Ab welchem Zeitpunkt wird aus Philosophie eine Ideologie?

8 Antworten

Wenn sie ihre eigenen systematischen Voraussetzungen nicht mitthematisiert (und d.h. nicht in frage stellen lässt), wird sie zum Dogma.

Wenn sie ihre eigenen Interessen nicht mitbedenkt (vll weil sie sich und dann auch andere darüber hinwegtäuscht), wird sie zur Ideologie.

Wenn in der Argumentation Immunisierung zu beobachten ist. Egal welche Kritik da kommt - sie wird abgewehrt.

Wir haben ja zunächst das Problem, dass der Terminus 'Philosophie' wenig klar ist. Aber wenn man sich nur auf die sog. etablierten bekannten Philosophen beschränkt (Plato, Aristoteles, Epikur, Kant, Hegel, Fichte,Heidegger, Nietzsche, Habermas als kleinen Querschnitt für wenigstens 100 weitere), dann wird man oft finden, dass auch bei diesen das philosophische Ideal, wie es LeoJA dargestellt hat, nämlich sich bei aller Entschiedenheit und Überzeugungskraft immer noch in Frage stellen zu können, nicht erfüllt sehen. Manche Philosophen treten mit einem so ungebrochenen Absolutheitsanspruch auf, dass man ihr Denken nur zu den Ideologien rechnen kann. -- Damit will ich sagen, dass sich der Grenzbereich zwischen Philosophie und Ideologie breit überlappend darstellt. Und man muss auch einräumen, dass es für jeden Philosophen ein immer währendes Problem ist, das rechte Maß an Entschiedenheit auszudrücken, um als profilierter, eigenständiger und origineller Denker aufzufallen, und andererseits die notwendige Zurückhaltung bei der Neigung zur dogmatisch formulierten Darstellung zu finden ohne gleich als selbstunsicher abgestempelt zu werden.

Eine Aussage ist philosophisch, solange sie in Frage steht. Sie wird ideologisch, sobald sie nicht mehr in Frage gestellt werden darf. Dies dennoch zu tun, muss Philosophen nicht hindern; aber unter Ideologen leben sie damit gefährlich. Zum Beispiel können sie am (oft ideologisierten) Arbeitsplatz als "Querdenker" ausgegrenzt und gemobbt werden. Oder in einer Diktatur (oder auch "Demokratur") als Staatsfeinde kaltgestellt, wenn nicht kaltgemacht. Auch die institutionalisierte (und damit meist einhergehend: ideologisierte) Religion weiß ihre philosophischen Köpfe zu "maßregeln": vom Lehrverbot bis zum Scheiterhaufen. Sogar in der Wissenschaft ist von Zeit zu Zeit die "Community" auf ein etabliertes "Paradigma" derart eingeschworen, dass geniale Abweichler nicht selten ihr Leben lang zumindest kompromittiert sind.

rolfmengert  03.01.2011, 21:19

Eine ausgezeichnete, stimmige und hervorragend formulierte Antwort. Glückwunsch! Vor allem ein wohltuender Kontrast zu den leider viel zu zahlreichen Banalitäten oder gar Kalauern, die man auf diesem Forum bedauerlicherweise auch findet. Rolf Mengert

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Wenn bei einem Konflikt zwischen hinreichend bewiesener Wahrheit und philosophischer Aussage nicht die philosophische Aussage angezweifelt wird, sondern die Wahrheit bekämpft / ignoriert / umgedeutet wird.