Warum gibt es einen so großen Handwerkermangel?

13 Antworten

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so schlecht kann doch die Bezahlung nicht sein?

Ja, aber die ist nicht alles - das viele Geld nutzt nix, wenn der Rest nicht passt.

Ich kenne die Situation recht gut, denn unweit meiner Arbeitsstelle befindet sich ein traditionsreiches Fliesenfachgeschäft bzw. Fliesenlegermeisterbetrieb, mit dessen Inhaber ich mich in loser Folge unterhalte.

Er klagte mir schon vor Jahren immer wieder sein Leid, dass er keine Azubis findet und wenn doch jemand gefunden wird, dieser fachlich total untauglich ist und entweder gar nicht eingestellt wird mangels Qualifikation/Wille oder aber die Lehre abbricht.

Laut ihm hinge es mit der körperlichen Arbeit zusammen "und weil alle nur noch in die Büros wollen", aber auch weil man mit dem Handwerk landauf landab archaische Arbeitsweisen, einen pöbelnden und aggressiven Umgangston, Dreck, Staub und die Entstehung körperlicher Gebrechen in Verbindung bringt. Das möchte sich keiner antun, auch wenn es im Handwerk nicht immer so zugeht bzw. das stark vom Betrieb abhängig ist.

Das betrifft jedoch nicht nur den Fliesenlegerbereich, sondern generell das Handwerk, wenn man von den seit eh und je beliebten "Autoberufen" mal absieht. In denen es aber oft auch nicht besser ist wie etwa im Fliesenlegerbereich.

Schuld an dererlei Ausrastern im Handwerk trägt aber oft der Alkohol. Gerade im Handwerk, etwa auf dem Bau, bei den Tünchnern oder in Autowerkstätten, wird mitunter noch heute während der Arbeitszeit auf übelste Weise gesoffen, sodass die Herren zusätzlich ausgeflippt sind ----> mir sind mindestens fünf alte (!) Handwerker bekannt, die in der Regel betrunken gearbeitet haben oder bei denen die Sauferei zumindest am Mittag so richtig losging und es normal war, dass sie schon voll waren bevor sie zuhause angekommen sind bzw. die Bierflasche neben der Werkbank gestanden hat oder ständig am Flachmann nicht nur genippt wurde. Das mag es auch noch heute geben, aber nicht mehr in dem Umfang wie in den 80ern/90ern. Und wir alle kennen denke ich die Auswirkungen von zu viel Alkohol.

Niemand will sich auf der Arbeit beschimpfen und beleidigen und dissen lassen.. und gerade im Handwerk wird dann noch süffisant lächelnd der Spruch "Lehrjahre sind keine Herrenjahre" als Synonym dafür genommen, dass der "Stift" noch froh und dem "Patron" auf ewig dankbar dafür sein muss, dass er nicht komplett verprügelt wird auf der Arbeit.

Viele Personaler und Firmen leben in einer Berufswelt, in der die 90er scheinbar nie aufgehört haben und der "Stift" ein unterbezahlter Larry ist, der i.welche fragwürdigen Jobs machen muss, die sonst keiner verrichten will, als Freiwild für Beleidigungen fungiert, nicht ernstgenommen wird und mit dem Spruch "na ja, Lehrjahre sind keine Herrenjahre und ich würde vor 45 Jahren von meinem Lehrherrn verprügelt, nun motz' mal nicht, du weißt gar nicht, wie gut es dir geht" bitter lächelnd abgefertigt wird, wenn er mal sagt, was er denkt.

Leider ist das im Handwerk gar nicht so selten, und wenn dann noch irgendein 70-jähriges Handwerkskammer-Präsidiumsmitglied bei Pressekonferenzen auf unterirdischste Art den guten alten Zeiten hinterher weint, den Eindruck erweckt in seiner eigenen Vergangenheit zuhause zu sein und die heutige Jugend ins Lächerliche zieht, indem er sie als faul, dümmlich, lebensfern und verweichlicht bezeichnet, was hinterher sinngemäß in der Zeitung steht, macht so etwas das Handwerk noch unattraktiver.

