Selbstbefriedigung im deutschen Kaiserreich?

4 Antworten

Zumindest das damalige Bürgertum war extrem verklemmt - nicht nur in Deutschland, aber hier sehr stark. Komplexes Thema, das bis zum Weltkrieg führt ...

Erst Anfang des letzten Jahrhunderts entwickelte Freud die Theorie zum "Sexualtrieb". Vorher gab es den Sex in den Köpfen der (ja fast durchweg noch religiösen) Menschen offiziell nur, um Kinder zu bekommen.

Jeder Sex außerhalb der Ehe und/oder nicht zum Zweck des Kinderkriegens galt als "Perversion".

So ist auch Freuds Erkenntnis einzuordnen: "Kinder sind polymorph pervers" - sprich: Sie sind in verschiedensten Formen sexuell aktiv, und weder in einer Ehe, noch geschieht das aus Fortpflanzungsabsicht = "pervers".

Entsprechend wurden nachts ggf. den Kindern die Hände ans Bett gebunden, damit sie sich nicht "unsittlich" berühren konnten (siehe auch den Spielfilm Das weiße Band - Eine deutsche Kindergeschichte).

Für reichere Eltern gab es auch metallene "Unterwäsche" und Handschuhe zum gleichen Zweck zu kaufen.

Und der amerikanische, ultra-religiöse Kinderarzt Dr. Kellogg, erfand nicht nur die Cornflakes, sondern führte auch die Beschneidung in den USA ein, um bei Jungs die Selbstbefriedigung zu verhindern, und bei Erwachsenen später lustvollen Sex (was natürlich nur dazu führte, dass eine Gleitmittelindustrie entstand).

Oh, und Frauen haben sich nicht selbst "befriedigt", wurden aber ggf. beim Arzt wg. "Hysterie" behandelt - mit damals noch recht großen Vibratoren.

Libertinaerer  20.12.2020, 13:55

In Ergänzung zur Pornografie, die WisperndesGras erwähnte: Das ist nochmal ein anderer komplexer Teilaspekt dieses Themas, zumindest was Erwachsene anging.

Diese "Problematik" stellte sich der Kirche bereits bei ihren weltweiten Raubzügen, wo man alles an erotischen Darstellungen mitnahm, dessen man habhaft werden konnte - um es im Vatikanischen Archiv (bis heute nicht öffentlich zugänglich) endzulagern.

Gutenbergs Buchdruck, die Reformation sowie der Beginn der Aufklärung verschärften das "Problem" dann noch.

"Die Jagd nach Pornografie die setzte eigentlich erst so im 17./18. Jhdt. ein. Und da war das Motiv, dass man eben die geistig Schwachen vor sittlicher Verwahrlosung bewahren muss, dass es Aufgabe des Staates ist, die Sittlichkeit zu fördern, und dass man das Unsittliche irgendwie unterdrücken muss. Was nun genau das Sittliche und das Unsittliche war, das hing nun von der jeweiligen Gesellschaft ab." (Prof. Dr. Erwin J. Haeberle, Sexualwissenschaftler)

"Man darf aber auch nicht vergessen, jetzt historisch betrachtet, dass mit der steigenden Verbreitung pornografischer Schriften ab dem 18. Jhdt. die Krankheit der 'Onanie' erfunden wurde - ziemlich genau am Anfang des 18. Jhdt. Also hat man mit der 'Onanie' sozusagen eine Krankheit entdeckt, die ja keine Krankheit ist, sondern man hat sich Sorgen gemacht, dass die Lüste des Menschen in die Unendlichkeit führen, wenn man das zulässt." (Dr. Gabriele Sorgo, Kulturhistorikerin)

"Die Syphilis (im 19 Jhdt.) hat, wie Aids heute - nur noch in viel schlimmeren Maße -, die ganzen Moralvorstellungen, Sitten und Gebräuche radikal verändert." (Prof. Dr. Erwin J. Haeberle, Sexualwissenschaftler)

Wenn Pornografie aber angeblich Krankheiten fördert, war die Sache entschieden: "Der Diskurs der Moral - du sollst nicht, weil du sonst in die Hölle kommst -, wurde ersetzt durch einen sozial-hygienischen Diskurs - du sollst nicht, weil du sonst krank wirst, weil du sonst deine Kräfte verausgabst, weil du sonst ein schlechter Staatsbürger bist, und so weiter." (Dr. Gabriele Sorgo, Kulturhistorikerin)

"Pornografie ist Gift!" Das behauptet Lord Campbell 1857 im britischen Oberhaus, als dort zum ersten Mal ein Gesetz gegen Pornografie erlassen wird: der "Obscene Publication Act". Am Tag der Debatte steht zufällig auch ein Gesetz über Giftstoffe auf der Tagesordnung: Arsen oder Obszönität? Es ist keine Frage, was den Lords gefährlicher erscheint (Pornografie wird verboten, Arsen bleibt erlaubt).

Und diese Moralvorstellungen besonders puritanischer Christen, wird ja aktuell wieder stark durch deren moderne Form der prüden US-Evangelikalen propagandiert - von "NoFap" ("weil du sonst krank wirst, weil du sonst deine Kräfte verausgabst") bis zur angeblichen "Porno-" und überhaupt "Sexsucht" ("man hat sich Sorgen gemacht, dass die Lüste des Menschen in die Unendlichkeit führen, wenn man das zulässt").

Ohne jede wissenschaftliche Evidenz, ja, sogar entgegen der wissenschaftlichen Evidenz, und in der heutigen Zeit entsprechend erfolglos in ihren Bemühungen nach offizieller Anerkennung. Aber so schnell geben erzreligiöse Moralapostel nicht auf ...

... es finden sich ja auch immer mal welche, die darauf tatsächlich reinfallen.

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Hallo Memegaming,

in Ergänzung zu der Antwort vom Libertinären:

Für die "Herren" der damaligen Gesellschaft gab es unter der Oberfläche eine "galante Literatur", die allerdings auch aus Romanen bestand, die recht erfolgreich waren. Wie populär diese also unter oder über der Oberfläche waren, lässt sich wohl schwer sagen.

In diesen wurden die Herren auch jenseits ihrer natürlich selbst praktizierten Selbstbefriedigung mit der weiblichen Variante bekannt gemacht. Ich erinnere den Roman "Jettchen und Julchen auf der Leipziger Messe" aus Zeit um 1850 (den ich damals in meinem früheren Leben vor meiner Wiedergeburt gelesen habe).....

Gesellschaftlich akzeptiert 

Von welcher Gesellschaftsschicht sprichst du denn?

Memegaming2 
Fragesteller
 20.12.2020, 01:30

vom Durchschnitts deutschen von so jemanden den man halt auf der Straße sieht von ganz normalen Bürgern

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Da drüber haben die wahrscheinlich gar nicht gesprochen, also eher verpönt als akzeptiert.

Marie8628  12.01.2022, 22:53

Die haben sowas gar nicht gemacht.

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