Lohnt sich die deutsche Übersetzung von Aristoteles Metaphysik?

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Für Philosophieinteressierte lohnt sich eine gute deutsche Übersetzung von Aristoteles, Metaphysik, wenn sie Deutsch genügend verstehen und nicht Altgriechisch hervorragend beherrschen.

Ein Ideal ist, den Text in der Originalsprache zu lesen. Dies setzt Sprachkenntnisse voraus. Aristoteles, Metaphysik ist ein anspruchsvoller Text, verhältnismäßig umfangreich, nach meiner persönlichen Erfahrung lassen sich manche Abschnitte bei guten Sprachkenntnissen ziemlich flüssig übersetzen, andere sind mühsamer, enthalten schwierige Stellen. Eine eigene Übersetzung des ganzen Textes, ohne Heranziehen einer vorhandenen Übersetzung, ist ein erheblicher Aufwand. Dies sollte nicht unterschätzt werden.

Die Frage enthält keine Angaben zu eigenen Sprachfähigkeiten. Diese sind aber ein wesentlicher Gesichtspunkt. Die deutsche Übersetzung nicht weiter lesen wollen, ist nur bei ausgezeichneter Kenntnis der altgriechischen Sprache in einer nicht äußerst langen Zeitspanne zu verwirklichen. Bei einem eigenen Übersetzungsversuch kann es auch vorkommen, etwas nicht zu verstehen oder falsch zu übersetzen.

Eine Übersetzung ist immer ein Stück weit eine Deutung. Wer übersetzt, muß eine Wahl treffen, eine von mehreren möglichen Formulierungen hinzuschreiben, sich bei Sätzen, bei denen mehrere Möglichkeiten des Verstehens denkbar sind, entscheiden, wie sie gemeint sind. Beim Übersetzen kann nicht alles, was in der Originalsprache bemerkbar ist und an Informationen enthalten ist, hundertprozentig in die Zielsprache transportiert werden. Auch wenn der Inhalt gut und treffend wiedergeben ist, kann etwas verloren gehen. Beispielsweise kann ein Wort der Ausgangssprache je nach Zusammenhang in der Zielsprache verschieden wiedergegeben werden. Ein gleiches Wort der Zielsprache wird unter Umständen für mehrere verschiedene Wörter der Ausgangssprache verwendet. Wer nur die Übersetzung liest, bemerkt dies nicht.

Um den Inhalt der Metaphysik von Aristoteles insgesamt kennengelernt zu haben, muß man nicht unbedingt den ganzen griechischen Text gelesen haben. Für ein gründliches Verstehen und für sorgfältige Untersuchungen gehört aber dazu, wichtige Begriffe in griechischer Sprache einzubeziehen. Bei der Deutung von Gedankengängen und der Auffassungen, die Aristoteles vertritt, kann es, vor allem bei wissenschaftlicher Forschung, erforderlich werden, auf die genaue Aussage und feine Unterscheidungen zu achten, weil davon abhängig ist, ob eine Deutung tragfähig ist und Gedanken vollständig richtig verstanden werden.

einige Beispiele für zentrale Begriffe (zum Teil eine deutsche Wiedergabe vor eine schwierige Aufgabe stellend; der Texteditor entstellt die Darstellung der griechischen Schrift eventuell etwas):

ο�?σία (ousia; Substanz, Sein, Seiendheit, Wesen, Wesenheit)

δ�?ναμις (dynamis; Vermögen, Möglichkeit, Kraft, Fähigkeit)

�?νέϱγεια (energeia; Ins-Werk-Setzen, Wirksamkeit, Wirklichkeit, Tätigkeit, Verwirklichung)

ὕλη (hyle; Stoff, Materie)

εἶδος (eidos; Form, Art, Idee, Begriff, Wesen)

ὑποκείμενον (hypokeimenon; Zugrundeliegendes, Substrat)

Die angesprochene Übersetzung ist grundsätzlich/im Allgemeinen sicherlich in Ordnung und ein gutes Mittel zum Studium. Sie ist um Genauigkeit bemüht. Ein starkes Abdriften vom Original liegt bei der Übersetzungsleistung nicht vor.

Wo es auf genaue Textarbeit zu bestimmten Stellen ankommt, ist als Kontrolle ein überprüfender Rückbezug auf den griechischen Text dieser Stellen günstig. Dies hilft, Irrtümer aufgrund übermäßiger Belastung allein bestimmter deutscher Übersetzungsformulierungen beim Interpretieren zu vermeiden.

Neben einem Vergleich mehrerer Übersetzungen gibt es die Möglichkeit, eine griechische Textausgabe oder eine zweisprachige Ausgabe zu verwenden sowie Kommentare heranzuziehen.

Die von Horst Seidl bearbeitete Übersetzung ist zweisprachig vorgelegt worden (mit dem griechischen Text und textkritischem Apparat einer wissenschaftlichen Ausgabe von 1934, wobei zusätzlich Abweichungen der Oxford-Ausgabe von William David Ross angegeben werden, also neuere textkritische Ausgaben als die von Immanuel Bekker 1831):

Aristoteles' Metaphysik : griechisch – deutsch. Halbband 1: Bücher I (A) - VI (E). Neubearbeitung der Übersetzung von Hermann Bonitz. Mit Einleitung und Kommentar herausgegeben von Horst Seidl. Griechischer Text in der Edition von Wilhelm Christ. 3., verbesserte Auflage. Hamburg : Meiner, 1989 (Philosophische Bibliothek ; Band 307). ISBN 3-7873-0932-2

Aristoteles' Metaphysik : griechisch – deutsch. Halbband 2: Bücher VII (Z) - XIV (N). Neubearbeitung der Übersetzung von Hermann Bonitz. Mit Einleitung und Kommentar herausgegeben von Horst Seidl. Griechischer Text in der Edition von Wilhelm Christ. 4. Auflage. Hamburg : Meiner, 2009 (Philosophische Bibliothek ; Band 308). ISBN 978-3-7873-1947-3

Jede Übersetzung ist gleichzeitig eine Deutung, und gerade bei solchen Texten kann einiges verloren gehen, z.B. wenn sich die Übersetzerin bei einem mehrdeutigen Satz für eine der Bedeutungen entscheiden musste (mir ist so etwas schon mehrfach aufgefallen, wenn ich ein Original mit seiner Übersetzung verglichen habe). Deshalb finde ich es am besten, möglichst immer den Originaltext zu lesen. Allerdings ist Aristoteles nicht so leicht zu lesen wie Platon. Das ist sehr aufwendig, und wenn man nicht Altphilologie, sondern Philosophie treibt, kann man ihn schon in einer Übersetzung lesen, vielleicht auch das Original und verschiedene Übersetzungen parallel. Es gibt auch zweisprachige Ausgaben, ob mit Deutsch, weiß ich aber nicht.

Meinen Vorrednern habe ich nichts im Grunde nichts hinzuzufügen, aber darf ich mal aus purer Neugier fragen, in welchem Semester bzw. an was für einer Hochschule du studierst?

Aristoteles im griechischen Original zu lesen ohne dabei eine einschlägige deutsche Übersetzung oder wenigstens einen Kommentar heranzuziehen, traue ich nicht mal meinen Dozenten zu ;-) [zumindest nicht bei der ersten Lektüre]