Der Vorfall um Yang Jingyuan an der Wuhan-Universität in China
Das setzt sich aus zwei Vorgängen zusammen.
(1) Der Fall der Falschbeschuldigung sexueller Belästigung durch Yang Jingyuan an der Wuhan‑Universität (erste Instanz abgeschlossen)
(2) Der Vorwurf akademischer Integritätsverstöße durch Yang Jingyuan (laufend, noch nicht abgeschlossen)
Im Folgenden werden die Details vorgestellt.
Nach den Angaben der Parteien und den im Rahmen der Beweisaufnahme geprüften und bestätigten Beweismitteln stellt dieses Gericht den Sachverhalt wie folgt fest:
I. Zu den Tatsachen im Zusammenhang mit der Behauptung der Klägerin Yang Jingyuan, der Beklagte Xiao Mingtiao habe eine sexuelle Belästigung begangen
Im Juli 2023 war die Klägerin Yang Jingyuan Masterstudentin im zweiten Jahr an der Fakultät für Wirtschaft und Management der Universität Wuhan. Der Beklagte Xiao Mingtiao war Erstsemesterstudent an der Fakultät für Fremdsprachen und Literatur derselben Universität. Die Parteien kannten sich nicht persönlich.
Am 11. Juli 2023 zwischen etwa 18:00 Uhr und 20:00 Uhr hielten sich beide Parteien zum Selbststudium im Flur der Bibliothek des Geistes- und Naturwissenschaftlichen Fachbereichs der Universität Wuhan auf. Entlang der beiden Seiten des Flures befand sich jeweils eine Reihe von Tischen für das Selbststudium; die Mittelzone diente als Durchgang. Zur Tatzeit saßen Klägerin und Beklagter einander gegenüber an demselben Tisch.
Die Klägerin gab an, sie habe bemerkt, dass der Tisch wackelte, und daraufhin festgestellt, dass der Beklagte seine Genitalregion über der Kleidung hinweg kontinuierlich rieb. Sie habe dies als eine auf sie gerichtete „Selbstbefriedigung“ verstanden und daraufhin ihr Mobiltelefon unter den Tisch gelegt, um Videoaufnahmen anzufertigen.
Die Klägerin legte dem Gericht fünf Videoaufnahmen
Erstes Video: aufgenommen um 19:04 Uhr, Dauer 12 Sekunden;
Zweites Video: aufgenommen um 19:07 Uhr, Dauer 59 Sekunden;
Drittes Video: aufgenommen um 19:09 Uhr, Dauer 46 Sekunden;
Viertes Video: aufgenommen um 19:29 Uhr, Dauer 59 Sekunden;
Fünftes Video: aufgenommen um 20:00 Uhr, Dauer 1 Minute 51 Sekunden.
Mit Ausnahme des zweiten Videos, in dem aufgrund des Aufnahmewinkels die Handbewegungen des Beklagten nicht erkennbar waren, zeigten die übrigen Aufnahmen, dass der Beklagte seine linke Hand unterhalb des Tisches zwischen seine Oberschenkel legte und leichte, unregelmäßige Bewegungen ausführte.
Die Videoüberwachung der Bibliothek zeigte, dass Klägerin und Beklagter während des fraglichen Zeitraums jeweils mit eigenem Studium beschäftigt waren und weder sprachlich noch anderweitig miteinander kommunizierten. Beide Parteien verließen mehrfach kurzzeitig ihre Plätze und kehrten zurück; im Flur herrschte reger Durchgangsverkehr von Studierenden.
Gegen 20:10 Uhr desselben Tages wollte der Beklagte die Bibliothek verlassen, wurde jedoch von der Klägerin angehalten, die von ihm ein handschriftliches Entschuldigungsschreiben verlangte. Die Klägerin legte hierzu eine Tonaufnahme vor. Aus dem Inhalt der Tonaufnahme und des Entschuldigungsschreibens ergibt sich folgender Sachverhalt:
3 Antworten
Beeindruckend. China ist also durchaus ein Rechtsstaat. In den USA, insbesondere nach Joe Bidens "Dear Colleague"-Brief, wäre der Junge vor einem Standgericht aus Gender-Studies-Studenten gelandet und von der Uni geflogen, ohne sich wirklich verteidigen zu dürfen oder auch nur genau zu erfahren, was er eigentlich angestellt haben soll...
Ich habe nur den ersten Teil gelesen, weil mich die Ausbreitung dieses "Falles" zutiefst anwidert.
