Glück - Definitionen von Kant, Hegel und Aristoteles?

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Bei Aristoteles bedeutet Glück(seligkeit) gutes Leben und ist Grundlage der Ethik. Sie hat eine längere Dauer als einen bloßen Augenblick und beruht auf Entfaltung von Fähigkeiten, wobei die Vernunft hervorragt.

Bei Kant bedeutet Glück(seligkeit) ein Empfindungsgsglück, wird als Befriedigung der Neigungen/Bedürfnisse/Triebe verstanden und ist wesentlich subjektive Zufriedenheit. Glück(seligkeit) hält er als Grundlage der Ethik für ungeeignet.

Bei Hegel bedeutet Glück(seligkeit) im Endlichen für die Individuen wie bei Kant Befriedigung der Neigungen/Bedürfnisse/Triebe und ein Genießen, im Unendlichen für den im Selbstbewußtsein zu sich selbst gekommenen absoluten Geist (= Gott) den seligen Genuß der ewigen Anschauung (Ähnlichkeit mit der theoretischen Lebensform bei Aristoteles). Hegel hat einen dialektischen Gedanken der Versöhnung (für das Bewußtsein) von Sehnsucht und Dasein bzw. Subjekt und Wirklichkeit.

Die Aussage, die Form des Aristoteles sei die höchste Art des Glücks, ist ohne weitere Angaben nicht sicher zu deuten. Vielleicht bezieht sie sich auf die theoretische Lebensform oder auf ein Glück der Fülle/dauerhaftes Glück.

Aristoteles

Das verbreitet mit Glück(seligkeit) übersetzte griechische Wort ist εὐδαιμονία (eudaimonia). Dem Ursprung nach steckt darin, mit einem guten Daimon verbunden zu sein.

Als ein Gut wird bezeichnet, wonach alles strebt (Aristoteles, Nikomachische Ethik 1, 1, 1094 a). Aristoteles versteht Glück(seligkeit) als höchstes Gut im Bereich des Handelns (Aristoteles, Nikomachische Ethik 1, 2, 1095 a). Mit Glück (εὐδαιμονία) meinen die Leute dasselbe wie gutes Leben (εὖ ζῆν) und Wohlbefinden (εὖ πράττειν).

Glück (εὐδαιμονία) ist oberstes Ziel allen Handelns, wird um seiner selbst willen erstrebt (Aristoteles, Nikomachische Ethik 1, 5).

Aristoteles, Nikomachische Ethik 1, 2 Aristoteles, Die nikomachische Ethik : griechisch-deutsch. Übersetzt von Olof Gigon, neu herausgegeben von Rainer Nickel. Düsseldorf ; Zürich : Artemis & Winkler, 2001 (Sammlung Tusculum), S. 13:  

„Da also jede Erkenntnis und jeder Entschluß nach irgendeinem Gute strebt, wonach wird nach unserer Auffassung die politische Wissenschaft streben, und welches ist das oberste aller praktischen Güter?  

Im Namen stimmen wohl die meisten überein. Glückseligkeit nennen es die Leute ebenso wie die Gebildeten, und sie setzen das Gut-Leben und das Sich-gut-Verhalten gleich mit dem Glückseligsein.“

Aristoteles, Nikomachische Ethik. Übersetzt und erläutert von Franz Dirlmeier. 10., gegenüber der 6., durchgesehenen, unveränderte Auflage. Berlin : Akademie-Verlag, 1999 (Aristoteles, Werke in deutscher Übersetzung. Begründet von Ernst Grumach, herausgegeben von Hellmut Flashar ; Band 6), S. 7:  

„Nachdem also jede Erkenntnis und jeder Entschluß nach einem bestimmten Gut zielt, wollen wir wieder einsetzen mit der Frage: „Was ist das Ziel der Staatskunst und welches das höchste von allen Gütern, die man durch Handeln erreichen kann?"  

In seiner Benennung stimmen fast alle überein. „Das Glück" - so sagen die Leute, und so sagen die feinen Geister, wobei gutes Leben und gutes Handeln in eins gesetzt werden mit Glücklichsein.“

Aristoteles, Nikomachische Ethik 1, 5

Aristoteles, Die nikomachische Ethik : griechisch-deutsch. Übersetzt von Olof Gigon, neu herausgegeben von Rainer Nickel. Düsseldorf ; Zürich : Artemis & Winkler, 2001 (Sammlung Tusculum), S. 27:  

„So scheint also die Glückseligkeit das vollkommene und selbstgenügsame Gute zu sein und das Endziel des Handelns.“

