Symmetrie der Eiskristalle - woher?

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Gleich vorweg: Ich weiß es nicht. Aber ich kann raten, indem ich Wissen von Kristall­wachstum allgemein auf Eis­kristalle im Speziellen übertrage. Sollte bei Eis­kristallen irgendetwas anomal sein, dann ist meine Antwort wahr­schein­lich für den Kanal.

Zwei Eiskristalle mögen makro­skopisch ver­schieden aussehen, mikro­skopisch sind sie immer gleich auf­gebaut. Die mikro­skopische Struktur von Eis kannst Du irgendwo nach­schlagen, sie ist im Zentrum des Kristalls genau gleich wie in der Peri­pherie. Wenn Du ein hin­reichend starkes Mikro­skop hättest, um einzelne Wasser­moleküle im Inneren des Kristalls zu sehen, dann würdest Du keinen Unter­schied zwischen verschie­denen Kristallen sehen, und auch keinen zwischen dem zentralen und dem peripheren Teil.

Die mikroskopische Eis-Struktur erzwingt, daß die Kristalle hexa­gonale Symmetrie haben, genauer gesagt die Raum­gruppe P6₃/m2/m2/c (sprich: pe, sechs drei über em, zwei über em, zwei über ce), die einem sechs­seitigen Prisma entspricht. Aber es gibt viele Formen mit dieser Sym­metrie, z.B. eine hexa­gonale Nadel, ein flaches Sechs­eck, oder jede Form von sechs­zackigem Stern. Wovon hängt es ab, wie der Kristall wirklich aussieht? Besteht dabei eine Freiheit, oder ist das auch bereits durch die Mikro­struktur festgelegt?

Zwei Absätze zuvor habe ich eine Einschränkung kursiv gesetzt. Denn Moleküle an der Ober­fläche habe immer eine andere Struktur als solche tief innen drinnen („im Bulk“). Die reguläre Eis­struktur ist an der Ober­fläche immer mehr oder minder stark verzerrt. Mit Deinem super­starken Mikroskop könntest Du die Moleküle an der Ober­fläche als solche erkennen, und Du könntest sogar die spezifi­sche Kristall­fläche identifizieren: Die Struktur ist anders, je nach­dem, ob es sich um eine vertikale, eine horizontale oder irgendwie schief geschnittene Fläche handelt (theore­tisch gibt es unendlich viele verschie­denen Kristall­flächen, die einen Kristall begrenzen können).

Es gibt also nur einen Bulk, aber viele von­einan­der mikro­skopisch verschie­dene Ober­flächen. Jede dieser Ober­flächen hat eine andere Energie, und man würde erwarten, daß eine günstiger als die anderen ist. Dann sollten sich die Kristalle mit genau dieser Ober­fläche begrenzen, und alle Kristalle sollten gleich aussehen. Immerhin sehen auch alle Kochsalz­kristalle würfel­förmig aus, oder?

Tun sie aber nicht. Man kann unter exotischen Bedingungen Speise­salz auch in Oktaedern kristalli­sieren lassen, weil Oktaeder und Würfel beide mit der Kristall­symmetrie kompatibel sind. Aller­­dings muß man sich dabei ziemlich verrenken, weil NaCl eine deutliche Präferenz für den Würfel hat.

So, und jetzt fange ich zu raten an: Bei Eis­­­kristallen scheint es an einer klaren Präferenz zu fehlen. Deshalb können Eis­­kristalle viele ver­schie­­dene Formen haben; welche sie annehmen, hängt empfind­lich von den genauen Bedin­gun­gen ab, unter denen sie kristal­lisieren. In einer Wolke geht es aber chaotisch zu, und jeder einzelne Eis­kristall hat dabei einen anderen Weg genommen, der ihn durch Zonen mit verschie­dener Temperatur, Luft­feuchtig­keit, Druck, elektro­stati­schem Potential und was auch immer noch geführt hat. Jeder Kristall hat deshalb eine individuelle Geschichte und daraus resultierend eine individuelle Form.

Andererseits ändern sich die Bedingungen in einer Wolke nicht alle paar Millimeter. Deshalb haben alle „Arme“ eines Sterns dieselben Bedingungen gespürt und sind daher gleichartig kristallisiert.

