Kann ich den Begriff "Marktgesellschaft" synonym für "Kapitalismus" benutzen?

3 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Ich würde sagen Kapitalismus ist mehr die Theorie und Marktgesellschaft dann die Umsetzung in einer Gesellschaft

uyduran 
Fragesteller
 21.10.2015, 11:04

Das würde ja bedeuten, ohne Kapitalismus keine Marktgesellschaft und ohne Marktgesellschaft kein Kapitalismus. Oder?

0
uyduran 
Fragesteller
 07.11.2015, 10:14
@verreisterNutzer

Ich habe mich da nochmal intensiver kundig gemacht. Varoufakis charakterisiert den Begriff "Marktgesellschaft" folgendermaßen: Zunächst unterscheidet er zwischen Gesellschaften mit Märkten (die es schon immer gab, die jedoch nicht von der Logik des Marktes geprägt waren) und Marktgesellschaften (=Wirtschaften mit der Logik des Marktes). Die Entstehung dieser erfolgte als Resultat der industriellen Revolution im 18 Jahrhundert durch die Kommerzialisierung der drei Produktionsfaktoren (Arbeit, Produktionsmittel, Boden) und den damit verbundenen Triumph der Tauschwerte über die Lebenswerte. In der Marktgesellschaft agiere jeder isoliert als kleiner Unternehmer gegen alle anderen. Varoufakis übt harte Kritik am Modell der Marktgesellschaft: Die durchgängige Kommerzialisierung, die Privatisierung des Landes, die Fokussierung auf Tauschwerte, welche die Lebenswerte immer weiter in den Hintergrund rücken lassen sowie die Dominanz des privaten Gewinns im Verhältnis zum Gemeinwohl seien eine Katastrophe aus politischer, gesellschaftlicher und ökologischer Hinsicht.

Ich würde daraus - um auf meine eigentliche Frage zurückzukommen - schließen, dass Varoufakis mit der "Marktgesellschaft" also nicht den Kapitalismus an sich meint. Sondern eher die ganzheitliche Gesellschaftsform (als ein Resultat des kapitalistischen Wirtschaftssystems), in der sich die Logik des Marktes nicht auf wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Bereiche beschränkt, sondern unser komplettes Denkschema ergriffen hat. Wir denken nur noch in Begriffen des Marktes, der Steigerung, der Optimierung, des Konkurrenzdenkens, sind Zeitzeugen einer ganzheitlichen Kommerzialisierung und messen Tauschwerten unsere höchste Priorität bei. Die Wirtschaft hätte demnach maßgebliche (und laut Varoufakis überwiegend negative) Auswirkungen auf unser Sozialverhalten und Wertesystem genommen.

0
voayager  25.10.2015, 21:02

eine Marktgesellschaft als Fachbegriff gibt es garnicht. Hab gerade sämtliche Wirtschaftslexika und Meyers durchgeblättert, da taucht dies seltsame Wort nicht auf. Vielleicht so eines der Kunstprodukte der eigenartigen hiesigen Schule.

0

Nein kannste nicht, der Begriff Kapitalismus beschreibt das Wesen einer Gesellschaft, Marktwirtschaft ist hierbei die meist vorherrschende Erscheinungsform dieses Systems.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Innerhalb meines Studiums hatte ich viel mit Politik z utun
uyduran 
Fragesteller
 25.10.2015, 20:43

Du hast Dich verlesen, wie mir so eben aufgefallen ist: Ich fragte nicht nach dem Begriff Marktwirtschaft, sondern nach der Marktgesellschaft. Demnach fällt dann auch Deine Antwort etwas anders aus, nicht? LG

0
voayager  25.10.2015, 20:57
@uyduran

gewiß fällt er dann anders aus, ich kenn den nämlich garnicht und kann mir daher auch nix drunter vorstellen