Solange solche Leute für das Handwerk stehen und die Jugend belächeln statt sie zu fördern, wird sich auch nichts ändern. Kein junger Mensch geht freiwillig - wenn er es nicht muss - in ein Berufsfeld, wo er sich vom ersten Tag nicht akzeptiert und subtil als dilettantischer Taugenichts deklariert fühlt.

Und gerade im Handwerk ist der Tonfall etwa oft noch sehr rüde und der "Stift" wird wie Abfall behandelt, was dann noch mit "nun ja, Lehrjahre sind keine Herrenjahre" verniedlicht wird ------> das wollen die Jugendlichen halt nicht mit sich machen lassen, ich selbst wüsste auch nicht, ob ich das wollen würde, wäre ich davor mir eine Lehrstelle zu suchen. Sorry, aber ich (28 Jahre, gelernter Industriekaufmann) kann die Kiddies verstehen.

Woher ich das weiß:Berufserfahrung
zetra  07.07.2019, 15:58

Mein erster Lehrling von ueber Dreissig an der Zahl, ist jetzt in Rente gegangen.

Wir kommunizieren immer noch miteinander, also somit macht der Ton im Betrieb schon das Klima.

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rotesand  07.07.2019, 17:17
@zetra

So muss das sein. Ich habe auch immer drauf geachtet, Praktikanten und Azubis würdig und respektvoll zu behandeln - alles kommt zurück.

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Die Werbung für weiterführende Schulen inklusive der Tendenz, schwache Schüler durch großzügige Notengebung nach "oben" zu befördern, verbunden mit dem Trend alles zu "akademisieren", hat zu dieser Situation geführt. Dabei verdienen Handwerksmeister (zumindest bei uns in Oberbayern) in der Regel deutlich mehr als die meisten akademischen Berufe. Von denen hat hier jeder ein schönes Haus, was sich der Akademiker meist nicht leisten kann.

Mickerig  07.07.2019, 12:19
Von denen hat hier jeder ein schönes Haus, was sich der Akademiker meist nicht leisten kann.

Ich möchte bezweifeln dass das am Gehalt liegt. Ein schönes Haus kann ich dir auch zaubern, wenn man einen handwerklichen Beruf hat kann man sich sehr kostengünstig Sachen selbst bauen. Man spart quasi die Kosten die ein Arbeiter kosten würde weil man es eben alleine machen kann. Ob das wirklich am Gehalt liegt? Wage ich ernsthaft zu bezweifeln

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Die Handwerksbetriebe haben tatsächlich ein Problem geeignete Auszubildende zu finden, da jeder meint, er müsste studieren.

Auch wenn sich das dann hinterher als Fehlschuss erweist, sind diese "Kandidaten" meist für ein Handwerk ebenfalls nicht zu gebrauchen.

Weil nicht ausgebildet wurde ... und wenn, oftmals schlecht, der Azubi mehr Arbeitskraft war als Lehrling.

Des weiteren haben sich in vielen Berufen die Anforderungen massiv geändert und viele Betriebe arbeiten und bilden immer noch aus gem. "Das haben wir schon immer so gemacht!".

Und diese fehlende Weiterbildung findet auch bei den Gesellen, weil Weiterbildung Geld kostet .. und bevor man einen Gesellen zur Schulung schickt, scheinen sich einige Chefs wohl eher die Hände abzuhacken.

"Ich habe 2 Kinder zu Hause und meine Frau arbeitet Teilzeit." ... und auf einmal braucht man keine neuen Mitarbeiter ... weil "Chef meine Frau ist krank, ich muss die Kinder die nächsten Tage in den Kiga bringen, kann erst um 9 anfangen." offensichtlich unmöglich ist.

Erstens der Mangel an Nachwuchs und niemand will das mehr machen, es ist manchmal schwer, man wird dreckig und vielleicht ratscht man sich oder verbrennt sich oder schneidet sich, kann alles passieren...