Auslandsjahr als Familienmensch?

5 Antworten

Von Experte Lachlan bestätigt

Ich habe verschiedene „Auslandsjahre“ gehabt, sowohl in der Schule als auch danach, allerdings bin ich überhaupt nicht zimperlich, wenn es darum geht, geliebte Menschen physisch zu verlassen. Trotzdem erlaube ich mir mal einige Kommentare.

Ich mache mir Sorgen, dass meine kleine Schwester mich so dolle vermisst, dass ihr ein richtiges Horror-Jahr bevorsteht.

Unabhängig von meiner eigenen Unempfindlichkeit bei räumlicher Trennung habe ich die Erfahrung gemacht, dass Angehörige und Freunde ohne einen klar kommen. Ja, sie denken natürlich an einen, sie vermissen einen, aber sie kommen klar, jeder auf seine Art. Und das ist auch gut so. Die Existenz einer Person sollte niemals lebensnotwendig für eine andere Person sein (es sei denn natürlich wir reden von Babys), und du solltest, wenn du das Wohl deiner Schwester im Sinn hast, nicht das so sehr Zentrum in ihrem Leben sein wollen, dass sie ohne dich nicht kann.

Ich habe meine Eltern und meine kleine Schwester so unglaublich lieb

Nochmal, das ist nur meine Sichtweise, aber Gefühle haben nichts, aber auch gar nichts mit räumlicher Nähe oder Entfernung zu tun. So, wie ich jeden Tag mit einem Kollegen arbeiten kann, der mir unsympathisch ist, so liebe und unterstütze Menschen auch von der anderen Seite der Erdkugel aus. Umgekehrt merke ich auch 9000 km entfernt, wie wichtig ich jemandem bin. Jemand, der extra früh aufsteht, um mit mir zu einer wegen Zeitverschiebung für mich günstigen Uhrzeit zu telefonieren, dem bedeute ich was; und wenn einer nach 6 Telefonverabredungen immer wieder Ausreden finden, bei dem denke ich mir, dass ich der Person egal bin und danke, dass die räumliche Trennung diese Wahrheit endlich ans Licht gebracht hat.

Bin ich ein richtiger Familienmensch

Und jemand, der ein Jahr ins Ausland geht, kann keiner sein?

Wenn ich an mein Auslandsjahr denke, kommt nicht mehr die Euphorie hoch, wie vorher. Auch in der Planung bin ich sehr nachlässig und schlampig

Das ist allerdings bedenklich und kann auch schnell problematisch werden. Wenn du da keine Veränderung feststellst, würde ich dir tatsächlich raten, das Vorhaben zu überdenken.

Ist so ein Auslandsjahr die beste Möglichkeit, mal richtig selbstständig und mutig zu werden.

Nein, absolut nein! Es ist eine Möglichkeit, eine von vielen, einen ersten Schritt in Richtung Selbstständigkeit zu machen. Man kommt nicht aus einen Auslandsjahr zurück und hat damit automatisch die höchste Stufe von Selbstständigkeit und Erwachsenheit erreicht. Gerade bei Work&Travel ist es sogar häufig so, dass die jungen Leute Entscheidungen eher nach dem Kriterium „Spaß“ als dem der Verantwortung treffen. Da macht jemand, der zum Beispiel eine Ausbildung anfängt und einen eigenen Haushalt gründet, die intensivere Entwicklung zu einem verantwortungsvollen Erwachsenen durch…

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Ich war ein Jahr als Schülerin in Japan

Eigentlich hast Du die ganzen Jahre davon geträumt. Jetzt soll der Traum Realität werden und Du bringst Ausflüchte ohne Ende an. Hast Du Ansgt vor der eigenen Courage? Es klingt jedenfalls so.

Wenn Du irgendwo in Deutschland oder Europa ein Studium oder eine Ausbildung beginnst, bist Du auch nicht greifbar für Deine kleine Schwester. Das Argument ist derart hohl. Du hast mit den heutigen Möglichkeiten der Kommunikation genügend Chancen mit Deiner Schwester und Deiner Familie in Kontakt zu bleiben.

Es wäre für Dich die Möglichkeit für Dich selber eine Entwicklung durchzumachen und mehr Selbstständigkeit zu entwickeln. Allerdings ist die Zeit als Backpacker nicht nur ein Job in einem Cafe am Meer und ein paar Runden auf dem Surfbrett.

Infos für Deine weitere Planung findest Du z.B. hier: https://www.australia.com/de-de/youth-travel/working-holiday-visa.html Dann musst Du die Angelegenheit nicht mehr schleifen lassen.

