Beten Christen eine Romanfigur an? (Markus-Evangelium)?
Ich lese gerade ein Buch von Dennis MacDonald, Professor für Neues Testament und Urchristentum an der Claremont School of Theology, Kalifornien. MacDonald ist der Meinung, das Markus-Evangelium (die Quelle aller anderen Evangelien!) sei vom Autor keineswegs als Bericht realer Ereignisse beabsichtigt gewesen, sondern als literarische, fiktive Erzählung. Beten Christen eine Romanfigur an?
Das Markus-Evangelium ist in der dritten Person geschrieben, aus der Perspektive eines auktorialen(allwissenden) Erzählers.
Der auktoriale Erzähler berichtet Dialoge, die komplett ohne Zeugen stattfanden (Gebet Jesus' im Garten Gethsemane, während alle Jünger schlafen (Mk.14,32-52).
Der anonyme Autor des Markus-Evangeliums war Grieche. Jeder gebildete Grieche kannte die Ilias und Odyssee von Homer. Der Autor des Markus-Evangeliums hat seine Jesus-Heldengeschichte entlang der Geschichte Odysseus konzipiert und viele Motive und Sequenzen aus Homers Odyssee entnommen.
Viele Ungereimtheiten im Markus-Evangelium werden durch vergleichenden Blick in die Odyssee plötzlich erklärbar. Warum verlangt Jesus von allen Zeugen seiner Wunder, Stillschweigen zu bewahren? Warum verflucht er 2000 Schweine? Warum verflucht er einen Feigenbaum? Warum ist bei Jesus' Festnahme ein nackter Junge anwesend, der dann flieht? usw.
Eine Parallele, die ich recht beeindruckend fand: Jesus' Begegnung mit Gerasener - Odysseus' Begegnung mit dem Zyklopen Polyphemos
1. Odysseus erreicht mit mehreren Schiffen und seinen 12 Gefolgsleuten das Land der Zyklopen.
2. Odysseus geht mit 12 Gefährten an Land. Seine anderen Männer sollen im Schiff auf seine Rückkehr warten.
3. Er trifft auf einen übernatürlichen Gegner, den Zyklop Polyphemos,
4. der in einer Höhle lebt.
5. Der Zyklop fragt Odysseus nach seinem Namen.
6. Odysseus antwortet mit einem Wortspiel, eine Mengenangabe: "Niemand".
7. Odysseus besiegt den Zyklopen.
8. Odysseus Männer entkommen über eine Viehherde (klammern sich an die Bäuche von Schafen).
9. Odysseus kehrt auf sein Schiff zurück und ruft dem Zyklopen zu, wer er wirklich sei, Odysseus, König von Ithaka.
1. Jesus erreicht mit mehreren Schiffen und den 12 Jüngern die Gegend der Gerasener.
2. Jesus geht an Land, seine Gefährten sollen im Schiff auf seine Rückkehr warten,
3. er trifft auf einen übernatürlichen Gegner, die Dämonen, die einen Mann besetzt haben,
4. der in "Gräbern" lebt.
5. Jesus fragt den Mann nach seinem Namen.
6. Der Mann antwortet mit einem Wortspiel, eine Mengenangabe: "Legion heiße ich; denn wir sind unser viele."
7. Jesus besiegt die Dämonen.
8. Die Dämonen entkommen über eine Viehherde. "Und die Teufel baten ihn alle und sprachen: Laß uns in die Säue fahren!"
👆 Bitte ANSCHAUEN!!!
7 Antworten
MacDonald ist der Meinung, das Markus-Evangelium (die Quelle aller anderen Evangelien!) sei vom Autor keineswegs als Bericht realer Ereignisse beabsichtigt gewesen, sondern als literarische, fiktive Erzählung.
Er übersieht da drei Punkte:
- Das EvMk ist keine Quelle für das EvJoh, und sie ist nur eine von mehreren Quellen für Mt und Lk (siehe zB Logienquelle Q)
- Es gibt Schriften (und Quellen) über Jesus Christus, die älter sind als das EvMk.
- Das EvMk verwendet selbst Quellen.
Der auktoriale Erzähler berichtet Dialoge, die komplett ohne Zeugen stattfanden (Gebet Jesus' im Garten Gethsemane, während alle Jünger schlafen (Mk.14,32-52).
Richtig. Aber auch nicht ungewöhnlich. Die Tatsache dass man für manche Passagen annehmen muss, dass sie aus der Feder eines Autors stammen, muss ja deswegen nicht bedeuten, dass die gesamte Person fiktiv sein muss. Da macht es sich MacDonald zu leicht.
Jesus' Begegnung mit Gerasener
Es gibt ein paar Abschnitte im EvMk, die wirklich bemerkenswert sind. Die Perikope mit dem Gerasener gehört ganz besonders dazu, denn sie ist wirklich rätselhaft. Um solche Rätsel zu lösen, hat die Theologie den Apparat der Historisch-Kritischen Methode entwickelt. Mit dessen Hilfe kann man solch seltsamen Texten gut auf den Grund kommen, und insbesondere zu deutlich vernünftigeren Schlüssen und Ergebnissen gelangen, als MacDonald.
Jesus war real.
Diese Tatsache ist völlig unmöglich zu leugnen. Es gibt einfach viel zu viele Zeitzeugen-Berichte, die alle unisono das Gleiche berichten. Weit mehr als nur ein "Markus-Evangelium", sogar noch mehr als die, welche in der Bibel stehen.
Das trifft weder für die Odysee-Romane, noch auf irgend ein andere Geschichte, Ereignis, oder Person zu aus dem Altertum.
Sehr interessant dargestellt, - war mir so nicht bekannt! - Und bei den ganzen Widersprüchen im Christentum, die immer wieder mal aufgedeckt werden, würde es mich nicht wundern, wenn die ganze Lehre auf einer Fiktion basieren würde.
Ich hab es schonmal gesagt:
Best Fiction ever
Ein Typ schreibt einen Roman über eine fiktive Person, andere lesen das, und verfallen in eine Kollektivpsychose, die einen erheblichen Anteil der Leser das Leben kostet. Daraus resultiert eine Großreligion mit 2,5 Milliarden Mitgliedern mit einem Spin-off mit 1,9 Milliarden Mitgliedern.
Der Bestseller ever.
Alternativvorschlag: Markus hat Dinge aufgeschrieben, die wirklich passiert sind. Jesus hat gelebt, und ist am Kreuz gestorben. Er hat gepredigt und geheilt, und hatte bereits bei seinem Ablehnen mehrere tausend Anhänger.
Jetzt kommt dann der Teil, wo man sich halt entscheiden muss: Ist Jesus wirklich auferstanden, oder haben seine verwaisten Anhänger sich versammelt, um eine Geschichte zusammenzuklöppeln, die es der Bewegung erlaubt weiterzuleben.
In Anbetracht der Todesquote und der intensiven Bejagung von Anhängern dieser Bewegung gehe ich von wirklich Auferstanden aus. Deshalb bin ich Christ.
Wenn man nicht dran glauben will, kann man es auch einfach sein lassen, ohne nicht nur die Bibel, sondern auch andere antike Überlieferungen literarisch zu vergewaltigen. Völlig unnötig.
Ähnlichkeiten sind dadurch zu erklären, dass alle das gleiche Gehirn haben.
Im Ernst
Es kommt alles aus einer Quelle und wird dann je Kultur verschieden interpretiert