Stabilität und Biodiversität im Ökosystem?

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Der Begriff Schlüsselart ist etwas unglücklich aus dem Englischen übersetzt worden. Im englischen Sprachgebrauch heißt es keystone species, korrekt übersetzt heißt das nicht Schlüssel- sondern Schlusssteinart. Schlussstein ist ein Begriff aus der Architektur. Damit ist der oberste Stein eines Rundbogens gemeint. Der Schlussstein hält die gesamte Konstruktion des Bogens zusammen. Wird er entfernt, bricht der gesamte Bogen ein. In der Ökologie nennt man in Anlehnung daran solche Arten ) species, die für das Funktionieren des Ökosystems unerlässlich sind. Wird sie aus dem Ökosystem entfernt, gerät das gesamte Ökosystem aus seinem Gleichgewicht und bricht im schlimmsten Fall in sich zusammen. Der deutsche Begriff Schlüsselart lässt sich so verstehen, dass eine Art eine Schlüsselrolle im Ökosystem spielt. Das heißt, dass die Art sich direkt oder indirekt auf alle anderen Arten des Ökosystems auswirkt.

Häufig sind Raubtiere, insbesondere die Spitzenprädatoren, die Schlüsselart des Ökosystems. Sie wirken sich häufig regulatorisch bzw. limitierend auf die Beutetierpopulation aus, d. h. sie begrenzen das Wachstum der Population an Beutetieren auf ein für das Ökosystem erträgliches Maß. Fehlen die Beutegreifer, nimmt die Population der pflanzenfressenden Beutetiere stark zu und es kommt zur Überweidung des Ökosystems. Hierfür ein paar Beispiele:

  • Der Seeotter (Enhydra lutris) wurde bis Anfang des 20. Jahrhunderts wegen seines Pelzes gejagt. In weiten Teilen seiner ursprünglichen Lebensräume, den Kelpwäldern (Kelp ist eine Seetangart, die zu den Braunalgen gehört) an der Nordpazifikküste, verschwand er vollständig. Seeotter ernähren sich hauptsächlich von Seeigeln. Mit dem Verschwinden der Otter nahm die Zahl der Seeigel stark zu. Diese fraßen große Teile der Kelpeälder in kürzester Zeit auf. Die Kelpwälder sind aber wichtige Laichgebiete für zahlreiche Fischarten, denn im dichten Kelp finden die Jungfische viele Versteckmöglichkeiten. Mit der Ausrottung der Seeotter verschwanden also die Kelpeälder und mit ihnen viele Fischarten. Seit Seeitter unter Schutz gestellt wurden, erholen sich die Kelpwälder wieder.
  • Der Wolf (Canis lupus) wurde im Yellowstone National Park 1926 ausgerottet. Dadurch stieg die Anzahl der Wapitis (Cervus canadensis) im Park radch an; insbesondere, nachdem im Park jegliche Jagd verboten wurde. Das führte zu massivem Wildverbiss, sodass weite Teile des Parks regelrecht entwaldet wurden, v. a. an jungen und frischen Trieben fehlte es, sodass sogar der Biber aus dem Park verschwand. Der Anstieg der Wapitipopulation hatte zur Folge, dass Krankheiten sich ausbreiten konnten. Infolgedessen schwankten die Bestände der Wapitis stark - mal brachen sie fast völlig ein, mal explodierten sie regelrecht. Gleichzeitig nahmen die Bestände kleinerer Raubtiere wie Kojote (Canis latrans) und Fuchs (Vulpes vulpes) zu, da sie keine Konkurrenz durch den Wolf mehr zu fürchten hatten, was sich auf deren bevorzugte Beutetiere auswirkte, z. B. auf den Gabelbock (Antilocapra americana), der im Park vollständig verschwand. 1995 wurden in einer aufwändigen Aktion Wölfe aus Kanada wieder im Park angesiedelt. Seitdem konnte die Vegetation sich erholen. Der Bestand der Wapitis hat sich stabilisiert, Tiere wie Biber, Gabelbock und Weißkopfseeadler (Haliaeetus leucocephalus) kehrten zurück. Der Park ist sogar einer aktuellen Studie zufolge widerstandsfähiger gegen den Klimawandel geworden.

Eine Schlüsselart muss jedoch nicht zwingend eine Raubtierart sein. Auch Pflanzenfresser (Herbivore) können in einem Ökosystem die Schlüsselfunktion übernehmen, so z. B. das Streifengnu (Connochaetes taurinus) im Serengeti-Mara-Ökosystem. Das Streifengnu ist zum einen die Hauptbeuteart zahlreicher Beutegreifer, u. a. von Löwen (Panthera leo) und Hyänen (Crocuta crocuta), sondern trägt dadurch, dass es das Gras abweidet, dazu bei, dass seltener Buschfeuer entstehen. Dadurch haben mehr Sprösslinge die Chance zu einem Baum heranzuwachsen. Die Gnus tragen somit dazu bei, dass das Ökosystem der Savanne, also eine lockere, abwechslungsreiche Wald-, Busch- und Graslandschaft erhalten bleibt. Die Bäume und Büsche dienen beispielsweise Vögeln als Brutplätze oder Nahrungsspezialisten wie Spitzmaulnashörnern (Diceros bicornis), Giraffen (Giraffa camelopardalis tippelskirchi) oder dem Gerenuk (Litocranius walleri) als Nahrung. Eine andere wichtige Schlüsselart der Savannenökosysteme ist der Elefant (Loxodonta africana). Sie wirken der Tätigkeit der Gnus quasi als Antagonisten entgegen, indem sie Bäume umreißen und die Landschaft offen halten. Sie verhindern also, dass in den Savannen nur Wald wachsen würde.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig