Behindertenwerkstätten = Arbeitsentwöhnung?
Hallo Community, ich arbeite seit Jahren in einer Werkstatt für psychisch beeinträchtigte Menschen...
Ich hatte auch schonmal einen Außenarbeitsplatz von dort aus, der mir aber ehrlich gesagt null gebracht hat, das gleiche wie ein Werkstattplatz bloß in Ner anderen Firma (das gleiche in grün...)
Ich bin deswegen auch wieder in die Werkstatt zurück gekehrt. Das ist jetzt mittlerweile ca. Ein Jahr her. Ich merke für mich nur langsam, dass ich weder draußen arbeiten kann, noch draußen arbeiten will, (Auch wenn die Werkstatt das gerne hätte...) und ich eigentlich nur noch warte bis die 20 Jahre mindest Beitragspflicht für die Rente in der Werkstatt vorbei sind... (In den Werkstätten kann man nach 20 Jahren schon in Rente)
früher war das anders und früher ging das noch alles...
Jetzt meine Frage, stellen die Behindertenwerkstätten eine Entwöhnung von normaler Arbeit dar?
Kann es sein dass so mancher Behinderter in der Werkstatt seine Arbeitsmoral verliert wenn er merkt dass es nicht weiter geht?
Und kann es sein dass das alles mit der ineffizienten Art wie die Werkstätten arbeiten und der dortigen entschleunigung (die sagen zu uns immer "arbeitet langsam, wir haben kaum Arbeit!") einhergeht?
3 Antworten
Unsere Erfahrung hier ist, dass diese Werkstätten viel versprechen und nichts halten. Wenig Verdienst, die Sachen, die die Arbeitenden hergestellt haben, werden aber teuer verkauft. Meine Meinung zu solchen Werkstätten: sie brauchen die Menschen mit Einschränkung, da sie ja zusätzlich zu den Verkauf/Dienstleistungen vom Kreis Geld bekommen für die "Klientel".
Natürlich kann ich mir vorstellen, dass da viele kein Bock mehr haben auf "niedrige" Arbeit und deren System.
So'n Außenarbeitsplatz ist auch nicht besser... Der selbe niedrige Lohn wie in der Werkstatt, aber dafür in Ner normalen Firma, die dich jederzeit kündigen kann...
Hallöchen 😀
Eine Behindertenwerkstatt kann ich auch mit einem Berufsbildungswerk vergleichen. Denn dort habe ich z.B. meine Ausbildung gemacht. Solche Einrichtungen sind eben für Menschen mit psychischen und persönlichen Einschränkungen errichtet worden.
Bspw. du hast:
– eine psychische Krankheit
– Sozialdefizite
– Persönlichkeitsunterentwicklung
– usw.
Die Einrichtungen sind genau auf diese Beeinträchtigungen zugeschnitten, womit sich sagen lässt, du arbeitest darin nicht wie draußen, sondern du arbeitest in deinem Fähigkeitsbereich. Draußen fragt dich keiner, ob du die Arbeit kannst. Entweder du kannst sie, oder du kannst sie eben nicht, dann sitzt du daheim.
Auf genau diese Bereiche sind eben auch Berufsbildungswerke, wo ich hingegangen bin, zugeschnitten. Das Problem ist eigentlich um ehrlich zu sein, die Arbeitsweise und der Ablauf der Arbeitsweise distanziert sich mit dem Arbeitswesen in der Berufswelt.
Und genau das macht es besonders jungen Erwachsenen Menschen nach dem Besuch in so einer Einrichtung schwer, sich auf dem Arbeitsmarkt zu orientieren und eine Arbeit zu finden. Denn die Arbeitgeber sind ja auch nicht blöd, und wissen, wer aus so einer Einrichtung kommt, der hat dafür irgendwo berechtigte Gründe.
Und diese Gründe sind oft dann ein Konflikt mit der Arbeitsmoral draußen. Weil oft haben sie dann vielleicht Probleme, alleine z.B. eine Persönlichkeitsunterentwicklung kombiniert mit Sozialdefiziten löst auf dem Arbeitsmarkt schon enorme Schwierigkeiten aus, denn diese Eigenschaft besitzen heutzutage auch oft übergewichtige, isolierte junge Männer, die keinen Wert in ihrer Kindheit erfahren haben, und oft abgewertet, missachtet wurden, und denen die Liebe und Geborgenheit der Eltern gefehlt hat.
Das Gleiche ist aber auch mit den Behindertenwerkstätten. Man weiß auch hier das die Person Schwierigkeiten hat. Und als Arbeitgeber schaust du dir eine Bewerbung von so einer Person zweimal an, und entscheidest gründlich, ob du als Firma mit so einem Mensch zusammenarbeiten willst.
Menschen werden bequem, wenn sie die Möglichkeit haben. Wer ein Auto vor der Tür stehen hat, fährt irgendwann auch Kurzstrecken, die er unmotorisiert nie als Problem empfunden hat, Bürgergeldler gewöhnen sich ans lange Ausschlafen und Singles an Lieferdienst und Fertiggerichte.
Was die Werkstätten angeht: die wurden ins Leben gerufen, um Schwerstbeeinträchtigten Kontakte außerhalb der Familie und der pflegenden Verwandtschaft eine Auszeit zu ermöglichen. Damit die Geld verdienen und den Behinderten zuhause behalten konnte. "Arbeit" ist einfacher als Dauerbespaßung, die Betroffenen wollten gerne etwas leisten, und Firmen fanden es toll, nervigen Kleinkram auslagern zu können. Schrauben oder Gummibänder in Tütchen zu zählen (klassische erste "Aufträge" dieser Einrichtungen), hat man nur zu gerne den Behinderten überlassen, damit man die eigenen, leistungsfähigeren Mitarbeiter für kompliziertere Dinge einsetzen konnte.
Soweit, so nachvollziehbar, aber damit wurde eine Spirale in Gang gesetzt.
Weil es die Werkstätten gab, wurde immer seltener versucht, Behinderte in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren.
Weil dadurch immer mehr und immer leistungsfähigere Mitarbeiter in die Werkstätten kamen, bekamen die immer mehr und immer anspruchsvollere Aufgaben.
Weil all das staatlich subventioniert wurde, nutzten es immer mehr Firmen.
Und weil die Tätigkeiten immer anspruchsvoller und komplexer wurden, konnte man immer mehr immer leistungsfähigere Menschen in die Werkstätten schicken, ohne sie offensichtlich zu unterfordern. Oder aktiv unterstützen zu müssen.
Mit dem Effekt, den du beschreibst: ein Großteil der Mitarbeiter heute sind eigentlich eher "Reha-Kandidaten", die man dort preisgünstig und bequem parken kann.
Auch, weil die es mit sich machen lassen. Man wird nicht zwangseingewiesen, wer möchte, könnte schon morgen bei der Zeitarbeit unterschreiben und ähnliche Tätigkeiten für 13,50€/h aufwärts machen. Aber dann eben mit einem Leistungsdruck, dem sich viele nicht gewachsen fühlen, ohne es überhaupt zu versuchen.
Für mich gehören diese Werkstätten (in ihrer jetzigen Form) abgeschafft und durch einen zeitgemäßeren zweiten Arbeitsmarkt ersetzt, auf dem es langsamer und ruhiger zugeht, ohne dass man die Beschäftigten komplett bevormundet und isoliert.
Sozialhilfe und "Taschengeld" kosten ohnehin kaum weniger als Mindestlohn, wenn man die dazugehörige Bürokratie mit einrechnet, also wozu das ganze Theater?
Genau diese Einstellung ist dein Problem. Du bist so überqualifiziert! So unterfordert! So wenig wertgeschätzt! Der Allerärmste überhaupt!
Das, was du machst, machen Zigtausende tagtäglich in Fabriken. Vermutlich im doppelten oder dreifachen Tempo, mit Stress, Leistungsdruck und beschissenen Arbeitszeiten, aber sie machen es, um ihren (und deinen!) Lebensunterhalt zu verdienen.
Und sie halten trotzdem bis zur Rente mit 67 durch, die trotz der erbrachten Leistung oft deutlich niedriger ausfällt als deine "Belohnung" nach 20 Jahren.
Du bist trotzdem unglücklich? Dann heb den Hintern aus der sozialen Hängematte und such dir einen besseren Job! Keiner sperrt dich dort ein, keiner verbietet dir zu kündigen, du hast es selbst in der Hand und die Zeitarbeit stellt eigentlich jeden ein, auch WfbM-Flüchtlinge...
PS: Was ist denn aus dem angebotenen Praktikum geworden?
https://www.gutefrage.net/frage/ist-das-ueberhaupt-legal-und-rechtens
Lass mich raten: Die Chance auf ein "besseres Leben" war dir die Woche Urlaub einfach nicht wert!
Glaubst du wirklich ich hätte es nicht versucht draußen irgendwo nen Job zu finden, um aus der Werkstatt rauszufinden?!? Da kann doch ich nichts dafür wenn mich der Betrieb wo ich Praktikum gemacht habe mich nicht nimmt, weil die nicht die Kapazitäten für einen an einer Behinderung leidenden Mitarbeiter hatten...dafür war der Betrieb dann leider doch zu klein. Der Chef dort hat sogar gesagt dass er mich gerne genommen hätte wenn er die Möglichkeit für einen behindertengerechten Platz hätte... Ich habe immer wieder versucht welche zu finden! Das eine Praktikum war dabei garantiert nicht das erste! Und wird auch nicht das letzte gewesen sein!
Anspruchsvolle Arbeiten in der Werkstatt? Das kann ich als Werkstattbeschäftigter nicht unterschreiben... Ich habe auch bereits einen Werkstattwechsel hinter mir weil ich in der vorherigen Werkstatt äußerst unglücklich war, auf Grund der Arbeit dort... Ich habe dort 11 Monate lang ungelogen jeden Tag garnspulen zusammengesteckt und verpackt... Irgendwann kommt dir da das kotzen...
In der jetzigen Werkstatt ist es oft nicht besser... Da haben wir so scheiß arbeiten wie Schrauben in Tüten einzählen oder Konservendosen mit irgend nen wiederlichen veganen Fleischersatz bekleben...
Selbst Kindergartenkindern wäre das zu blöd...