0
uyduran 
Fragesteller
 06.11.2015, 09:51
@voayager

Ich habe mich da auch nochmal intensiver kundig gemacht. Varoufakis charakterisiert den Begriff "Marktgesellschaft" folgendermaßen: Zunächst unterscheidet er zwischen Gesellschaften mit Märkten (die es schon immer gab, die jedoch nicht von der Logik des Marktes geprägt waren) und Marktgesellschaften (=Wirtschaften mit der Logik des Marktes). Die Entstehung dieser erfolgte als Resultat der industriellen Revolution im 18 Jahrhundert durch die Kommerzialisierung der drei Produktionsfaktoren (Arbeit, Produktionsmittel, Boden) und den damit verbundenen Triumph der Tauschwerte über die Lebenswerte. In der Marktgesellschaft agiere jeder isoliert als kleiner Unternehmer gegen alle anderen. Varoufakis übt harte Kritik am Modell der Marktgesellschaft: Die durchgängige Kommerzialisierung, die Privatisierung des Landes, die Fokussierung auf Tauschwerte, welche die Lebenswerte immer weiter in den Hintergrund rücken lassen sowie die Dominanz des privaten Gewinns im Verhältnis zum Gemeinwohl seien eine Katastrophe aus politischer, gesellschaftlicher und ökologischer Hinsicht.

Ich würde daraus - um auf meine eigentliche Frage zurückzukommen - schließen, dass Varoufakis mit der "Marktgesellschaft" also nicht den Kapitalismus an sich meint. Sondern eher die ganzheitliche Gesellschaftsform (als ein Resultat des kapitalistischen Wirtschaftssystems), in der sich die Logik des Marktes nicht auf wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Bereiche beschränkt, sondern unser komplettes Denkschema ergriffen hat. Wir denken nur noch in Begriffen des Marktes, der Steigerung, der Optimierung, des Konkurrenzdenkens, sind Zeitzeugen einer ganzheitlichen Kommerzialisierung und messen Tauschwerten unsere höchste Priorität bei. Die Wirtschaft hätte demnach maßgebliche (und laut Varoufakis überwiegend negative) Auswirkungen auf unser Sozialverhalten und Wertesystem genommen.

0

Das Problem ist, der Begriff "Kapitalismus" ist inzwischen so zerredet und mit den unterschiedlichsten Bedeutungsgehalten gefüllt worden, dass er nahezu unbrauchbar ist für eine saubere wissenschaftliche Analyse. Man müsste zumindest eine lange, abgrenzende Eigendefinition und Abgrenzung von anderen Bedeutungsgehalten vorausschicken. Das ist Varoufakis Sache nicht. Der nutzt lieber die (meist negativ) emotionsgeladene Begrifflichkeit für eigene schwammige Vorstellungen. Im ökonomischen Kern ist "Kapitalismus" eine (mehr oder weniger gut abgrenzbare) neue Qualitätsstufe der gesellschaftlichen Arbeitsteilung seit der Industriealisierung. "Kapital" und Arbeitsteilung gibt es, seit die Menschen die Höhlen verlassen haben und in gesellschaftliche Verhältnisse der Produktion und des Handels eingetreten sind. Interessanterweise wurde das Buch "Wohlstand der Nationen" von Adam Smith als sog. Klassiker der Marktwirtschaft geschrieben, als der "Kapitalismus" marxcher Lesart noch gar nicht existierte oder erst ganz anfänglich in den Kinderschuhen steckte.

Marx selbst hat mit "Kapitalismus" nicht nur die neue Qualitätsstufe der Arbeitsteilung im aufbrechenden Industriezeitalter benannt, sondern auch die zu seiner Zeit aktuelle gesellschaftliche Qualität der Organisation. Das ist in soweit ein Problem, als sich sowohl die Qualität der gesellschaftlichen Arbeitsteilung wie auch die gesellschaftliche Qualität der Organisation fortentwickelt haben (die Verelendung der Massen ist ja im Sozialismus eher eingetreten als im sogenannten Kapitalismus). Varoufakis verschweigt auch, wie sehr gerade in Griechenland bereits die wettbewerbsbasierte Marktgesellschaft durch sozialistische Eingriffe des Staates und Seilschaften von Familienclans (wozu auch er selbst und Tsipras gehören) aus den Angeln gehoben wurden. Die Verarmung großer Teile (bei gleichzeitigem einseitigem Reichtum weniger Familienclans) der griechischen Bevölkerung ist gerade nicht das Ergebnis einer Marktgesellschaft, sondern der Aushebelung durch Seilschaften.