Aristoteles, Nikomachische Ethik. Übersetzt und erläutert von Franz Dirlmeier. 10., gegenüber der 6., durchgesehenen, unveränderte Auflage. Berlin : Akademie-Verlag, 1999 (Aristoteles, Werke in deutscher Übersetzung. Begründet von Ernst Grumach, herausgegeben von Hellmut Flashar ; Band 6), S. 14:  

„So erweist sich denn das Glück als etwas Vollendetes, für sich allein Genügendes: Es ist das Endziel des uns möglichen Handelns.“

Aristoteles, Nikomachische Ethik 1, 6

Aristoteles, Die nikomachische Ethik : griechisch-deutsch. Übersetzt von Olof Gigon, neu herausgegeben von Rainer Nickel. Düsseldorf ; Zürich : Artemis & Winkler, 2001 (Sammlung Tusculum), S 27:  

„Aber damit, daß die Glückseligkeit das höchste Gut sei, ist vielleicht nicht mehr gesagt, als was jedermann zugibt. Wir möchten aber noch genauer erfahren, was sie ist. Dies könnte vielleicht geschehen, wenn wir von der eigentümlichen Leistung des Menschen ausgehen.“

Aristoteles, Nikomachische Ethik. Übersetzt und erläutert von Franz Dirlmeier. 10., gegenüber der 6., durchgesehenen, unveränderte Auflage. Berlin : Akademie-Verlag, 1999 (Aristoteles, Werke in deutscher Übersetzung. Begründet von Ernst Grumach, herausgegeben von Hellmut Flashar ; Band 6), S. 14:  

„Vielleicht ist aber die Gleichsetzung von Glück und oberstem Gut nur ein Gemeinplatz und es wird eine noch deutlichere Antwort auf die Frage nach seinem Wesen gewünscht. Dem kann entsprochen werden, indem man zu erfassen sucht, welches die dem Menschen eigentümliche Leistung ist.“

Aristoteles, Die nikomachische Ethik : griechisch-deutsch. Übersetzt von Olof Gigon, neu herausgegeben von Rainer Nickel. Düsseldorf ; Zürich : Artemis & Winkler, 2001 (Sammlung Tusculum), S. 29/31:  

„Wenn nun das eigentümliche Werk des Menschen in einer Tätigkeit der Seele besteht, die sich nach der Vernunft oder doch nicht ohne Vernunft vollzieht, und wenn wir das Werk eines beliebig Tätigen und eines hervorragend Tätigen derselben Gattung zurechnen (so wie das Spiel des Kitharisten und dasjenige des guten Kitharisten, und so in allen Fällen), so daß wir zur Leistung überhaupt noch das Merkmal hervorragender Tüchtigkeit in ihr beifügen (denn die Tätigkeit des Kitharisten ist das Kitharaspielen, die des hervorragenden Kitharisten aber das gut Spielen) - wenn also das so ist und wir als die eigentümliche Tätigkeit des Menschen ein bestimmtes Leben annehmen und als solches die Tätigkeit der Seele und die vernunftgemäßen Handlungen bestimmen und als die Tätigkeit des hervorragenden Menschen eben diese Tätigkeit in einem hervorragenden Maße, und wenn endlich dasjenige hervorragend wird, was im Sinne der ihm eigentümlichen Leistungsfähigkeit vollendet wird –, wenn das alles so ist, dann ist das Gute für den Menschen die Tätigkeit der Seele auf Grund ihrer besondern Befähigung, und wenn es mehrere solche Befähigungen gibt, nach der besten und vollkommensten; und dies außerdem noch ein volles Leben hindurch. Denn eine Schwalbe macht noch keinen Frühling, und auch nicht ein einziger Tag; so macht auch ein einziger Tag oder eine kurze Zeit niemanden glücklich und selig.“

Aristoteles, Nikomachische Ethik. Übersetzt und erläutert von Franz Dirlmeier. 10., gegenüber der 6., durchgesehenen, unveränderte Auflage. Berlin : Akademie-Verlag, 1999 (Aristoteles, Werke in deutscher Übersetzung. Begründet von Ernst Grumach, herausgegeben von Hellmut Flashar ; Band 6), S. 14 – 15:  

