Nucleophile Substitution: Widerspruch bei Abgangsgruppe und Nucleophil?

2 Antworten

Nein, das ist kein Widerspruch. Große, negativ geladene Moleküle können tatsächlich sowohl gute Nucleophile als auch gute Abgangsgruppen sein, aber aus unterschiedlichen Gründen.

Als Nucleophile sind große, negativ geladene Moleküle effektiv, weil die hohe Ladungsdichte der Moleküle die Bindungen des Zielmoleküls leicht brechen kann, was zu einer schnellen und effektiven Reaktion führt. In protischen Lösungsmitteln kann die Ladung der Nucleophilen jedoch durch die Protonen des Lösungsmittels aufgehoben werden, was die Effektivität der Nucleophilen verringert. Deshalb sind in diesen Lösungen kleine Nucleophile besser geeignet, da ihre Ladungen nicht so leicht aufgehoben werden.

Als Abgangsgruppen sind große Atome mit geringerer Elektronegativität (X-) vorteilhaft, weil die Bindungslänge und die Bindungsenergie in diesen Molekülen geringer sind. Dies macht es einfacher, die Abgangsgruppe abzuspalten und die resultierenden Ionen zu stabilisieren. In diesem Fall ist die Größe des Atoms jedoch nicht der entscheidende Faktor. Vielmehr ist die geringe Elektronegativität des Atoms von Bedeutung, da sie die Bindungen schwächt und die Abgangsgruppe leichter abgespalten werden kann.

Insgesamt sind sowohl die Größe als auch die Elektronegativität von Atomen und Molekülen wichtige Faktoren, die die Effektivität von Nucleophilen und Abgangsgruppen beeinflussen können. Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass diese Faktoren unabhängig voneinander betrachtet werden müssen und nicht immer in Konflikt stehen.

jubs18 
Fragesteller
 06.12.2022, 18:47

Danke für die gute Antwort! Zwei Fragen habe ich noch: Du schreibst "Als Abgangsgruppen sind große Atome mit geringerer Elektronegativität (X-) vorteilhaft, weil die Bindungslänge und die Bindungsenergie in diesen Molekülen geringer sind." Meinst du nicht, dass die Bindungslänge bei geringerer Bindungsenergie höher sein müsste, zwei Atome also weiter voneinander entfernt sein müssten? Und warum schwächt eigentlich eine geringe EN die Bindung? Ist nicht eine stark polare Bindung schwächer?

0
xXwilliXx2002  06.12.2022, 18:49

Du hast Recht, die Bindungslänge und die Bindungsenergie sind invers proportional. Wenn die Bindungsenergie geringer ist, bedeutet das, dass die Atome weiter voneinander entfernt sind und die Bindungslänge größer ist. Mein Fehler :)

1
xXwilliXx2002  06.12.2022, 18:53
@jubs18

Eine geringe Elektronegativität schwächt die Bindung zwischen zwei Atomen, weil sie dazu führt, dass die Ladungen im Molekül ungleichmäßiger verteilt sind. In einem Molekül mit zwei Atomen unterschiedlicher Elektronegativität wird die Bindung von dem Atom mit der geringeren Elektronegativität gesteuert. Dieses Atom zieht die gemeinsamen Elektronen im Molekül stärker an als das Atom mit der höheren Elektronegativität, was dazu führt, dass die Ladungen im Molekül ungleichmäßiger verteilt sind.

Eine ungleichmäßige Ladungsverteilung führt dazu, dass das Molekül instabil wird und die Bindungen leichter gebrochen werden können. Im Fall von Abgangsgruppen bedeutet das, dass die Gruppe leichter abgespalten werden kann, was für die Stabilität der resultierenden Ionen von Vorteil ist.

Eine stark polare Bindung kann tatsächlich auch schwächer sein als eine weniger polare Bindung, aber aus einem anderen Grund. Eine stark polare Bindung entsteht, wenn zwei Atome mit sehr unterschiedlicher Elektronegativität miteinander verbunden sind. In diesem Fall ist die Ladungsverteilung im Molekül sehr ungleichmäßig, was dazu führt, dass die Bindung sehr instabil wird und leicht gebrochen werden kann.

0
jubs18 
Fragesteller
 06.12.2022, 18:58
@xXwilliXx2002

Ich glaube, ich hatte mich falsch ausgedrückt. Ich meinte eine geringe EN-Differenz zwischen C und der Abgangsgruppe. Eigentlich ist es doch so, dass eine geringe Differenz dazu führt, dass die Bindungslänge erhöht wird (mehr Abstand). Deswegen kann eine Abgangsgruppe bei einer geringen EN-Differenz zum C-Atom leichter abgespalten werden. Und trotzdem würde ich doch erstmal sagen: Polare Bindungen, also hohe EN-Differenzen machen eine Bindung instabil und nicht eine niedrige EN-Differenz. Vielleicht habe ich auch einfach ein Knoten im Kopf :)

0
xXwilliXx2002  06.12.2022, 19:17
@jubs18

Du hast absolut Recht, dass eine geringe EN-Differenz zwischen C und der Abgangsgruppe dazu führt, dass die Bindungslänge erhöht wird und die Bindung somit schwächer wird. Dies liegt daran, dass bei einer geringen EN-Differenz die Elektronen in der Bindung weniger stark vom C-Atom angezogen werden und somit mehr Freiheit haben, sich innerhalb der Bindung zu bewegen. Dies führt dazu, dass die Bindungslänge größer wird und die Bindung somit schwächer wird.

Du hast auch Recht, dass eine polare Bindung, das heißt eine Bindung mit einer hohen EN-Differenz, instabiler ist als eine Bindung mit einer geringen EN-Differenz. Eine polare Bindung ist instabiler, weil die elektrischen Ladungen im Bindungsatom ungleich verteilt sind und somit eine größere Anziehungskraft aufeinander haben. Dies führt dazu, dass die Bindung instabiler wird und leichter gebrochen werden kann.

0

Generell wird die Nukleophilie/Güte der Abgangsgruppe durch mehrere Parameter beeinflusst:

  • Ladung
  • Solvatation/Lösemittel
  • Sterik
  • Stärke der korrespondierenden Säure
  • daneben auch durch HSAB, Temperatur, Kationen, Phasentransferkatalysatoren, Bindungslänge, Bindungsstärke...

Das sind alles nur grobe Richtwerte. Es ist Erfahrungssache, es existieren empirische Parameter für Nukleophilie und Lösungsmittel.

Ein völlig kontraintuitives Beispiel ist die Finkelsteinreaktion: Ein recht stabiles Chloralkan wird mit Natriumiodid (löslich!) in Aceton erwärmt, bis Natriumchlorid ausfällt und ein Iodalkan entsteht. Triebkraft ist nur die NaCl-Fällung.