Warum sind die Berichte ehemaliger Jehovas Zeugen so wichtig?

2 Antworten

Sie helfen, ein vollständigeres Bild der Organisation zu zeichnen und ermöglichen es anderen, zu verstehen, warum manche den Weg aus der Gemeinschaft wählen.

Das vollständigere Bild ist leider nur temporär und viele bleiben leider auf der Stelle zurück, auf der sie die WTG verlassen haben. Dazu ein kleines Beispiel. Ich selber bin vor 20 Jahren etwa ausgetreten. Vieles was damals zu meinem Weggang führte ist heute kein Problem mehr. Wenn ich davon berichten würde, dann würde einer der heute drin ist sagen, was erzählt die denn da, das stimmt doch alles nicht.

Vieles ändert sich. Das immer heller werdende Licht ändert Jahr für Jahr gewisse Dinge. Ich bin 20 Jahre raus, im letzten Jahr gabs viele Dinge die sich verändert haben. Frauen brauchen keine Röcke mehr tragen. Damals für mich ein absoluter Horror da ich nicht den Hauch von Rockfigur habe. Männer mit Vollbart? Das hätte damals zu einem Gespräch mit den Ältesten geführt. Früher rühmte man sich damit, dass es keine Kindertaufe gibt. Heute heißt es, ungetaufte Kinder sind keine Freunde Jehovas. Früher hieß es, dass es unter den Zeugen weder Missgunst noch schlimme Sachen gibt und jeder mit jedem eine Freundschaft hat und man sich auf den anderen Verlassen kann. Liebe untereinander, so sagte man mir damals, das gäbe es so in der Form nur bei den Zeugen. Und heute? Autobomben, Mord und Todschlag, Mini Sprengsätze die im Stadion hochgejagt wurden, Kindesmisshandlung und und und... Stundenlang in den Dienst gehen, penibelst aufschreiben wann man wo welche Zeitschrift abgegeben hat usw.... heute reicht ein Haken auf dem Zettel und das wars. Predigtdienst? Ja, man kann ja in Foren oder hier schreiben, Hauptsache man kann irgendwas berichten. Mit Ausgeschlossenen und Abtrünnigen reden? Die 10 Worte Regel macht es wieder möglich.....

Das ist nur die Spitze des Eisberges und hier gehts nicht mal um Inhalte der Lehrmeinung. Aber wenn man all das heute anprangert, dann ist das eine Momentaufnahme. Die Realität was die Zeugen betrifft kann morgen schon wieder ganz anders aussehen.

 respektvoll zuzuhören und die Perspektiven des anderen zu verstehen

Hast du mal Diskussionen hier im Bereich mitbekommen, wo ein aktiver sich mit einem Ausgeschlossenen oder Abtrünnigen hier unterhalten hat? Das ist immer so ein kleiner Minikrieg. Respektvoll ist anders, weil beide auf ihr Recht bestehen und mit seiner Meinung und/oder Lehrmeinung keinen Platz für Respekt zulässt und auch sich dabei völlig im Recht sieht. Auch werden eigens gemachte Erfahrungen oft von aktiven Zeugen in Grund und Boden geredet und sofort als Lüge hingestellt. Es werden einem die eigenen gemachten Erfahrungen abgesprochen. Das ist mir schon mehrfach passiert. Ich habe von der Zeit nach meinem Weggang berichtet und habe erzählt, wie eins der Kinder auf mich reagierte, welche ich damals in meiner Hortgruppe hatte. Mutter und Kind mussten sich hinterher bei mir entschuldigen, weil der Junge die Komplette Gruppe geschmissen hat nach dem von der Bühne berichtet wurde, dass ich keine Zeugin mehr bin. Spätestens 3 Monate später waren alle Kinder von aktiven Zeugen aus der Kita abgezogen und die sind dann wo anders hin. Und das nur, weil der Chef auf meiner Seite stand und klar machte, dass nicht die Eltern entscheiden welcher Erzieher in welcher Gruppe arbeitet. Mir wurde daraufhin von einem aktiven Zeugen die gemachte Erfahrung abgesprochen. Sie wäre nicht wahr, sowas würde es nicht geben. Für jemanden der durch seinen Weggang alles verloren und zurück gelassen hat ist das wie eine dritte Ohrfeige. Die erste bekam man, nachdem man die ersten male schlechte Erfahrungen machte, die zweite, nachdem man den sozialen Tod durch Weggang von den Zeugen bekam und die dritte, weil einem die gemachten Erfahrungen auch noch abgesprochen werden. Wenn jemand gleich alles abschmettert, wie soll da die Perspektive verstanden werden? Man ist darauf getrimmt das was das Gegenüber sagt sofort als Lüge hinzustellen. Die Lehrmeinung steht über alles und allem und deshalb sind die Perspektiven von Ausgeschlossenen oder Abtrünnigen theoretisch nicht anzuhören.

Der offene Dialog

.... ist sehr einseitig, weil für einen offenen Dialog müsste man bereit sein, die Meinung des anderes zu respektieren und zu akzeptieren. Als aktiver Zeuge ist das schwer, weil man entweder auf Dauermissionierung aus ist, oder aber meint in den Verteidigungsmodus zu switchen. Ein offener Dialog müsste auf Augenhöhe sein, was aber wegen dem Elitedenken recht schwer fällt. Immerhin darf man nicht mit dem Feind, oder in dem Fall Weltmenschen auf Augenhöhe sein. Man müsste sich in den jeweils anderen hineinversetzen.

Mir fällt das schwer. Nicht nur in Hinsicht auf Zeugen, sondern auch in Hinsicht auf andere Glaubensgemeinschaften. Es stehen alle wegen der Lehrmeinung in Generealverdacht. Gedanklich gehe ich auf Konfrontation, aber das wird nie passieren. Ich halte mich zurück und lasse es gut sein.

Ehemalige haben oft auch die JZ-Lehren irgendwann einmal hinterfragt - genauso wie man generell, trotz dem implizierten Gedankenstopps "Zweifel kommen (angeblich) vom Teufel", angefangen hat etwas anders zu sehen als wie es die forcierten Glaubens-Vorgaben von einem abverlangen.

Als Außenstehender sieht man keine Veranlassung zu so einer gedanklichen Arbeit - wer hat schon Zeit und Lust dazu und was wäre die Motivation? Nur wenn man vielleicht selber Familie bei JZ hat, die sich von jemanden distanzieren. Doch viele nehmen es einfach so hin, ohne sich mit der Materie zu beschäftigen.

Daher sind Aussteigerberichte wichtig, da sich nur so die zweite Seite einer Medaille darstellen lässt, wo es ansonsten nur die positive Eigenwerbung gibt, welche viele Dinge gar nicht erst offerieren wollen (weil es ja angeblich nichts schlechtes dort gibt)!

LG-B.