Paranoid oder Radio gebaut?
Hallo, ich experimentier gern mit Elektronik rum, alles mögliche, Raspi, Audiotechnik, auch schon MW-Transmitter gebaut.
Jetzt steh ich aber vor einem kleinen "Problem".
Ich wollte einen relativ einfachen Gitarrenverstärker mit ein paar Transistoren bauen. Alles so weit, so gut. Klingt gut, jetzt will ich ein bisschen Overdrive, also, zusätzliche Verstärkerstufe.
Und plötzlich fängt es zu pfeifen und zu rauschen und alles an, also versuch ich mit ein paar Filter, kleine Last an den Vorstufen...
Hat gut funktioniert, jetzt ist nur noch ein kleines Brummen da. Bloß im Hintergrund meine ich eine fremde Stimme zu hören. Bloß zur Info: Ein Freund hört die auch...
Jetzt möchte ich mein wissen zu Radioempfängern erweitern, oder bestätigen, dass ich Paranoid bin...
Zusatzinformationen zu meiner Schaltung:
Vorverstärker: BC546 Class A
Endstufe: BD699+BD700 Class AB mit 2N2222 Treiberstufe
Kabel:
Rot+Gelb: Labornetzeil 9V
Blau oben:Masse Oszi
Blau+Weiß unten: Zum ca 30Ohm Kopfhörer
Grün: Gitarre Eingang (Masse extern verbunden)
Ich würde mich sehr freuen, wenn mich jemand aufklären würde, danke!
Grüße
Ferdi
2 Antworten
Ein Radio ist nichts anderes als ein Verstärker. Das Radio hat nur zusätzlich einen Filter der gezielt die gewünschte Radiofrequenz durch lässt und andere abblockt.
Und der Verstärker beim (einfachen MW) Radio hat noch ein klitzekleines Detail. Der hat einen Gleichrichter um die Hochfrequenz zu demodulieren.
Jeder Verstärker der nicht absolut frei von einem Offset ist, der ist ein Radio dem der Filter zum einstellen der Empfangsfrequenz fehlt.
Wenn Du also einen einfachen Class AB Verstärker gebaut hast, dann hast Du zwangsläufig einen Offset und damit eine schwache Gleichrichtung im System. Denn perfekt gleiche Transistorpaare kann es nicht geben!
Um die HF aus dem Verstärker fern zu halten kannst Du alles mit Kerkos (kleine Keramikkondensatoren) "würzen". Parallel zum Eingang (gerne mehrere parallel) und zwischen Masse/Versorgung zu den Signalleitungen. Die Kerkos müssen klein sein um das NF Signal möglichst wenig zu beeinflussen. Also wenige pF bis zu 10nF ausprobieren. Kauf Dir einfach ein Set mit Kerkos und experimentiere.
Und dann leg alle Kabel die aus dem Verstärker heraus (bzw. hinein) gehen in Ferrite. Die blocken HF die da durch will und vernichten einen Teil der HF Energie die doch noch durch geht. Das sind übrigens die Klötze die man an Laptopnetzteilen und VGA Kabeln sehen kann.
Das kann man auch "Klappbar" zum Nachrüsten kaufen:
https://www.amazon.com/-/de/dp/B08BPHCXR3/
Um die Wirkung zu vervielfachen kannst Du das Kabel auch mehrfach durch führen. Also das Kabel aufrollen und dann den Ferrit über eine Seite des Ringes klappen. Nicht beide Seiten des Ringes in einen rein klappen, das hebt sich auf. Du kannst auch mehrere Stellen des Ringes mit Ferriten versehen.
Wenn Du so ein Set hast, kannst Du damit experimentieren. In EMV Labors (ElektroMagnetische Verträglichkeit) nennt man das auch "EMV Pflaster". Die Ferrite werden dann später in der Produktion der Geräte als nicht klappbar eingebaut.
Die Leitungen getrennt durch die "pflaster" legen. Plus/Minus der Stromversorgung in einen, Eingang des Verstärkers in einen weiteren und einen dritten für den Ausgang. Musst Du das Poti für Lautstärke/Gain/etc weit von der Platine weg führen, dann auch da welche dran machen!
Ja, oszillatoren bilden sich schnell.
Eine "Mitkopplung", also das Ausgangssignal wieder in den Eingang zu füttern entsteht sehr schnell über die Versorgungsleitung.
Denn wenn eine Stufe "auf geht", sinkt die Spannung im System und das füttert Signal in die anderen Stufen ein.
Am besten trennt man die Stufen in der Stromversorgung und führt diese Sternförmig zusammen. Am Sternpunkt sollte ein "Fetter Elko" sitzen um die Spannung stabil zu halten. Jede Stufe bekommt dann schneller reagierende kleine Elkos und die superschnell reagierenden Kerkos und Folienkondensatoren.