Du musst für Dich entscheiden, ob Du weiterhin an "Mutters Rockzipfel hängen" oder eine selbstständige Person werden willst, die klare Ziele für die Zukunft entwickelt.

Alles weitere hat warai87 in ihrem Kommentar bereits geschrieben. Dem stimme ich voll und ganz zu.

Dein Leben - Deine Zukunft - Deine Entscheidung.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Aufenthalt, Familie

Wenn du dir unsicher bist, dann lass es! Du hast noch etliche weitere Möglichkeiten, später eine Auslandserfahrung zu machen.

Zum Beispiel kannst du im Studium ein Auslandssemester machen. In manchen Studiengängen ist das sogar vorgeschrieben, in den allermeisten wird es aber zumindest sehr empfohlen. Und Unis haben da gute Austauschprogramme, die das organisatorisch recht einfach machen. Zudem findest du vor Ort auch schnell Anschluss und hast ein klares "Programm", weil du dort dann eben studierst!

Auch in einer Berufsausbildung gibt es Möglichkeiten, ein paar Wochen im EU-Ausland zu verbringen und dort ein Praktikum in Unternehmen im angestrebten beruflichen Bereich zu machen, gefördert aus EU-Mitteln. Also selbst ohne Studium ist ein Auslandsaufenthalt nicht ausgeschlossen!

Freiwilligendienste gibt es übrigens auch im Ausland! FSJ und FÖJ haben dabei eine Altersgrenze von 27 Jahren, der BFD hat keine. Ist übrigens auch gar nicht so selten, dass junge Menschen so einen Freiwilligendienst nicht direkt nach der Schule, sondern zwischen Bachelor und Master "einschieben", um ein Jahr lang noch mal was ganz anderes auszuprobieren oder sich darüber klar zu werden, in welche Richtung ihr Master gehen soll!

Naja, und spätestens, wenn man dann Studium oder Ausbildung abgeschlossen hat, spricht ja auch absolut nichts dagegen, sich auf Stellen in anderen Ländern zu bewerben und einfach dort eine Weile zu arbeiten. EU-Länder sind dabei natürlich wesentlich empfehlenswerter, weil man sich da keine Gedanken über Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen machen muss.

Du siehst, es ist keineswegs eine "Jetzt oder nie!"-Entscheidung. Du hast zahlreiche Optionen, ganz unterschiedlich lange Zeiten mit ganz unterschiedlichem inhaltlichem Fokus im Ausland in den kommenden Jahren zu verbringen. Wenn du dich also jetzt noch nicht so weit fühlst oder die Idee mit Work&Travel dir nicht mehr so gut vorkommt, dann vertage das eben und nimm einen anderen Weg zu einem anderen Zeitpunkt :).

blumentopf111 
Fragesteller
 14.10.2023, 22:33

Danke für deine Antwort. Das ist ein Ratschlag, den ich mir zu Herzen nehme und über den ich mal nachdenken werde. :)

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Deine Ängste kann ich gut verstehen und finde es gut, dass du dich so hinterfragst. Ich war mit 16 selbst einige Monate in Australien. Auf der einen Seite war es eine tolle Erfahrung. Aber der Flug bis an den Zielort hat 30 Stunden gedauert. Ich habe - auch wenn ich wirklich toll von den Australiern aufgenommen gefühlt habe - manchmal ziemliches Heimweh gehabt. Denn die Welt dort ist schon recht anders (zumindest im ländlichen Raum) und mir wurde einmal mehr klar: ich kann nicht eben mal schnell nach Hause, dafür ist der Weg einfach zu weit.

Im Studium habe ich in der EU ein Erasmus Jahr gemacht. Das Jahr war mit Sicherheit genauso spannend wie meine Zeit in Australien, aber es hat sich besser angefühlt. Denn ich wusste: wenn irgendetwas ist, nehme ich einen Flieger und bin in kürzester Zeit daheim.

Überlege dir, was dir wichtig ist. Interessierst du dich insbesondere für die Flora und Fauna von Australien? Oder geht es ausschließlich darum deinen Erfahrungshorizont im Hinblick auf z. B. Selbstständigkeit und Kontakte knüpfen zu erweitern? Falls es v. a. Um zweiteres geht, könnte ein Jahr im nahen Ausland genauso spannend sein.

Oder du lässt es ganz. Du musst ja keinem in deinem Umfeld Rechenschaft ablegen, weil du dich umentschieden hast. Das was sich für dich gut anfühlt, ist das Richtige.

Nur so als Anregung - du musst das Auslandsjahr ja nicht direkt nach der Schule machen, du hast Zeit bis du 30 Jahre alt bist, also auch nach dem Studium oder als Gap year.