Was jedoch soll die Alternative zur Marktgesellschaft sein? Die zentrale Plangesellschaft? Hatten wir das nicht gerade erst? Wie ethisch waren denn die politischen Ambitionen des Yanis Varoufakis die Arbeitnehmer in Deutschland für die Schlampereien in Griechenland zahlen zu lassen. Diese seltsam einseitige Form der Solidarität ist nicht mehrheitsfähig. Wenn er beklagt, dass in Griechenland die Banken gerettet wurden und ausländische Geldgeber, wieso klagt er nicht die an, die Griechenland auf dem Weg übermäßiger Verschuldung das Land in die Klauen der Banken gebracht haben? Und wie sähe Griechenland denn aus, wenn deren Banken nicht mit Milliardenbeträgen gefüttert worden wären? Wenn in 10 - 20 Jahren in Deutschland massiv Altersarmut und Gesundheitsnotstand herrschen, sollte man sich mal genau anschauen, an wen die Reserven der Sicherungsinstitutionen geflossen sind! Da kommt ja erst der "dicke Hund".

berkersheim  21.10.2015, 11:43

Um das oben inhaltlich ausgeführte auf den Punkt zu bringen: Kapitalismus und Marktgesellschaft sind nicht das gleiche. Auch im Sozialismus "herrschte ökonomisch Kapitalismus", nur eben in anderer gesellschaftlicher Organisationsform. Auch der Begriff "Marktgesellschaft" ist viel zu vage um soziologisch unterschiedliche Marktgesellschaften voneinander abzugrenzen. Aber Varoufakis hat ja auch kein wissenschaftliches Buch geschrieben sondern ein Pamphlet, um mit seiner Popularität noch etwas Geld zu verdienen - oder ist bekannt, dass er seine Bücher verschenkt, was ja ein erster überzeugender Schritt aus der Marktgesellschaft wäre.

1
alashatt  21.10.2015, 16:28

Dass Marx' Kapitalismusbegriff nur auf seine Zeit anwendbar ist, ist allerdings falsch. Kapitalismus definiert sich über die Zirkulation G-W-G', also über Lohnarbeit als Mittel zur Kapitalakkumulation. Das können wir noch heute flächendeckend beobachten. Und der sogenannte Sozialismus dient nicht als Maßstab für seine ökonomischen Theorien, weil er eben kein Sozialismus war.

1
berkersheim  21.10.2015, 18:56
@alashatt

@alashatt

Man kann mit Gewalt alles auf alles anwenden. Müsste man noch beweisen, dass Lohnarbeit das alleinige Mittel zur Kapitalakkumulation ist und das erst sei der Industriealisierung. Und wenn der Sozialismus versagt hat, kann man ihn aus der Definition von Sozialismus rausschmeißen. Besser kein Sozialismus als einer, der den Idealen nicht entspricht. Insoweit sind gläubige Sozialisten und Marxisten den gläubigen Juden ähnlich: DIe warten auch bereits seit über 4000 Jahren auf ihren Messias, egal wieviele Jesusse inzwischen aufgetreten sind. So gesehen haben gläubige Sozialisten und Marxisten noch gut 3800 Jahre Zeit.

0
alashatt  21.10.2015, 19:43
@berkersheim


Man kann mit Gewalt alles auf alles anwenden. Müsste man noch beweisen, dass Lohnarbeit das alleinige Mittel zur Kapitalakkumulation ist und das erst sei der Industriealisierung.