„Wir nehmen nun an, daß die dem Menschen eigentümliche Leistung ist: ein Tätigsein der Seele gemäß dem rationalen Element oder jedenfalls nicht ohne dieses, und nehmen ferner an, daß die Leistung einer bestimmten Wesenheit und die einer bestimmten hervorragenden Leistung eines bestimmten Menschen und die eines bestimmten hervorragenden Menschen der Gattung nach dieselbe ist, z. B. die eines Kitharaspielers und die eines hervorragenden Kitharaspielers und so schlechthin in allen Fällen - es wird hierbei einfach das Plus, das in der Vorzüglichkeit der Leistung liegt, zu der Leistung hinzugefügt: Leistung des Kitharaspielers ist das Spielen des Instrumentes, Leistung des hervorragenden Künstlers das vortreffliche Spielen. Ist das nun richtig und setzen wir als Aufgabe und Leistung des Menschen eine bestimmte Lebensform und als deren Inhalt ein Tätigsein und Wirken der Seele, gestützt auf ein rationales Element, als Leistung des hervorragenden Menschen dasselbe, aber in vollkommener und bedeutender Weise, und nehmen wir an, daß alles seine vollkommene Form gewinnt, wenn es sich im Sinne seines eigentümlichen Wesensvorzugs entfaltet, so gewinnen wir schließlich als Ergebnis: das oberste dem Menschen erreichbare Gut stellt sich dar als ein Tätigsein der Seele im Sinne der wesenhaften Tüchtigkeit. Gibt es aber mehrere Formen wesenhafter Tüchtigkeit, dann im Sinne der vorzüglichsten und vollendetsten.  

Beizufügen ist noch: „in einem vollen Menschenleben". Denn eine Schwalbe macht noch keinen Frühling und auch nicht ein Tag. So macht auch nicht ein Tag oder eine kleine Zeitspanne den Menschen glücklich und selig. Dies also sei eine erste Skizze des obersten Gutes.“

Kant

https://www.gutefrage.net/frage/kants-definition-von-glueckseligkeit

Hegel

Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. § 396:  

„Die Glückseligkeit ist die verworrene Vorstellung der Befriedigung aller Triebe, deren einer dem andern aber ganz oder zum Theil aufgeopfert, vorgezogen und vorgesetzt werden soll.“

Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte. Einleitung:  

„Glücklich ist derjenige, der sein Dasein seinem besonderen Charakter, Wollen und Willkür angemessen hat und so in seinem Dasein sich selbst genießt. Die Weltgeschichte ist nicht der Boden des Glücks. Die Perioden des Glücks sind leere Blätter in ihr; denn sie sind die Perioden der Zusammenstimmung, des fehlenden Gegensatzes.“

Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Glauben und Wissen oder die Reflexionsphilosophie der Subjektivität in der Vollständigkeit ihrer Formen als Kantische, Jacobische und Fichtesche Philosophie:  

„Jede Philosophie stellt nichts dar, als daß sie höchste Seligkeit als Idee konstruiert; indem der höchste Genuß durch Vernunft erkannt wird, fällt die Unterscheidbarkeit beider unmittelbar hinweg, indem der Begriff und die Unendlichkeit, die im Tun, und die Realität und Endlichkeit, die im Genusse herrschend ist, ineinander aufgenommen werden. Die Polemik gegen die Glückseligkeit wird ein leeres Geschwätze heißen, wenn diese Glückseligkeit als der selige Genuß der ewigen Anschauung erkannt wird. Aber freilich hat dasjenige, was man Eudämonismus genannt, eine empirische Glückseligkeit, einen Genuß der Empfindung, nicht die ewige Anschauung und Seligkeit verstanden.“

PauliApple 
Fragesteller
 15.06.2017, 23:03

Dankeschön für die ausführliche Antwort. Ich glaube, ich habe es verstanden :)

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Kant: Vernunft ist eine göttliche Einsicht.

Hegel: Vernunft ist Unvernunft.

Aristoteles: Vernunft ist Masshalten. 

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Ich will Menschen verstehen, nicht durchschauen.
Patrickson  04.06.2017, 20:21

Ersetzte Vernunft mit Glück! 

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PauliApple 
Fragesteller
 04.06.2017, 20:24
@Patrickson

Und warum gilt dann die Form des Aristoteles als höchste Form?

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PauliApple 
Fragesteller
 04.06.2017, 20:22

Dankeschön :)

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Patrickson  04.06.2017, 20:25
@PauliApple

Weil er sagt, dass Zufriedenheit, das grösste Glück auf Erden sei! 

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PauliApple 
Fragesteller
 04.06.2017, 20:29
@Patrickson

Und was ist mit dem Maßhalten? Und meinte nicht irgendwer von denen, dass Glück ein erfüllter Moment oder so sei? (Sorry aber ich sehe da irgendwie nicht durch)

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Patrickson  04.06.2017, 20:32
@PauliApple

Hegel war von allen dreien der intuitivste. Kant war wohlüberlegt, und aristoteles war weise. Ich halte mich an alle drei, und entscheide situationsabhängig, spontan. 

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