Die Geschichte eines solchen Kristalls könnte etwa so aussehen: Zuerst kristallisiert ein bißchen Wasser an einem Dreck­partikel­chen („Keim“) aus, und unter den Bedin­gungen die gerade herrschen, bildet sich eine kleine sechs­eckige Scheibe. Danach fliegt der Kristall in eine Zone, wo das Kristall­wachstum an den Ecken des Sechs­ecks begünstigt ist: Er entwickelt sechs Strahlen nach außen. Danach kommt er wieder in eine Zone, die flächige Kristalle fördert, und er ent­wickelt sechs „Klunker“ an den Enden der Strahlen. Diese können klein oder groß sein, oder porös oder kompakt, je nachdem wie die lokalen Bedin­gungen es wollen. Was auch immer passiert, es passiert an allen sechs Strahlen gleichartig.

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Da Du Dich als kritischer Leser geoutet hast, habe ich das recht ausführlich beantwortet. Beim Durch­lesen stelle ich fest, daß ich nicht ganz klar gemacht habe, warum die Kristall­fläche die Form des Kristalls bestimmt; wenn das eine Schwierig­keit ist (oder Du sonst­wie vermutest, daß ich phanta­siere), dann frag ruhig nach.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Chemiestudium mit Diss über Quanten­chemie und Thermodynamik
indiachinacook  09.08.2014, 00:28

Irgendwie hätte ich das auch einfacher schreiben können.Also schiebe ich noch ein TL;DR nach.

Die Vielfalt der Formen entsteht durch die Vielfalt an Bedingungen, die die einzelnen Kristalle auf ihrem chaotischen Weg durch die Wolke erfahren. Diese Bedingungen sind zwar für alle Kristalle verschieden, aber für alle Arme eines Kristalls gleich (die reisen ja gemeinsam). Deshalb sehen die Arme eines Kristalls alle gleich aus.

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Zoelomat  09.08.2014, 10:49
@indiachinacook

Wenn es wirklich nur geraten war, und nicht irgendwo aus dem Gerümpel kam, das wir Gedächtnis nennen:

Du hast gut geraten, und mir die Antwort erspart. DH

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indiachinacook  09.08.2014, 15:22
@Zoelomat

Ehrlich gesagt war es geraten, weil ich bei Kristallstrukturen nur mit Metall­oxiden Erfahrung habe. Und über Wolken weiß ich auch nicht viel mehr, als daß die Meteoro­logen beim Versuch, sie zu simulieren, regel­mäßig graue Haare kriegen.

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Branndibock 
Fragesteller
 04.01.2015, 13:00
@indiachinacook

Auch wenn es nun schon lange her ist. Jetzt endlich mal Danke für die Antwort. Quasi wäre es die für jeden einzelnen Eiskristall selbe Umgebung, die dann einen symmetrischen Stern schafft. Das klingt immerhin logisch. :-)

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Die Invarianz des Kristallsgitters gegenüber bestimmten Symmetrieoperationen, speziell gegenüber Verschiebungen (Translationen) des Gitters um bestimmte Beträge in bestimmte Richtungen, ist die charakteristische Eigenschaft der Kristalle. Im Gegensatz zu Symmetrieelementen wie Spiegelung oder Drehung ist die Symmetrie gegenüber Translationen in der Natur nur im Kristallgitter realisiert. Die Symmetrie prägt viele physikalische Eigenschaften der Kristalle, deshalb ist dieses Kapitel an den Anfang dieser Vorlesung gestellt.

Branndibock 
Fragesteller
 08.08.2014, 22:54

Danke für die schnelle Antwort. Wenn ich aber die vielen Fremdworte übersetze, dann kommt für mich keine Antwort raus, sondern die Feststellung: die Symmetrie der Eiskristalle besteht, weil es charakteristisch für Eiskristalle ist, dass sie symmetrisch sind. Das ist für mich keine Erklärung.

Oder habe ich da was übersehen/bzw. einfach falsch verstanden?

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Dieser symmetrische 6-er Stern bildet sich, weil das die Natur so vorgesehen hat; genauso, wie wir Menschen eben 2 Beine haben und 2 Füße mit je 5 Zehen, 2 Arme mit Händen daran und je 5 Fingern usw. usf.