Du gehst völlig an der Sache vorbei. Marx' Definition lautete, dass eine kapitalistische Gesellschaft durch flächendeckende Lohnarbeit charakterisiert ist (die Kapitalakkumulation ist eine Folge - zwar geht er auch davon aus, dass es das einzige Mittel ist, aber das ist ein anderes Thema). Das hat nichts mit dem zu tun, was du oben geschrieben hast, was auch immer du konkret meintest. Es geht hier nicht um "Gewalt", sondern um eine Abstraktion, die sich bis zu einer erfolgreichen sozialistischen Weltrevolution reproduziert und noch von keinem antimarxistischen Ökonomen von der Hand gewiesen werden konnte.

Und wenn der Sozialismus versagt hat, kann man ihn aus der Definition von Sozialismus rausschmeißen.

Es geht weniger darum, ob er versagt hat oder nicht, weil das inhaltsleere Abstraktionen sind. Dass der Sozialismus die Tendenz zur Degeneration hat, wenn er sich nicht international ausbreitet, wusste selbst Lenin. Nur Stalin, der Betonkopf, und sein Parteiflügel ließen den Nationalstolz wieder aufblühen und waren vom "Sozialismus in einem Land" überzeugt. Der langfristige Misserfolg war für jeden ernst zu nehmenden Marxisten damals schon klar, zumindest unter der Prämisse, dass die Umstände gleich bleiben und Westeuropa nicht plötzlich kommunistisch wird. Und wir wissen beide, dass der Ostblock von vielen Marxisten kritisiert wurde. Man führt nicht einfach eine Revolution aus und hat über Nacht eine neue Gesellschaft. Die Voraussetzungen, um beispielsweise Geld oder den Staat abzuschaffen, waren einfach nicht da - wie denn, mit der kapitalistischen Kernzone im Westen?

1
berkersheim  22.10.2015, 09:55
@alashatt

@alashatt

Ich weiß ja, dass es vergeblich ist, festgefahrene Dogmatiker aus ihren eingefahrenen Denkschablonen zu befreien. Diese Antwort ist für die anderen interessierten Leser. Kapital und Lohnarbeit hat es sei der gesellschaftlichen Arbeitsteilung IMMER gegeben. Das wusste auch Marx! Marx, und da ist ihm zuzustimmen und er ist auch nicht der erste, der das feststellte, diagnostizierte, dass mit der industriellen Revolution eine neue Qualität des Verhältnisses von Arbeit und Kapital angebrochen ist, was auch im ökonomischen Kalkül neue Ebenen der Beziehungen eröffnet hat. Das ist das, was ich oben den "ökonomischen Kern" des Begriffs "Kapitalismus" genannt habe. Den haben auch andere Ökonomen herausgearbeitet - aber im Unterschied zu Marx haben sie die Auswirkungen auf die gesellschaftliche Organisation anders eingeschätzt. Der ökonomische Kern des Kapitalismus charakterisiert eine neue Stufe der ökonomischen Verhältnisse, die auch im Sozialismus gelten, wenn er nicht in der ökonomischen Qualität zurückfällt - wie z.B. in Russland als mehrheitlich landwirtschaftlich geprägter Staat zur Zeit der Revolution. NEU an Marx ist seine Analyse und Prognose der gesellschaftlichen Auswirkungen. Inzwischen haben sich beide, der ökonomische Kern des Kapitalismus wie auch die gesellschaftlichen Verhältnisse seit 1850 weiterentwickelt und beides durch aus nicht so, wie es von Marx prognostiziert wurde.

Spezialität der dogmatischen Marxisten ist, sowohl ihre Theorie wie auch ihre Analyse so gewaltsam zu beugen, dass es irgendwie doch noch zusammengeht. Das nimmt ihnen aber keiner mehr ab. Da wird dann behauptet, dass die Feststellung, dass der "reale Sozialismus" bezogen auf die eigenen Prognosen versagt hat, als "inhaltsleere Abstraktion" dargestellt. Dabei müssten diese Leute nur mal ihre eigene Theorie anschauen, die strotzt vor "inhaltsleeren Abstraktionen".