Aber einen jungen Menschen wegen eines Fehlverhaltens, das zweifellos verurteilungswürdig ist - so es denn überhaupt Masturbation war - 📍geradezu sozial hinzurichten📍empfinde ich als moralische Ungeheuerlichkeit. 😱😡
Wie gefühllos muss man sein, um so einen "Fall" nicht bei einer klaren Ansage und ausdrücklichen Androhung von massiven Konsequenzen im Wiederholungsfall zu belassen, sondern den Mitstudenten vor aller Welt bloßzustellen.
"Pfui Teufel!" sage ich da nur?
Ich wünsche dieser empathielosen jungen Frau alles im Leben - nur nichts Gutes.
Die Klägerin sagte darauf:
„Persönlichkeitsrecht? Andere könnten denken, du hast meine Sachen angeschaut. Geht es hier darum, dass du meine Sachen angesehen hast?“
Der Beklagte sagte:
„Schwester, können wir vielleicht an einen Ort gehen, wo weniger Leute sind?“
Die Klägerin erwiderte:
„Das ist nicht nötig, du kannst hier schreiben. Meine Stimme ist schon leise genug. Ich bleibe sitzen, spreche leise, und du schreibst mir alles genau auf.“
Der Beklagte sagte:
„Ich sage dir etwas… Ich… ich habe manchmal keine logische Ausdrucksweise, bitte hab Nachsicht. Ich bin erst im ersten Studienjahr… Ich habe von Anfang an hart gearbeitet, um mich für ein weiterführendes Studium zu qualifizieren. Mein Notendurchschnitt gehört zu den besten des Jahrgangs. Falls die Universität mich bestrafen will, bin ich bereit, jede andere Konsequenz zu akzeptieren.“
Die Klägerin sagte:
„Schreib zuerst, dann reden wir weiter!“
Der Beklagte schrieb weiter:
„Ich habe den Körper meiner Schwester gefilmt. Es war ein Moment der Unüberlegtheit. Ich habe ihr Schaden zugefügt, sie gekränkt und bitte inständig um Verzeihung.“
Der Beklagte fragte:
„Reicht das so? Wenn nicht, füge ich noch etwas hinzu.“
Die Klägerin antwortete:
„Du hast mich gar nicht gefilmt. Was hast du gefilmt? Hast du Fotos gemacht? Öffne dein Handy, zeig mir das Album!“
Der Beklagte sagte:
„Nein, das habe ich wirklich nicht.“
Die Klägerin sagte:
„Also hast du mich gar nicht gefilmt. Warum schreibst du dann, dass du mich gefilmt hast?“
Der Beklagte erwiderte:
„Stimmt, ich schreibe es besser um.“
Daraufhin schrieb er weiter:
„Obiges streiche ich. Ich habe im zweiten Stock der Bibliothek eine unanständige Handlung gegenüber meiner Schwester begangen, die ihr Ekel verursachte. Es war ein Moment der Unüberlegtheit. Ich habe einen Fehler gemacht. Es war mein Verschulden. Ich habe meiner Schwester Schaden zugefügt und hoffe auf ihre Verzeihung. So etwas wird nie wieder vorkommen.“
Ich verabscheue besonders den Spruch: „Wer keine Angst vor dem Tod hat, warum sollte er Angst vor dem Leben haben?“ Das ist nichts als Unsinn. Sonst gäbe es nicht das Wort „Schlimmer als der Tod“. Jeder Mensch hat Dinge, die er zutiefst ablehnt oder verabscheut. Was Xiao wirklich will – und was er meidet – das weiß nur er selbst.
Zurück zu meinem Vorfall: Zufällig wurde ich auch schon letzten Monat telefonisch von der Polizei kontaktiert, nachdem ich auf eine verdächtige „Vetternwirtschaft“ bei der Einstellung von Tutoren an der Hu*‑Universität hingewiesen hatte. Diesmal aber standen sie vor meiner Tür.
Viele haben mir per Direktnachricht oder Kommentar zu meinem Mut gratuliert. Für mich war es lediglich etwas, das ich ohnehin seit Jahren immer wieder tue. Als damals Huang von elf seiner Schüler gemeinsam wegen wissenschaftlichen Fehlverhaltens angezeigt wurde, habe ich an der Huazhong University of Science and Technology direkt reagiert.
Ich habe nie mehr getan, als was in meinen Kräften lag. Also stellt mich bitte nicht auf ein Podest. In all den Jahren habe ich Missstände aufgedeckt – von vorgefertigten Gerichten bei Zhang H. über problematische Zertifikate für Psychologische Beratung an der Chinesischen Akademie der Wissenschaften bis hin zu Fällen, in denen Wissenschaftler unfair behandelt wurden.
