Haben Mythen was mit Philosophie zu tun?

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Mythen enthalten eine Weltdeutung und ihr Inhalt kann bei einer Übertragung in philosophische Gedanken zur Philosophie beitragen. Die Mythen können auch philosophischer Kritik unterliegen. So hat Xenophanes gegen Dichter, die Stoffe griechischer Mythologie gestaltet haben, den Vorwurf des Anthromorphismus erhoben und die Darstellung aus ethischer Sicht tadelnswerten Verhaltens ist auf Ablehnung gestoßen.

Der Philosoph Parmenides hat für sein Lehrgedicht, das seine Seinphilosophie mit einer scharfen Unterscheidung von Wahrheit und Meinung enthält, eine gewisse mythische Einkleidung gewählt.

Der bedeutende Philosoph Platon hat Werke geschrieben, die Mythen enthalten. Im Dialog „Protagoras“ tritt der Sophist Protagoras auf und fragt, ob er seine Aussage zur Lehrbarkeit der Tugend lieber in einem Mythos oder einem Logos erläutern soll. Es folgt dann ein Mythos (mit Prometheus und Epimetheus, Athenem Hephaistos, Zeus und Hermes), vielleicht weil dies unterhaltsamer ist. Der gedankliche Inhalt könnte auch ohne Mythos dargelegt werden. Einige weitere Beispiele für platonische Mythen sind der Mythos vom Seelengespann (Phaidros), der Mythos vom Ring des Gyges (Politeia), der Mythos vom Pamphylier Er, der Mythos von den Erdgeborenen mit verschiedenen Metallbeimischungen (Politeia), ein Mythos vom goldenen Zeitalter (Politikos), das bereits der Dichter Hesiod geschildert hat, ein Mythos vom Kugelmenschen (Rede des Aristophanes im Symposion) und ein Mythos vom Totengericht (Gorgias).

Saleb  22.09.2010, 07:18

Okay, okay. Also enthalten viele Mythen unbestritten auch philosophische Inhalte und man kann bestimmt noch ein paar Dutzend solcher Beispiele aufzählen. Aber tragen Mythen zur Philosophie bei? Oder wirken sie gerade andersrum, quasi als Vorläufer wissenschaftlicher Perspektiven. Sind Mythen "veraltete Philosophien", die nur Geltung hatten, bis eine erkenntnistheoretische Erklärung vorlag? Um auf den Protagoras oben zurückzukommen: Ist die Philosophie das Gegenstück zum Mythos, diesbezüglich der Logos also? Damit würde er (der Mythos) aber eben nicht beitragen zur Philosophie, sondern ihr entgegenwirken. Für diese Rolle spricht insbesondere die im Mythos allgegenwärtige Personifizierung der Lebens- und Welteinflüsse (Naturgewalten, Totengerichte, Erdgeborene,...) denen Menschen so "unterliegen". C.G.Jung bringt Mythologie in Zusammenhang mit "infantilen Charakter" und "kindlicher Denkweise". Das passt pikanterweise auch auf die Meinung, die das Volk der Ägypter zu griechischen Mythen hatte. Und die saitischen Priester versuchten, dem Griechen Solon auf seine (mythologische) Weise ihre Weltanschauung, ihr Utopia näherzubringen. Und?..Was ist passiert?..Die Griechen (und viele späteren "kindlichen Gemüter") haben das wieder für bare Münze genommen und suchen noch heute nach Atlantis. Mythen beantworten also (oft) philosophische Fragen, aber immer falsch, oder zumindest auf die falsche Weise, nämlich nicht allgemeingültig, sondern personifiziert.

Gruß, Saleb

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Zilles 
Fragesteller
 24.09.2010, 23:17

Sehr ausführlich, danke.

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Soweit ich weiß waren die Mythen die Grundlage für die Philosophie und vor ihr da. Sokrates wollte nicht mehr an die alten Mythen und Götter der Griechen glauben und musste deshalb sterben (er hinterfragte zu viel und ging damit seinen Zeitgenossen auf die Nerven). Die Mythen waren auch eine Art Religion in der die Menschen in Geschichten versuchten die Schöpfung und die Probleme der Welt zu verstehen. Sie waren bildliche Heldenreisen mit denen sich die Menschen teilweise identifizieren und orientieren konnten. Deshalb hat die Mythologie natürlich zur Philosophie beigetragen und auch zu den Weltreligionen. Alles hängt ja mit allem zusammen geht auseinander hervor und ineinander über. Sie sterben auch nie aus, da sie immer wichtig bleiben. Auch Märchen und die Kunstgeschichte wäre ohne Mythen nicht denkbar. Es liegt wohl daran, dass wir auch bildliche Geschichten für unser Leben brauchen und allein mit abstraktem Denken nicht weiterkommen.

Puh, da bin ich ja mal ganz anderer Meinung. Das Mythen was mit Philosophie zu tun haben, daran kann wohl kein wirklicher Zweifel bestehen (und wird auch nhier einhellig vertreten). Das sie aber zur Philosophie beitragen, wage ich zu bezweifeln.

Die Philosophie beschäftigt sich damit, das Sein zu erklären. Der Philsoph versucht die Beobachtungen an Umwelt, Gesellschaft und Menschlichkeit auf wissenschaftliche Weise richtig zu deuten.

Mythologie dagegen verklärt das Sein. Die Beobachtungen, oft an den selben Dingen, erklärt der Mythos (typischerweise)anhand Götter- oder Heldenfiguren, die diese Ereignisse auslösen. Die "Richtigkeit" scheint mir dabei nicht im Vordergrund zu stehen.

Kurz etwa:

Philosophie = konkreter, richtiger werden.

Mythologie = abstrakter, interessanter werden

Gruß, Saleb

Gespannt, ob das Diskussionen entfacht ;-)

Gabi40  20.09.2010, 18:34

Ich stehe auf Deiner Seite, siehe auch meine Definition. DH!

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Eine sehr gute Frage, wenn man sie historisch angeht. Die griechische Literatur in ihren Phasen Epos, Lyrik, Drama, Prosa einschließlich der Philosophie ist nur aus der Auseinandersetzung mit Homer und d.h. mit dem Mythos zu verstehen. Da die europäische Literatur und Kultur über Rom und das Christentum davon abhängig ist, gilt für sie dasselbe. Man braucht nur an die Allegorese des Mythos in ihren vielen Varianten seit der Antike zu denken, um zu sehen, dass die ganze europäische Tradition einschließlich der Traditionskritik aus dieser Filiation erwachsen. Ein Blick in die eben erschienene Neuausgabe der Schriften von A. Warburg, des Begründers des kulturgeschichtlichen Programms der Erforschung des Nachlebens der Antike bringt sehr viele Analysen zu sehr vielen Einzelbeispielen dieses kulturellen Zusammenhangs.

Wenn Du die wenigen Sprüche liest, die uns von Heraklit erhalten sind, da ist noch eine große Nähe von Mythos und Philosophie. Sokrates nannte ihn daher "den Dunklen". Dennoch war er als großer Philosoph anerkannt. Und Homer, eine sehr mythenbeladene Erzählung. Sein Werk gehörte bis in die römische Kaiserzeit zur höheren Bildung. Sprich: Auch die griechischen Philosophen bis in den Hellenismus und danach kannten Mythen. Ihre Kritik galt oft mehr den volkstümlichen Verflachungen mit plattem Hineinzerren des mythisch unergründlichen in simple Schwarz-Weiß-Bezüge.