Mir geht es nicht darum, die Leistung von Marx kleinzureden! Er war bei aller ideologischen Festgefahrenheit dennoch ein kritischer Wissenschaftler und zusammen mit dem Industriellen Engels ein großer Philosoph. Die neuen Qualitäten des "ökonomischen Kerns des Kapitalismus" werden mit Begriffen wie Globalisierung, Finanzkapitalismus und Industrie 4.0 bezeichnet, je andere Aspekte und jeder dieser ökonomischen Aspekte zieht unterschiedliche Lösungen im gesellschaftlichen Raum nach sich, die je nach gesellschaftlicher Historie und Verknüpfung sehr verschieden ausfallen können. Denn die gesellschaftlichen Lösungen sind in China andere als in Japan und in den USA, erst recht als in Indien oder Deutschland mit dem desaströsen europäischen Rattenschwanz.

0
alashatt  22.10.2015, 17:16
@berkersheim

berkersheim hält es nicht mehr für nötig mich direkt anzusprechen, dafür aber sich abfällig zu äußern. Und weil er glaubt, objektive Tatsachen hingen davon ab, wie oft und intensiv man dem Opponenten "festgefahrene[n]" Dogmatismus und "eingefahrene Denkschablonen" vorwirft, habe ich auch keine Lust das brave Vorbild zu spielen. Du willst unbedingt so eine Kindergartendiskussion führen? Bitte, dann erfüll ich dir den Wunsch. "Diese Antwort ist für die anderen interessierten Leser":

Kapital und Lohnarbeit hat es sei der gesellschaftlichen Arbeitsteilung IMMER gegeben. Das wusste auch Marx! Marx, und da ist ihm zuzustimmen und er ist auch nicht der erste, der das feststellte, diagnostizierte, dass mit der industriellen Revolution eine neue Qualität des Verhältnisses von Arbeit und Kapital angebrochen ist, was auch im ökonomischen Kalkül neue Ebenen der Beziehungen eröffnet hat.

Lohn und Kapital hat es zwar schon länger gegeben als den Kapitalismus, aber nie als dominante Produktionsweise. Was soll das überhaupt heißen "neue Qualität des Verhältnisses von Arbeit und Kapital"? WAS für eine Qualität, was bedeutet das konkret und wie steht das in Relation zur heutigen Zeit? berkersheim zaubert abstrakte Begrifflichkeiten aus seinem Hut, von denen keiner sagen kann, was er eigentlich damit meint. "Qualität" alleine ist so ein dermaßen ungenauer Begriff, den man willkürlich auf alles Beliebige anwenden kann. Was soll diese Mystifizierung?

Der ökonomische Kern des Kapitalismus charakterisiert eine neue Stufe der ökonomischen Verhältnisse, die auch im Sozialismus gelten [...]

Was natürlich im völligen Widerspruch zu Marx steht. Der Sozialismus ist eine qualitativ neue, "höhere" Entwicklungsstufe der Gesellschaft bzw. der ökonomischen Verhältnisse. Das ist das, was berkersheim nicht begreift und aus diesem Grund glaubt er, die Bezeichnung "Sozialismus" auf alles anwenden zu können, was auch nur nach seiner Verwirklichung gestrebt hat. Sprich: Die kapitalistischen Elemente des sogenannten "Realsozialismus" seien, alleine schon, weil entsprechende Länder den Versuch gestartet haben, von Natur aus auch sozialistische Elemente.

Da wird dann behauptet, dass die Feststellung, dass der "reale Sozialismus" bezogen auf die eigenen Prognosen versagt hat, als "inhaltsleere Abstraktion" dargestellt. Dabei müssten diese Leute nur mal ihre eigene Theorie anschauen, die strotzt vor "inhaltsleeren Abstraktionen".