Meine Stimme ist vielleicht schwach, doch ich möchte weiterhin der Schmetterling sein, der zumindest eine kleine Wirkung entfalten kann.
In den letzten Tagen haben mir immer mehr Menschen Nachrichten geschickt oder Kommentare hinterlassen, um mir zu danken. Leider konnte ich nicht jedem einzeln antworten. Hiermit entschuldige ich mich und möchte betonen, dass ich eure Unterstützung und Ermutigung sehr wohl wahrnehme und annehme.
Zum Schluss lasst uns noch einmal die „Verordnung über den Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten bei Abschlussarbeiten“ (Nr. 34) in Erinnerung rufen:
Datenfälschung in Abschlussarbeiten stellt wissenschaftliches Fehlverhalten dar. Bewerbern wird das Antragsrecht entzogen; bereits vergebene Abschlüsse werden aberkannt, die Urkunde eingezogen. Die Entscheidung muss öffentlich bekannt gegeben werden. Für mindestens drei Jahre nach Wirksamwerden darf keine Hochschule einen neuen Antrag annehmen.
Wenn Betreuer ihre Prüfpflichten vernachlässigen (z. B. keine Schulung zu wissenschaftlicher Integrität, keine Überprüfung der Echtheit der Arbeit), wodurch es zur Fälschung kommt, erhalten sie eine Verwarnung oder eine Rüge; in schwerwiegenden Fällen wird ihre Position herabgestuft, bis hin zu Entlassung oder Kündigung.
Autor: Li Ran Yu Xin (李然于心)
Link: https://www.zhihu.com/question/1933690399068787181/answer/1933886382310401537
Quelle: Zhihu
Urheberrecht liegt beim Autor. Für kommerzielle Nutzung bitte den Autor um Erlaubnis bitten. Für nicht-kommerzielle Nutzung bitte die Quelle angeben.
李然于心 (Li Ran Yu Xin):
„Ich bin kein Held, sondern nur ein Schmetterling, der kleine Wellen auslöst.“
Am 30. Juli stieg das Thema „Wie ist die Warnung zu bewerten, die die Bloggerin ‘Li Ran Yu Xin’ nach der Veröffentlichung eines Videos über den Fall einer gefälschten Abschlussarbeit einer Studentin der Wuhan-Universität erhielt?“ auf Platz 1 der Zhihu-Hotlist. Die Popularität erreichte zeitweise 170 Millionen, mehr als 30 Millionen Menschen diskutierten darüber.
Viele Nutzer wünschten sich, dass auch ich, die Betroffene, ein paar Worte sage:
Am 29. Juli 2025 gegen 21:40 Uhr wurde ich von vier Vollzugsbeamten aufgesucht. Im Vergleich zu den damaligen Erfahrungen von Xiao, der (so wie ich es mir vorstelle) von seinem Tutor, dem Fachbereichsleiter und sogar von der Hochschulleitung nacheinander zu „psychologischen Gesprächen“ gedrängt wurde, erscheint mir mein Vorfall fast wie eine Bagatelle.
Im Oktober 2023 hatte ich die Disziplinarverfügung der Wu*‑Universität, die Xiao eine Verwarnung erteilte, ebenfalls weitergeleitet. Ich war niemals der „Held“, als den ihr mich bezeichnet habt. Hiermit möchte ich mich bei meinem Kommilitonen Xiao aufrichtig entschuldigen!
Doch bedeutet eine offizielle Mitteilung von Wu* nicht für die breite Öffentlichkeit die Festlegung einer Deutung des Geschehens? In meinen jüngsten Beiträgen habe ich Xiao bewusst nicht erwähnt, weil ich persönlich glaube, dass es die größte Hilfe und der beste Schutz für ihn ist, ihn derzeit nicht weiter in den Fokus zu rücken.
Als der Vorfall im Juli 2023 geschah, war Xiao gerade im zweiten Semester seines ersten Studienjahres – mit kaum mehr Lebenserfahrung als frisch gebackene Abiturienten. Deshalb appelliere ich: Verurteilt ihn nicht mit einer „Gott-Perspektive“ für seine vermeintliche „Schwäche“.
Am 25. Juli 2025 wurde die Klage wegen angeblicher sexueller Belästigung im Fall der Wu*‑Bibliothek in erster Instanz abgewiesen. Viele Nutzer wünschen sich, dass Xiao nun eine Gegenklage wegen falscher Anschuldigungen gegen Yang erhebt, damit aus dem „Sexualdelikt-Fall“ ein „Verleumdungs-Fall“ wird.