Vergiss nicht mit dem Scope die Versorgungsleitungen zu untersuchen. Also nahe an verschiedenen Komponenten messen, auch wenn es "die selbe Leitung" ist.
Und da insbesondere großes Augenmerk auf die Masse. Die immer Sternförmig legen "für alles". Nie von Punkt zu Punkt immer weiter ziehen!
Auch ein Trick ist die Impedanz der Versorgungsleitungen zu senken. Wenn man Impedanzen parallel schaltet, verkleinern die sich. Zwei Dünne parallel geschaltete Drähte sind da bei NF/HF besser als ein ganz dicker Draht.
Und das lässt sich leicht mit Flachbandkabeln machen, insbesondere die feindrähtigen PATA Kabel von alten Festplatten. Hier einfach einen Streifen Flachbandkabel geeigneter Breite nehmen und alle Adern parallel schalten.
"Kreischen" bedeutet wahrscheinlich "schwingen". Irgendwo sind unerwünschte Rückkopplungen. Kann man nur beurteilen, wenn man die Schaltung sieht.
Wäre sicher hilfreich, damit man die Chance hat, die unerwünschte Rückkopplung zu identifizieren.
https://imgur.com/a/GmvQx7o
Hier wäre ein Schaltplan von dem, was ich aufgebaut habe.
Den hättest Du auch bei der Frage nachträglich als Bild hoch laden können.
Das Ding ist schön simpel, dafür aber alles andere als Linear. Und die Dioden die verhindern, dass beide Transistoren gleichzeitig leiten und einen Kurzschluss erzeugen, die arbeiten nur sehr ungefähr. Dadurch kommt es im Nulldurchgang zu einer heftigen Verzerrung. Die fällt zwar weniger auf, aber schön ist das halt nicht.
Am simpelsten nimmst Du eine "Endstufe" die sich selber regelt, also die Transistoren so steuert, dass das Ausgangssignal immer das gleiche Vielfache des Eingangssignales hat. Dafür brauchst Du eine Gegenkopplung. Die ist bei Deinem Verstärker gar nicht vorhanden. Hier kommen alle Unliniaritäten und Ungleichheiten von den Transistoren "voll hinten raus".
Das einfachste ist eine Operationsverstärkerschaltung. Und damit Du auch "Power" hast, nimm einen TDA2030. Der verhält sich wie der allererste OPV im modernen Sinne, der altehrwürdige µA741 (heute LM741), schafft aber einen sehr hohen Strom.
Also schau Dir einfach mal TDA2030 Verstärkerschaltungen an und dann kannst Du mit denen herum spielen. Für gewollte Effekte kannst Du da natürlich auch einfache Transistorstufen davor schalten, die Last lässt Du Dir dann vom TDA2030 bedienen.
Den kannst Du ja auch als "Spannungsfolger" schalten, dann macht der genau so viele Volt raus wie rein kommen. Damit wandelt der dann einfach die Impedanz, kann also Strom treiben. Die Spannungsverstärkung machst Du dann in den Vorstufen ohne Last und da kannst Du Dich mit Effekten voll austoben ohne Angst zu haben, dass die Last am Ausgang alles verstellt/verschiebt oder anderweitig beeinflusst.
Ok, danke für deine ausführliche Antwort, ich wollte einfach einen kleinen Gitarrenamp ohne irgendeinen vorgefertigten Chip bauen, aber anscheinend komm ich da nicht rum...
Glättungskondensatoren hab ich vergessen, fällt mir gerade auf.
Klar kannst Du einen ohne Chip bauen. Das ist aber schwierig.
Damals bis in die 1980er war das ganze "Schwarze Magie" und jeder hat dann irgendwelche Kniffe gehabt das besser und toller hin zu kriegen als die anderen.
Heute gibt es die Chips, das Ganze kann dann super linear sein und dann kann man gezielt den Klang würzen, denn linear klingt steril und damit "schlecht".
Und so neu ist der TDA2030 ja gar nicht. Der gehört ja auch schon zum alten Eisen.
Ok, ich schau mal bei der nächsten Reichelt-Bestellung. Hättest du konkrete Tipps für meine aktuelle Schaltung?
Du kannst mit "LT Spice" herumexperimentieren:
https://www.analog.com/en/resources/design-tools-and-calculators/ltspice-simulator.html
Da kannst Du beliebig an Parametern drehen und Teile austauschen ohne Kosten.
Warum die 2nF von der Basis nach Masse? Frequenzabhängige Gegenkopplung (Tiefpass) reduziert die Stabilitätsreserve,
Ohne diesem Kondensator würde er irgendwie hochfrequent schwingen und einen Radio bilden. S.o.
