Ist Immigration aus populations- und bevölkerungsgenetischer Sicht positiv zu bewerten?

2 Antworten

Immigration kann für eine Population von Vorteil sein, sie kann aber auch von Nachteil sein.

Im Allgemeinen verliert jede Population durch die genetische Drift ständig einen Teil ihrer genetischen Variabilität. Wenn z. B. das Geschlechterverhältnis einer Population nicht ausgewogen ist (d. h. es gibt mehr Weibchen als Männchen oder umgekehrt mehr Männchen als Weibchen), werden einige Individuen keinen Fortpflanzungspartner finden und die Genvarianten (Allele), die sie in sich tragen, verschwinden aus dem Genpool. Eine Abnahme der genetischen Variabilität bedeutet, dass es einer Population im Fall von Umweltveränderungen schlechter oder im Extremfall gar nicht gelingt, sich an die Umweltbedingungen anzupassen. Wenn etwa ein neuer Krankheitserreger auftaucht, dann ist die Wahrscheinlichkeit in einer Population mit hoher genetischer Variabilität recht groß, dass zumindest einige Individuen Allele besitzen, die sie gegenüber dem neuen Erreger resistenter machen. Ist die Population hingegen genetisch einheitlich, besteht das Risiko, dass es keine resistenten Individuen gibt und dann kann das Auftreten eines neuen Erregers die ganze Population vernichten.

Der Verlust an genetischer Variabilität kann ausgeglichen werden, wenn dem Genpool neue Genvarianten hinzugefügt werden. Das kann zum einen durch spontane Mutationen passieren. Im Regelfall ist die natürliche Mutationsrate aber kleiner als die Verlustrate durch die Gendrift, sodass Mutationen allein den Verlust meist nicht ausgleichen können. Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass Individuen aus anderen Populationen in die Population immigrieren und neue Allele in den Genpool bringen. Das ist der anteilsmäßig bedeutendere Weg, über den die genetische Variabilität erhalten bleibt. Der genetische Austausch durch Ab- und Zuwanderung zwischen Populationen sorgt also zum einen dafür, dass Populationen anpassungsfähig bleiben.

Zum anderen sorgt der genetische Austausch zwischen Populationen aber auch dafür, dass der Heterozygotiegrad der Populationen erhalten bleibt. Insbesondere kleine, isolierte Populationen sind zunehmend von Inzucht betroffen. Nah verwandte Individuen sind sich genetisch recht ähnlich, d. h. sie teilen einen Großteil ihrer Allele miteinander. Wenn sie sich dann miteinander fortpflanzen, werden zunehmend die gleichen Allele miteinander gepaart, die Nachkommen werden mehr und mehr homozygot, was bedeutet, dass sie auf beiden Chromosomen dieselbe Genvariante tragen. Das kann zur sog. Inzuchtdepression führen und im Endeffekt dazu, dass das Aussterberisiko für die Population steigt. Zum einen werden die meisten Erbkrankheiten rezessiv vererbt. Das bedeutet, dass ein Individuum nur dann erkrankt, wenn es auf beiden Chromosomen das krank machende Allel trägt. Heterozygote Individuen, also solche, die nur ein Mal das rezessive Allel tragen, erkranken hingegen nicht. Ein hoher Anteil an Heterozygoten in einer Population schützt also vor einer weiten Verbreitung der meisten erblich bedingten Defekte. Beispielsweise litt die in Florida lebende Population der Pumas (Florida-Panther) infolge von starker Inzucht Mitte der 1990er Jahre stark unter Gendefekten wie Knickschwänzen. In Texas wurden daraufhin einige Pumas gefangen und nach Florida gebracht, um die Population genetisch aufzufrischen. Seitdem hat sich die Knickschwanzrate drastisch reduziert.

Ein weiterer Grund für Inzuchtdepression, der aus einem Rûckgang des Heterozygotiegrads resultiert, ist, dass Heterozygote oft gegenüber homozygoten Trägern einen Überlebensvorteil haben. Man nennt dies deshalb auch den Heterozygotenvorteil. In Nordamerika beispielsweise gibt es in einigen Regionen in den Wolfspopulationen besonders viele schwarze Wölfe. Schwarzes Fell wird rezessiv vererbt und ist eigentlich nachteilig, weil die schwarzen Individuen nicht so gut getarnt sind. Heterozygote Individuen, die das Allel nur ein Mal haben, sind aber resistenter gegen Hundestaupe. In Regionen mit regelmäßigen Ausbrüchen dieser Krankheit sind die Heterozygoten im Vorteil und haben durch ihr Überleben zur Verbreitung des rezessiven Allels beigetragen.

