Ricarda Rolf, eine Sektenberaterin und Aufklärerin über Zeugen Jehovas

1 Antwort

Dieser Berichte, erschien ein paar Tage nach dem Attentat auf die Zeugen Jehovas am 9. März 2023 in Hamburg der Täter, ein ehemaliges Mitglied der Gemeinschaft, was das Attentat in Verbindung mit der inneren Struktur und dem Umgang der Zeugen Jehovas mit ihren Mitgliedern setzten.

So berechtigt viele dieser kritischen Stimmen auch sein mögen, die zeitliche Nähe zur Tragödie wirft ethische Fragen auf. Die Debatte über problematische Strukturen innerhalb religiöser Sondergemeinschaften muss geführt werden, aber nicht auf Kosten der Opfer und ihrer Angehörigen.

Es ist nachvollziehbar, dass Menschen wie Margit Ricarda Rolf, die selbst leidvolle Erfahrungen mit den Zeugen Jehovas gemacht haben, das Bedürfnis verspüren, über ihre Geschichte zu sprechen. Dennoch sollte gerade in der direkten Nachwirkung eines Attentats ein gewisser Abstand gewahrt werden. Öffentliche Kritik, so wichtig sie auch sein mag, wirkt sonst wie eine Instrumentalisierung des Leids und ist für ein offenen Dialog wenig Ziehführend.  

Aber unabhängig vom Zeitpunkt bleibt die Frage/Einschätzung natürlich berechtigt:

Wie gehen die Zeugen Jehovas mit ihren Mitgliedern um insbesondere mit jenen, die die Gemeinschaft verlassen wollen oder sich nicht vollständig anpassen?

Zahlreiche Erfahrungsberichte und auch wissenschaftliche Analysen zeigen, dass der Gruppendruck innerhalb der Organisation für den einzelnen sehr hoch sein kann.

Ausschluss aus der Gemeinschaft bedeutet für viele ein abruptes Ende sozialer Beziehungen „Ächtung oder Shunning““ durch die Gemeinschaft,  insbesondere, wenn auch die Familie Teil der Gemeinde ist. Dies führt nicht selten zu Vereinsamung, Depressionen oder sogar Suizidgedanken.

Wer ausgeschlossen oder „abtrünnig“ ist, wird nicht mehr gegrüßt (außer er kommt wieder/weiterhin zu den Gottesdienst) , er darf keine familiären Beziehungen mehr pflegen selbst zu Eltern oder Kindern.

Die missionarischen Aktivitäten der Zeugen Jehovas richten zudem intensiv an Menschen, die sich in psychisch labilen oder existenziellen Krisensituationen befinden. Verlust eines Angehörigen, Scheidung, schwere Krankheit oder Arbeitslosigkeit usw. all das sind Lebenslagen, in denen Menschen besonders empfänglich für Trost, Halt und Sinnsuche sind. Hier setzen Missionare oft mit der scheinbaren Gewissheit der „Wahrheit“ und einem festen Wertekanon an. Das ist natürlich eine gezielte Taktik die so auch in den Schulungen der Zeugen Jehovas (der Predigtdienstschule) ausgebildet wird.

Was auf den ersten Blick vielleicht wie eine wohltuende Struktur erscheint, kann sich jedoch bei näherem Hinsehen als schädlich erweisen,  gerade für Menschen mit instabiler Psyche. Statt therapeutischer Hilfe erhalten sie oft rigide Regeln, Schuldgefühle und sozialen Druck. Ein

Beispiel: Depressionen werden häufig spirituell gedeutet („Du hast zu wenig vertrauen auf Jehova und seine Organisation, du musst mehr in den Predigtdienst ergehen usw.“) statt medizinisch ernst genommen.

Wichtig ist: Nicht alle Mitglieder der Zeugen Jehovas sind Täter, Manipulatoren oder Fanatiker. Viele glauben aufrichtig, Gutes zu tun, und leben ihren Glauben in friedlicher, unaufdringlicher Weise. Auch erleben nicht alle Mitglieder psychische Schäden! Manche empfinden die Gemeinschaft sogar als stützend und schützend. Dennoch darf dies nicht den Blick auf systemische Gefahren verstellen, die insbesondere bei vulnerablen Menschen großen Schaden anrichten können.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Peritus Sectarum