Das habe ich schon mit einer Software namens Falstad Circuit Simulator gemacht, dort läuft alles einwandfrei, er verstärkt einwandfrei und clippt auch anständig.
Das ist aber ein SEHR vereinfachter Simulator mit einem sehr einfachen Transistor-Modell. Der kann prinzipielle Vorgänge verdeutlichen, aber keine kritischen Bereiche erkennen.
LT Spice ist ein "Werbegeschenk" von LinearTechnologies und hieß früher "SwitcherCAD". Das wiederum war für das Planen und auslegen von Schaltnetzteilen gedacht. Das ist also dafür gemacht HF und andere Effekte zu erkennen. "Neu" von LT ist nur die grafische Oberfläche, das basiert auf Spice3, einem Schaltungssimulator aus den 1960ern. Es gibt keine höhere Version weil man das Rechenmodell nicht verbessern kann.
Alle "guten" Schaltungssimulatoren basieren auf Spice3.
Der Nachteil ist allerdings, dass das Rechenmodell nur mit "Nodelists" arbeitet und mit Grafik nichts zu tun hat. Daher das Interface von LT dass einen dazu animieren soll Teile von denen aus zu probieren und dann natürlich in hohen Stückzahlen zu kaufen. Die Teile von LT haben alle hervorragende Spice3 Modelle. Aber auch die dazugehörigen Standardteile wie zum Beispiel den LM741 sind sehr gute Modelle. und der TDA2030 ist im Wesentlichen ein 741. Und natürlich auch Standardtransistoren wie Du die verwendest sind dabei.
Ich arbeite seit den 90-er Jahren des vorigen Jahrhunderts (klingt gut, oder?) mit Spice-Simulatoren (PSpice, TOPSpice, Superspice, LTSpice incl. Vorgänger, Micro-Cap,..), aber der Falstad-Simulator gehört nicht dazu, richtig?
Ich habe die Schaltung gerade genau so bei LT Spice aufgebaut, es kommt das selbe Ergebnis raus wie bei dem Falstad Simulator, bei sehr sehr kleinem Eingangssignal verstärkter er anständig, sobald es mehr wird, clippt er immer mehr.
Ich schau mal, ob ich einen TDA2030 auftreiben kann.
Den kriegst Du "überall":
Auch als fertiges Verstärkermodul mit entsprechender Beschaltung. Benutzen/Berechnen kannst Du den wie den µA741 bzw. LM741. Das Verhalten ist sehr ähnlich, dafür aber echte Amperes statt nur Milliamperes am Ausgang.
Den als "Impedanzwandler" oder auch "Spannungsfolger" genannt schalten und der Treibt dann die Lautsprecher 1:1 mit der Spannung die Du dem vorgibst. D.h. den eigentlichen Verstärker bastelst Du Dir dann selber wie Du willst davor, der muss dann nur keine Leistung können, die macht dann der TDA.
aber der Falstad-Simulator gehört nicht dazu, richtig?
Das weiß ich leider nicht auswendig.
Pspice ist ja nur eine an den PC angepasste Version von Spice3. Also einfach nur eine Portierung.
Superspice ist dann Pspice aber mit eingebautem Schaltplan Editor der dem eigentlichen Pspice dann die Nodelist übergibt und die Ergebnisse live anzeigt. LTspice macht das selbe, allerdings ist da halt das Interface anders.
Mit Falstad habe ich nicht gearbeitet und mich auch nicht für interessiert.
Schau dir mal diese ganz einfach FM-Empfänger Schaltung an. (https://www.elektronik-labor.de/HF/UKWeinTransistor.html)
Du hast in deiner Schaltung durch die langen Drähte eine brauchbare Antenne geschaffen, aber auf welcher Frequenz du da jetzt etwas empfängst, das ist nicht einstellbar und das kannst du wohl auch nicht ermitteln. Du hast keine sichtbare Spule in deiner Schaltung, also nutzt du eine parasitäre Induktivität und einen der Kondensatoren dort als Schwingkreis.
Baue einfach mal den 1-Transistor FM-Empfänger auf.
Vielen Dank für die schnelle Antwort!
Also hab ich jetzt einfach einen ganz billigen Radio gebaut...
Mich hat das einfach nur komplett verwirrt, wie das zustandekommt.
Die HF habe ich jetzt mit einem 2.2nF WIMA von Signal zu Masse eliminiert.
Hättest du dann noch einen Tipp, wie ich einfach das "Kreischen", das bei mehr als zwei Verstärkerstufen entsteht, wegbekomme, das Oszi sagt, dass es alle möglichen Frequenzen von 3kHz bis 30kHz sind, verstehst du, was ich meine?