Meine persönliche Meinung dazu: Im kommenden Semester wird Xiao im vierten Studienjahr sein. Die letzten zwei Jahre haben sein Studium zweifellos stark beeinträchtigt. Soll er nun das Studium abschließen und sein Bachelor-Zeugnis erlangen – oder sich in einen Prozess begeben, der Zeit, Energie und Ausgang völlig ungewiss lässt?
Zumal bei ihm eine PTBS diagnostiziert wurde. Kann sein Körper und Geist die Strapazen eines Prozesses aushalten – und die erneute Welle öffentlicher Aufmerksamkeit, die eine Klage mit sich bringen würde? Deshalb sollte allein Xiao selbst die Entscheidung treffen.
Am 17. Oktober 2023 wurde der Angeklagte Xiao mit einer akuten Stressreaktion diagnostiziert. Bis Dezember verschlechterte sich sein Zustand, und es wurde bei ihm eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) festgestellt. Zudem wurde das Risiko für Suizid oder Selbstverletzung mit 80 % eingeschätzt. Seine Mutter erinnerte sich: „In jener Zeit war er (gemeint ist Xiao) oft plötzlich voller Wut und Hass, mit dem Drang, die Gegenseite zur Rede zu stellen; nachts konnte er nur mithilfe von Medikamenten einschlafen und wachte ständig aus Albträumen über den Vorfall in der Bibliothek auf; tagsüber sprach er den ganzen Tag mit niemandem, wollte sogar aus dem Fenster springen – zum Glück konnten wir ihn noch rechtzeitig zurückhalten …“. Auch Xiaos Großvater brach beim Anblick der Online-Hetze sofort zusammen und verstarb ein halbes Jahr später.
Nach Niederlage in der Klage veröffentlichte Yang Jingyuan (杨景媛) am 27. Juli desselben Jahres auf mehreren chinesischen Social‑Media‑Plattformen die Aussage, sie habe „die Juristische Staatsprüfung (法考) bereits bestanden und werde anschließend ganz schön promovieren“ (sie plant ein Promotionsstudium an der Hong Kong Baptist University). Gleichzeitig verspottete sie den obsiegenden Beklagten Xiao, indem sie sagte: „Die Zulassung für den Master dürfte für ihn sehr schwierig sein, oder?“ Außerdem kündigte sie an, den obsiegenden Beklagten weiter zu melden. Dies löste in den chinesischen sozialen Medien einen Shitstorm aus: Innerhalb von zwei Tagen erreichte das Thema über 100 Millionen Aufrufe.
In der Zwischenzeit entdeckte eine chinesische Bloggerin namens „李然于心“ zufällig, dass Yang Jingyuans Master‑Abschlussarbeit, die sie an der Wuhan‑Universität nach ihrer mündlichen Verteidigung eingereicht hatte, gravierende wissenschaftliche Mängel aufweist. Auf der Plattform https://github.com/zouzhekang/YJYpaper listete sie sämtliche Fälle wissenschaftlichen Fehlverhaltens auf. Noch in derselben Nacht wurde sie von vier Polizeibeamten aus Wuhan aufgesucht und zur Rede gestellt, mit der Aufforderung, sofort alle Untersuchungen bezüglich Yang Jingyuans akademischer Arbeit einzustellen. Dies löste erneut einen Sturm der Entrüstung in den chinesischen sozialen Medien aus.
Die zweite Hälfte ist noch nicht übersetzt. Meine DeepSeek‑Grammatikprüfungsfunktion hat den Server so stark belastet, dass er überhitzt ist, daher muss ich erst einmal abwarten.
Die Universitäten und ,soweit ich das verfolgen kann, auch sonst werden _mittlerweile_ (mind. die letzten fünf Jahre) solche Vorwürfe sehr ernst genommen und haben schon so manchem Professor (zurecht) die Anstellung und den Ruf gekostet.
Unglückliche Situation.. beide hätten versuchen können ordentlich zu kommunizieren, die Klägerin aber sah sich verletzt und dem Angeklagten war es offensichtlich zu peinlich.
