Warum siedelt China nicht einfach 50-100 Millionen seiner Han Chinesen an seine Provinzen?

5 Antworten

Du hältst wahrscheinlich zu viel von der Macht der chinesischen Regierung. Zweitens verstehe ich nicht ganz, was der Zweck dieser Maßnahme ist. Vielleicht hast du den Eindruck, dass es ein Ungleichgewicht in der regionalen Entwicklung gibt.Oder hast du Han-Chinesen hervorgehoben und die Frage in Bezug auf ethnische Minderheiten gestellt?

Es ist völlig normal, dass die Menschen in höher entwickelte Gebiete ziehen. Höhere Gehälter, mehr Möglichkeiten, bessere Lebensbedingungen. Gleichzeitig sind einige Regionen zu dicht besiedelt, die Arbeitsbedingungen sind härter und die Entwicklung ungleichmäßig.

Was die Regierung tun kann, ist, sie durch attraktive Maßnahmen in ihre Heimatstädte zurückzuholen, nicht sie einfach zu zwingen.

China betreibt eine Politik der gesellschaftlichen Transformation der Umsiedlung zur politischen Stabilisierung im Sinne der Regierung.

Ursächlich für die Ausdehnung dieses Programm waren die Unruhen in Hongkong.

Das Prinzip ist einfach und schnell erklärt.

Die Regierung siedelt linientreue Bürger mit dem Lockmittel schöne Wohnung/ gute Arbeitsstelle um und stellt so den sozialen Frieden im Sinne der Partei um.

Chinas zivilgesellschaftliche Entwicklung: Von Massen zu Bürgern?

Prof. Dr. Thomas Heberer

Eine funktionierende Zivilgesellschaft braucht "Bürger". Der chinesische Staat versucht Bürgersinn und -moral als zentrale Charakteristika von Bürgern zu schaffen. Er erweist sich hierin als Entwicklungsagentur.
Staat als Moralstaat

Gleichwohl rufen auch in China Intellektuelle dazu auf, dem Verfall lokaler Gemeinschaften Einhalt zu gebieten. Gemeinschaften (wie Nachbarschaftsgemeinschaften) müssten wiedererrichtet und Bürger ermuntert werden, aktiver zu werden. Dabei solle der Staat eine wichtige Rolle spielen. Die Schaffung einer neuen Moral- und Werteordnung erscheint hier als ein zentraler Faktor der intendierten Gemeinschaftsbildung. Darauf weist unter anderem ein Programm zur Realisierung des Aufbaus einer neuen Bürgermoral (gongmin daode jianshe shishi gangyao) hin, welches die politische Führung im Jahr 2001 beschlossen hat und regelmäßig von den Medien propagiert wird. 2003 veröffentlichte der Ausschuss für die Leitung des Aufbaus der geistigen Zivilisation des Zentralkomitees der KPCh ein neues Dokument, mit welchem das Programm von 2001 konkretisiert werden sollte. Darin wurde der 20. September zum "Tag der Propagierung der Bürgermoral" erklärt.Zur Auflösung der Fußnote

[18] Regelmäßig berichtet die Parteizeitung Renmin Ribao von der Beteiligung von Bürgern an der Schaffung einer neuen Moralordnung. 2008 wurde eine Zentrale Kommission für die Anleitung zum Aufbau einer geistigen Zivilisation eingerichtet mit dem Ziel der Schaffung einer öffentlichen Meinung für freiwilliges soziales Engagement.Zur Auflösung der Fußnote

[19] Das Ministerium für Zivilverwaltung hat bereits mehrfach betont, dass die urbanen Nachbarschaftsviertel als Instrument zum Erlernen "zivilisierten Verhaltens", zum "moralischen Aufbau" der Gesellschaft sowie zur Hebung der "moralischen Qualität" der Menschen fungieren sollen.

In vielen Nachbarschaftsvierteln findet sich der aus 20 Schriftzeichen bestehende Kurzmoralkodex als öffentlicher Aushang: das Vaterland lieben und sich an die Gesetze halten; höflich, ehrlich und glaubwürdig sein; solidarisch und freundschaftlich sein; fleißig, genügsam und voranschreitend sein; die Arbeit achten und Opfer bringen. Es sind primär Patriotismus, die Einübung von moralischen Werten durch Propagandaaktionen, soziale Kontrolle, selbstbewusstes Verfolgen der geforderten Standards und behördliche Anleitung, die zum Aufbau einer "Bürgermoral" führen sollen. Dabei geht es aber nicht mehr um die Moral von neuen "sozialistischen Menschen", sondern um die neue Moral von "Bürgern". Der Staat betätigt sich hier als Moralstaat, der von oben neue institutionelle Muster in Form von Moralstandards zu setzen versucht.

