Kritikpunkte Martin Luthers an der (katholischen) Kirche?

3 Antworten

Luther hat zwar zunächst nur den Missbrauch des Ablasshandels kritisiert, später dann durch viele neue Thesen eine neue Glaubensrichtung geschaffen, die nach ca. 1500 Jahren zur Kirchenspaltung führte.

Es fängt an mit der Frage, ob Gott sein Heilswirken an Menschen und menschliche Institution (Kirche) verbindlich weitergegeben hat.Die katholische Kirche beantwortet diese Frage mit JA und beruft sich auf die Worte Jesu "Wer euch hört, der hört mich, und wer euch ablehnt, der lehnt mich ab (Lk 10,16); "Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein." (Mt 16,19) oder auch: "Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert." (Joh 20, 23) Es geht bei der katholischen Heilslehre darum, dass der Mensch von Gott zur Mitwirkung bestimmt ist: Gott erwählt Menschen dazu, an Seinem Handeln teilzuhaben. Der Urheber des Heils ist immer nur Gott, aber er will den Menschen nicht ohne dessen Mitwirkung erlösen. (Augustinus).

Luther dagegen wies diesen Anspruch zurück: „Einer ist Gott, Einer auch Mittler zwischen Gott und den Menschen: der Mensch Christus Jesus" (1 Tim 2,5).  Nach Luther ist der Mensch nicht frei und kann in Bezug auf sein Heil nichts wirken. Gott würde sein Wirken niemals an menschliche Institutionen oder Ämter binden. Erst aus dieser grundlegenden theologischen Differenz (Rechtfertigungslehre) ergeben sich die uns bekannten Unterschiede der beiden Konfessionen. Während die Grundsätze der Reformation dem sola-Prinzip folgten (sola gratia - allein die Gnade, sola fide - allein der Glaube, solus Christus - allein Christus, sola scriptura - allein die Bibel), ist das katholische Prinzip das "sowohl - als auch": Sowohl die Gnade als auch die Mitwirkung! - Christus in und mit der Kirche! - Sowohl die Schrift als auch die gelebte kirchliche Tradition!

Wie nun Luther oder andere zu dem Schluss kommen, dass der Mensch nicht gut genug ist, um von Gott zur Mitwirkung mit Gott befreit zu werden, wissen wir nicht. Es gibt Vermutungen, dass Luther z.B. von seiner eigenen Schuld dermaßen gefangen war, dass er sich eine Vergebung und damit Befreiung zur Miterlösung gar nicht vorstellen konnte. Und er schloss von sich auf andere: Der Mensch ist verdorben und kann nichts zur Erlösung beitragen. Bei dem, was Gott mit ihm tut, bleibt der Mensch passiv. Die katholische Kirche hat dagegen ein sehr viel optimistischeres Bild vom Menschen. Die Kirche hat sich  immer bemüht, über das Böse im Menschen den Sinn für das Gute im Menschen nicht zu verlieren.

Zur kath. Kirche gehört außer dem allgemeinen Priestertum aller Getauften ein geweihtes Priesteramt in apostolischer Nachfolge. Für Protestanten gibt es nur das allgemeine Priestertum. Die ev. Pfarrer werden nach ihrem
Theologiestudium ordiniert und einer Pfarrei zugewiesen, ebenso kann aber auch jeder Protestant der Abendmahlsfeier vorstehen, was aus kath. Sicht das Abendmahl  wegen der fehlenden Weihe ungültig macht.

Besonders deutlich wird dieser Unterschied in der Wandlung
der Eucharistie: In der katholischen Lehre bindet Gott sich so sehr an seine
eigene Zusage: "Das ist mein Leib", dass er sich sogar in die Hände
von Menschen gibt, die IHN und das eucharistische Wunder ablehnen.Innerhalb  des Protestantismus gibt es eine so große Bandbreite von Abendmahlstheologien, dass man nicht von "dem" evangelischem Verständnis sprechen kann. Von der Auffassung, im Abendmahlsgottesdienst wandelt sich überhaupt nichts, sondern es würde nur ein reines Erinnerungsmahl gefeiert oder die Wandlung sei  vom Glauben des Empfängers abhängig bis hin zur lutherischen und fast katholischen Auffassung, dass sie die Gaben bereits mit den vom Zelebranten gesprochenen Worten wandelt, finden sich auch alle Zwischenformen im Protestantismus.

Die kath. Kirche hat immer neben die Bibel auch die Tradition der Kirche gestellt. Das ist auch notwendig - denn die lebendige Tradition ist der Schlüssel zur Bibel. Immerhin hat die kirchliche Tradition die Bibel hervorgebracht - die Bibel ist ein Stück der mündlichen Überlieferung.
Die protestantische Theologie meint  in vielen katholischen Frömmigkeitsbräuchen ein Gegensatz und eine Schmälerung der Gnade Gottes zu sehen: Immer wenn der (katholische) Mensch in seiner Frömmigkeit AKTIV wird, vermutet der Lutheraner eine Einschränkung der AKTIVITÄT Gottes. Aber: Nicht der Mensch erlangt durch seine Aktivität Gnade, sondern Gnade veranlasst den Menschen, aktiv zu werden, begleitet ihn undstärkt ihn. Und so ist es auch bei der Buße (Beichte).

Die Vergebung ist immer ein reiner Gnadenakt. Aber der Mensch, der durch das Gnadenbad der Beichte rein geworden ist, beginnt seine Schuld und seine sündigen Gewohnheiten durch Mitwirkung mit der Gnade abzustreifen. Daraus aber zu folgern, dass  jede Aktivität des Menschen mit dem Tod des Menschen endet, ist ein Fehlschluss der Protestanten. Dass Heiligeauch nach ihren Tod von Gott die Möglichkeit bekommen, dass zu tun, was ihre innerste Sehnsucht ist: Nämlich Gott zu schauen und die Menschen in die Schau Gottes zu führen. Heilige sind Mitbegleiter, keine Para-Götter; Heilige sind Fürsprecher und Mitbeter Heilige sind Erinnerungen und Ermahnung zur Christusliebe - keine Ersatzbefriedigungen oder Götter-Ersatz.

Die Frage so zu stellen, ist unhistorisch. Denn auch Luther hat erhebliche Entwicklungen durchgemacht und es ist die Frage, welche Kritikpunkte Martin Luther wann an der kath. Kirche entwickelte. Das waren ja nicht von Anfang an immer die gleichen. Der Luther vor 1521 (Worms) ist z.B. nicht  der Luther von nach 1521. 

In seinen 95 Thesen prangerte Luther die Finanzpraktiken der Kirche, Irrtümer in der Lehre (Ablasshandel) sowie Missstände in der Glaubensausübung (unbibl. Traditionen) an.