen ist. Man hätte dann also drei monophyletische Gattungen: A, B und eben die neue Gattung C.
Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig
 - (Biologie, Wissenschaft, Vögel)

Eine Gruppe ist monophyletisch, wenn sie auf einen gemeinsamen Vorfahren zurück­geht und alle Nachkommen dieses Vorfahren enthält. So will man es eigentlich haben.

Leider hat sich bei genauerer Untersuchung herausgestellt, daß viele in der Biologie definierten Gruppen nicht monophyletisch sind. Paraphyletisch bedeutet soviel wie ‘fast monophyletisch’, aber das ist keine scharfe Definition; meist meint man damit Gruppen, denen auf echte Monophylie ein paar Mitglieder fehlen. Ein Beispiel wären Dinosaurier in der klassischen Bedeutung ‘ausgestorbene mesozoische Mistviecher’. Das ist nicht monophyletisch, weil die Vögel auch Nachfahren von Dinosauriern sind und daher in die Gruppe gehören; heute wird Dinosaurier meist im monophyletischen Sinn gebraucht, schließt also außer Diplodocus, T. rex und Stegosaurus auch noch die Brieftaube ein.

Auch Fische sind parapyletisch, weil alle Landwirbeltiere von Fischen abstammen.

Wenn eine Gruppe gänzlich aus Kraut&Rüben besteht, nennt man sie polyphyletisch.

Monophyletische Gruppen haben angenehm einfache Eigenschaften:

  • Alle ihre Mitglieder sind untereinander enger verwandt als mit Nichtmitgliedern
  • Zwei monophyletische Gruppen haben entweder keine gemeinsamen Mitglieder, oder die kleinere ist in der größeren enthalten
  • Wenn einer Deiner Vorfahren in einer monophyletischen Gruppe enthalten war, dann tust Du es auch

indiachinacook  04.10.2019, 12:48

Ein Beispiel macht es vielleicht klarer, mit den drei monohyletischen Gruppen Menschenaffen, Affen und Kaninchen:

  • Alle Menschenaffen sind Affen, aber kein Affe ist ein Kaninchen
  • Alle Menschenaffen sind mit allen anderen Menschenaffen enger verwandt als mit anderen Affen, und noch weitläufiger mit Kaninchen.
  • Wenn Dein Vater ein Affe war, bist Du es auch. Das gilt natürlich auch rück­wir­kend für den Großvater etc.
AstridMusmann 
Beitragsersteller
 04.10.2019, 12:55

Deine Antwort bringt zwar etwas Licht ins Dunkel aber ganz habe ich den Ursprung meiner Frage trotzdem nicht verstanden. Vielleicht kannst Du mir ja sagen was der folgende Abschnitt mit den Worten eines Laien bedeutet. I- Die Familie der Bartvögel gilt heute als paraphyletisches Taxon, da sie nur unter Einschluss der Tukane ein Monophylum bilden würden. Sie wurden deshalb in 4 Familien geteilt. -I

indiachinacook  04.10.2019, 13:02
@AstridMusmann

Es gibt Bartvógel und natürlich auch Vögel, die keine Bartvögel sind, z.B. Tauben, Reiher oder Falken. Alle Bartvögel sind miteinander enger verwandt als mit Tauben, Reihern oder Falken. Aber manche Bartvögel sind mit Tukanen enger verwandt als mit an­de­ren Bartvögeln; deshalb sollten die Tukane ein Teil der Bartvögel sein, und man sollte die taxonomische Gruppierung entsprechend verändern.

Dabei hat enger verwandt eine klar definierte Bedeutung: „A ist mit B enger ver­wandt ist als C“ bedeutet: Der letzte gemeinsame Vorfahr von A und C lebte zu früherer Zeit als der letzte gemeinsame Vorfahr von A und B.

Ein Monophylum oder monophyletisches Taxon ist eine natürliche Verwandtschaftsgruppe, d.h. zu ihr gehören alle Nachfahren eines bestimmten gemeinsamen Vorfahren.

Ein Paraphylum oder paraphyletisches Taxon erfüllt dieses Kriterium nicht, weil manche Angehörige der Gruppe enger mit Arten verwandt sind, die nicht zur Gruppe gehören als mit anderen Angehörigen der Gruppe. Ein Paraphylum erhält man also dann, wenn man nur einen Teil der Nachfahren eines bestimmten Vorfahren zu einer Gruppe zusammenfasst.

Ein Bild hilft vielleicht beim Verständnis, das linke Taxon hier ist paraphyletisch, weil E näher mit F und G verwandt ist als mit A-D, mit denen es zusammen gruppiert wurde:

http://bio.slu.edu/mayden/systematics/images/unnatural_group.gif

In der Biologie versucht man solche paraphyletischen Einteilungen zu vermeiden, weil die Systematik nach Möglichkeit die evolutionären Verwandtschaftsverhältnisse realistisch abbilden soll.