Es kann aber auch sein, dass genau das Gegenteil passiert und sich eine genetische Vermischung verschiedener Populationen als nachteilig erweist. In diesem Fall spricht man von der Auszuchtdepression. Populationen haben sich vielfach an die in ihrer Region herrschenden Bedingungen hervorragend genetisch angepasst. Kommt es nun zu einer Hybridisierung mit einem Individuum, das an ganz andere Bedingungen angepasst ist, sinken die Überlebenschancen des Nachwuchses. Häufig lässt sich das beobachten bei Arten mit einem großen Verbreitungsgebiet über eine grographische Kline. Man stelle sich z. B. eine Vogelart vor, die von Nord nach Süd weit verbreitet ist. Im Norden ist es recht kalt, die Vögel in der nördlichen Population mussten sich also an diese Kälte anpassen. Wenn nun ein Vogel aus der südlichen Population, die eben an eher heißes Klima angepasst ist, einwandert, kann es sein, dass der Nachwuchs mit den kalten Bedingungen im Norden nicht so gut zurecht kommt wie Nachkommen, deren Eltern beide aus der nördlichen Population stammen.

Im Artenschutz gibt es also einen nicht immer ganz einfachen Spagat zwischen dem Erhalt einer möglichst großen genetischen Variabilität und der Vermeidung von Inzuchtdepression einerseits und dem Erhalt der Anpassungsfähigkeit der Population durch Vermeidung von Auszuchtdepression andererseits.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig

Hey Kleomäusschen.

Die Frage, ob Immigration aus populations- und bevölkerungsgenetischer Sicht positiv zu bewerten ist, ist komplex und kann unterschiedlich beantwortet werden, je nachdem, welchen Aspekt man betrachtet. Hier sind einige Überlegungen:

  1. Vielfalt im Gen-Pool: Durch Immigration können neue Gene und genetische Variationen in eine Bevölkerung eingeführt werden, was den Gen-Pool erweitern und die genetische Vielfalt erhöhen kann. Dies kann potenziell die genetische Gesundheit und Anpassungsfähigkeit einer Population verbessern.
  2. Verhinderung genetischer Vereinsamung: Wenn eine Bevölkerung isoliert bleibt und es wenig genetischen Austausch mit anderen Populationen gibt, besteht die Gefahr der genetischen Vereinsamung. Dies kann zu einem erhöhten Risiko für Inzuchtdepression und genetische Krankheiten führen. Immigration kann dazu beitragen, genetische Vereinsamung zu verhindern, indem sie neue Gene in die Bevölkerung einführt.
  3. Genetische Anpassungsfähigkeit: Eine vielfältigere Genetik innerhalb einer Bevölkerung kann die Anpassungsfähigkeit gegenüber Umweltveränderungen und neuen Krankheiten erhöhen. Wenn eine Bevölkerung genetisch homogen ist, könnte sie anfälliger für bestimmte Umweltbedingungen oder Krankheiten sein.
  4. Herausforderungen der Integration: Trotz der potenziellen Vorteile können Immigration und die damit verbundene genetische Vielfalt auch Herausforderungen mit sich bringen, wie beispielsweise soziale Spannungen, kulturelle Unterschiede und mögliche Konflikte. Eine erfolgreiche Integration kann den positiven Effekt der genetischen Vielfalt verstärken.

Es ist erforderlich zu beachten, dass die Bewertung der Auswirkungen von Immigration und genetischer Vielfalt auf eine Bevölkerung von vielen Faktoren abhängt und dass es keine einfache Antwort gibt. Die langfristigen Auswirkungen hängen von einer Vielzahl von sozialen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Faktoren ab. Letztendlich hängt die Bewertung davon ab, wie eine Gesellschaft mit den Herausforderungen und Chancen umgeht, die mit Immigration und genetischer Vielfalt verbunden sind.