Warum haben klassische Dichter immer so schlechte Reime gehabt?

4 Antworten

Bei einem Gedicht kommt es nicht nur auf das Reimschema an. Viel wichtiger sind Aussage und Sprachästhetik. Und da versagen die meisten Rapper erbärmlich.

Ja, die Rapper können besser reimen. Allerdings (das ist nur meine Meinung), können sie dafür nicht singen.

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche, durch des Frühlings holden belebenden Blick.....

Festgemauert in der Erde, steht die Form, aus Lehm gebrannt....

Zum Kampf der Wagen und Gesänge auf Korintus Landesenge, der Griechen Stämme froh vereint.

Zog Ibikus, der Götterfreund.

und das geht Seitenlang so weiter....

Man hat wohl mehr Wert auf den Inhalt gelegt.

Von einem großen Schlanken:

Gebt Ihr ein Stück, so gebt es gleich in Stücken!
Solch ein Ragout, es muß Euch glücken;
Leicht ist es vorgelegt, so leicht als ausgedacht.
Was hilft’s, wenn Ihr ein Ganzes dargebracht?
Das Publikum wird es Euch doch zerpflücken.

Von einem kleinen Dicken:

Wenn es in der Welt dezembert und der Mond wie ein Kamembert
gelblich rund, mit etwas Schimmel
angetan, am Weihnachtshimmel
heimwärts zu den Seinen irrt
und der Tag stets kürzer wird -
sozusagen wird zum Kurztag -
hat das Christkindlein Geburtstag!

Von einem Vergangenen:

Dann zu Johannis beim Feuertanzfest
Keiner weiß heut' mehr wie waren sie
Plötzlich da aus Geäst
Sprangen sie in den Tanzkreis zu schnell
Bissen Bräute ins Gras, und zu blass
Schien der Mond aber hell
Hell brannte Feuer aus trockenem Moos
Brannte der Wald bis hinunter zum Fluss
„Kinder, spielt, vom Rauch dort wissen wir nichts
Und riechen auch nichts und riechen auch nichts“

Von einem Aktuellen:

Doch du bist heimatlos
Belogen
Betrogen
Übern Tisch gezogen
Wie von 'nem schwarzen Loch aufgesogen
Heimatlos
Abgezockt
Trockengedockt
Schwer geschockt
In die Falle gelockt
Und wie ein Schaf an den Hinterbeinen angepflockt

Die klassische Dichtung verkörpert die Vollendung sprachlicher Kunst. Sie besticht nicht durch formale Spielereien, sondern durch die harmonische Verschmelzung von Gedankentiefe, sprachlicher Präzision und rhythmischer Eleganz. Ein Goethe-Sonett oder eine Hölderlin-Hymne wirken nicht durch äußerliche Reimkunststücke, sondern durch die vollkommene Einheit von Inhalt und Form, durch die meisterhafte Gestaltung von Metrum, Symbolik und sprachlicher Verdichtung. Jedes Wort ist hier bewusst gesetzt, jeder Vers ein in sich geschlossenes Kunstwerk. Dem gegenüber steht der moderne Rap, der zwar mit komplexen Reimstrukturen beeindruckt, doch oft bei formaler Virtuosität verharrt. Die perfekte Fünf-Silben-Reimkette bleibt leer, wenn ihr keine sprachschöpferische Kraft in Inhalt und Form zugrunde liegt. Während große Lyrik zum Nachdenken anregt, erschöpft sich vieler Rap in banaler Oberflächlichkeit. Zugegeben, es gibt Rapper mit künstlerischem Anspruch. Doch selbst ihre besten Reime erreichen selten die gedankliche Tiefes und sprachliche Intensität eines Goethe, Rilke oder Schiller. Wahre Dichtkunst liegt nicht in akrobatischer Reimerei, sondern darin, das Unsagbare sagbar zu machen! Klassische Lyrik ist zeitlose Kunst, die uns auch heute noch etwas zu sagen hat. Rap mag unterhalten; die große Dichtung aber verwandelt Sprache in wahre Kunst.