Abstraktionen sind wichtig, solche machen uns überhaupt zu lernfähigen Wesen. Sie bergen aber auch immer die Gefahr, dass man Wesentliches übersieht und somit auf eine Stufe der Argumentation verfällt, die fast schon religiös ist. Fakt ist: Der "Realsozialismus" ist nach 73 Jahren zugrunde gegangen. Was berkersheim daraus abstrahiert: Der Untergang dessen, was sozialistische Revolutionen schaffen, ist vorprogrammiert, es ist ein Naturgesetz, dass Sozialismen sich degenerieren. Der Fehler, diese Abstraktion zu fetischisieren, liegt vor allem in der Vorstellung, dass der Sozialismus durch ein politisches Programm "eingeführt" werden könne. Der Sozialismus ist allerdings nichts anderes als die Aufhebung des derzeitigen Zustandes (Negation des Kapitalismus) und dazu verhelfen keine (anderen) Abstraktionen, die Marxisten aus dem Sozialismus ziehen (Gleichheit, klassenlose Gesellschaft usw.), in einem Wort: positive Forderungen. Sozialismus wird nicht "implementiert", es sind konkrete gesellschaftliche Prozesse, die von Zeit zu Zeit und Ort zu Ort variieren. Genauso sind auch konkrete Umstände und konkrete Ereignisse der Grund, weshalb der Sozialismus der Sowjetunion sich degenerierte. Dass der Sozialismus untergeht, war anfangs noch nicht unausweichlich! In den 30ern, höchstens in den späten 20ern hätte man sagen können, dass daraus nichts wird. Aber vorher war eine internationale Revolution sehr gut möglich! 

Mir geht es nicht darum, die Leistung von Marx kleinzureden! Er war bei aller ideologischen Festgefahrenheit dennoch ein kritischer Wissenschaftler und zusammen mit dem Industriellen Engels ein großer Philosoph.

Was für eine Überraschung. Es ist immer dasselbe: "Marx' Leistungen/Motive waren toll, nur seine Ideologie nicht die Lösung." Leider entspringt die Aussage dem Fehlschluss, dass man Marx' wissenschaftliche Arbeit von dem Kommunismus trennen könne. Ich hab zu wenig Zeichen zur Verfügung, sonst würde ich näher drauf eingehen.

Die neuen Qualitäten des "ökonomischen Kerns des Kapitalismus" werden mit Begriffen wie Globalisierung, Finanzkapitalismus und Industrie 4.0 bezeichnet

Globalisierung hat Marx schon damals beobachten können. Die Finanzwirtschaft funktioniert nicht ohne die Realwirtschaft, sie ist überhaupt nur ein Produkt dessen, weshalb Marx' Analyse nach wie vor aktuell ist. Und was sagt bitte Industrie 4.0 darüber aus, ob wir Kapitalismus haben oder nicht? Technische Entwicklungen ändern nichts an den grundlegenden sozialen Zusammenhängen, die für den Marxismus entscheidend sind.

1
berkersheim  22.10.2015, 19:12
@alashatt

Mich reizt an dem obigen Sermon nur der eine Satz:

Lohn und Kapital hat es zwar schon länger gegeben als den Kapitalismus, aber nie als dominante Produktionsweise.

Da frag ich mich, wie denn davor ohne Arbeit und Arbeitsmittel produziert wurde? Selbst für Marx begann die Entfremdung mit der Arbeitsteilung, in der niemand mehr alles für sich allein produziert hat. Den Rest der Beurteilung überlasse ich dem "gnädigen" Leser zur Eigenbeurteilung. "Gläubige" Marxisten werden in alashatt ihr Heil finden, andere eher kopfschüttelnd nicht.

0
alashatt  22.10.2015, 20:08
@berkersheim

Da frag ich mich, wie denn davor ohne Arbeit und Arbeitsmittel produziert wurde? 

Der "Leser" kann sich selbst davon überzeugen: dass vor dem Kapitalismus "ohne Arbeit und Arbeitsmittel produziert wurde", habe ich nie geschrieben. Die Rede war von Lohn und Kapital. Jetzt fragt sich, was muss man sein, um dies beispielsweise in der feudalen Produktionsweise zu finden? "Gläubig"? "Festgefahren"? "Dogmatisch"? Nehmt euch gerne irgendeinen überheblichen, provokanten Vorwurf aus berkersheims Streitschriften raus, von welchen er denkt, dass sie seine Argumentation bekräftigen würden.

1