Schlussfolgerung

Wachsender Lebensstandard, größere individuelle Freiheiten, zunehmende Partizipationsmöglichkeiten und Verrechtlichung begünstigen die Herausbildung von Bürgern im urbanen Raum. Der Staat sucht von oben Strukturen zu schaffen und Werte zu propagieren, die dieser Herausbildung förderlich sind. In und über die urbanen Nachbarschaftsviertel sollen die Bewohner an partizipative Mitwirkung herangeführt werden und diese erlernen. Freiwillige soziale Tätigkeiten, Vereinsgründungen oder der Transfer staatlicher Dienstleistungen in die städtischen Wohnviertel hinein schaffen Strukturen, die der Entwicklung von Gemeinsinn und sozialem Engagement förderlich sein könnten. Mangelnde "bürgerliche" Freiheitsrechte und fehlende Rechtssicherheit wirken hier allerdings beschränkend.

Signifikant gestiegen ist das Maß an individueller Autonomie. Eine solche Autonomie, verbunden mit größerer Individualisierung, lässt sich auch als mögliche Vorstufe zu größerer organisatorischer Autonomie oder Selbstverwaltung der Nachbarschaftsviertel begreifen. Nach den negativen Erfahrungen mit Planwirtschaft und sozialer Repression streben die meisten Menschen zunächst nach höherem Lebensstandard und individueller Unabhängigkeit. Der Staat versucht diese Entwicklung unter anderem mit Hilfe der Nachbarschaftsviertel in Richtung sozialen Engagements zu lenken. Dabei geht er davon aus, dass zivilisatorische Lernprozesse, Partizipation und soziales engineering durch den Staat erst die Voraussetzungen für Bürger und Bürgersinn erzeugen.

Zivilgesellschaft erfordert die Schaffung von zivilgesellschaftlichen Strukturen, ein unabhängiges Rechtssystem und zivilisatorische Kompetenz. Mit dem Begriff "zivilisatorische Kompetenz", der die kognitive Seite von Zivilgesellschaft umfasst, ist das Entstehen von Bürgern mit Bürgersinn gemeint, deren Denken und Handeln stärker auf die Gesellschaft gerichtet ist. Gesellschaftliches Engagement und Bürgersinn sind wichtige Elemente von Zivilgesellschaft. Teil der zivilisatorischen Kompetenz ist aber auch, dass Staat und Individuen lernen, andere Meinungen zu akzeptieren, mit Andersdenkenden zivil umzugehen und Konflikte friedlich zu lösen.

Unter Bedingungen fehlender zivilisatorischer Kompetenz wie in China kommt dem Staat die Aufgabe zu, die Voraussetzungen und Strukturen für zivilgesellschaftliche Prozesse (soziale Vereinigungen, Internetdiskussionen, soziales Engagement, Werte etc.) zu schaffen. Die staatlich induzierte Schaffung von Bürgern und Bürgerwerten ist der Versuch der Schaffung von Bürgern "von oben". Es zeichnet sich daher ein neues "chinesisches" Entwicklungsmodell ab: die Schaffung einer zunächst illibertären Zivilgesellschaft von oben durch den Staat. Auch ein solcher Prozess kann dazu beitragen, aus "Massen" (ein politischer Begriff) "Bürger" (ein rechtlicher Begriff) zu machen - Bürger, die zumindest partiell die Möglichkeit zu politischer Partizipation erhalten und diese im Sinne zivilisatorischer Entwicklung zu nutzen beginnen.
https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/32497/chinas-zivilgesellschaftliche-entwicklung-von-massen-zu-buergern/
Woher ich das weiß:Berufserfahrung

es wird in einigen Provinzen eine Siedlungspolitik betrieben. Allerdings brauch man für sowas auch eine umfassende Infrastruktur und die baut man nicht von heute auf morgen und schon gar nicht überall zeitgleich.

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Psychologiestudium / Tätigkeit in Traumatherapie für Kinder

Genau das ist doch in den letzten 20 Jahren passiert.

Die wollen die dortigen Völker untermischen