Das Gericht ist der Auffassung, dass der Kernstreitpunkt in diesem Fall darin besteht, ob das Verhalten des Beklagten Xiao Mingtiao eine sexuelle Belästigung darstellt. Artikel 1010 Absatz 1 des Zivilgesetzbuches der Volksrepublik China bestimmt: Wer gegen den Willen eines anderen sexuelle Belästigung in Form von Worten, Schrift, Bildern, körperlichen Handlungen usw. ausübt, gibt dem Geschädigten das Recht, vom Täter zivilrechtliche Haftung zu verlangen. Artikel 23 Absatz 1 des Gesetzes zum Schutz der Rechte und Interessen der Frauen der Volksrepublik China verbietet, gegen den Willen einer Frau sexuelle Belästigung durch Worte, Schrift, Bilder, körperliche Handlungen usw. Sexuelle Belästigung setzt folgende Tatbestandsmerkmale voraus: Es muss sich um eine sexuell bezogene Belästigung handeln, die gegen einen bestimmten Geschädigten gerichtet ist und dessen Willen widerspricht.
I. Ob in diesem Fall das Tatbestandsmerkmal einer sexuell bezogenen Belästigung erfüllt ist
Sexuelle Belästigung kann sich in vielfältiger Weise äußern, etwa durch Worte, Schrift, Bilder oder körperliche Handlungen, die jedoch einen sexuellen Bezug haben müssen. Der Täter muss eine sexuelle Absicht verfolgen, mit dem Ziel, sexuelle physiologische oder psychische Befriedigung zu erlangen. Die Klägerin Yang Jingyuan behauptet, der Beklagte Xiao Mingtiao habe „selbstbefriedigende“ Handlungen vorgenommen, womit eine sexuelle Belästigung gegen sie vorliege. Der Beklagte bestreitet dies und erklärt, es handle sich um ein Kratzen aufgrund von Juckreiz und nicht um „Selbstbefriedigung“. Artikel 108 der Auslegungen des Obersten Volksgerichtshofs zur Anwendung der Zivilprozessordnung der VR China legt fest: Wenn das Gericht nach Prüfung der von der beweisbelasteten Partei vorgelegten Beweise und unter Berücksichtigung der Umstände mit hoher Wahrscheinlichkeit von der Existenz der zu beweisenden Tatsache überzeugt ist, ist diese als gegeben anzusehen. Werden jedoch Beweise zur Widerlegung vorgelegt und ergibt sich nach Prüfung, dass der Sachverhalt unklar ist, ist die Existenz der Tatsache zu verneinen.
Die von der Klägerin vorgelegten etwa einstündigen vier Videoaufnahmen zeigen, dass der Beklagte seine linke Hand unter dem Tisch zwischen die Oberschenkel legte und leichte, unregelmäßige Bewegungen ausführte. Aus den Handbewegungen des Beklagten lässt sich nicht der Schluss ziehen, dass er „selbstbefriedigte“. Die von der Klägerin vorgelegten Entschuldigungsschreiben und Tonaufnahmen enthalten widersprüchliche Aussagen: Zu Beginn erklärte der Beklagte „Es tut mir wirklich leid, wenn du mir früher gesagt hättest, hätte ich es sofort gelöscht“ und schrieb von „Filmen der Schwester“ und „Verletzung des Persönlichkeitsrechts“, später erklärte er, dass er nicht gefilmt habe, schrieb aber „unzüchtige Handlung“, ohne diese zu konkretisieren. Die Klägerin forderte keine klare Angabe zum Grund der Entschuldigung. Nach der Anzeige des Beklagten bei der Polizei gab er in der Vernehmung an: „Das Mädchen hat mich in der Bibliothek lautstark beschuldigt, ich wusste nicht, warum, und schrieb das Entschuldigungsschreiben einfach so.“ Er habe keine Ahnung gehabt, etwas Unanständiges getan zu haben und wollte nur schnell den Vorfall beenden. Der Zeuge Huang Qixin erklärte, er habe keine konkrete Belästigungshandlung oder -äußerung des Beklagten beobachtet.
Am 15. April 2022 informierte Xu Dan per WeChat den Beklagten Xiao Mingtiao: „Du musst nach dem Duschen unbedingt die Salbe auftragen, es ist sehr schlimm, diesmal muss die Ursache wirklich behoben werden.“ „Du musst die Salbe täglich auftragen, es ist wirklich sehr schlimm.“
Am 29. September 2022 fragte Xu Dan per WeChat den Beklagten Xiao Mingtiao: „Hast du noch Salbe für dein Ekzem? Brauchst du noch welche?“ Der Beklagte antwortete: „Ich brauche noch welche, fast alle.“ und schickte ein Foto der Pimafucort-Creme (Aineda Bimemox). Am selben Tag fragte Xu Dan per WeChat die Krankenschwester Wang Lifei des Wuhan-Ersten-Krankenhauses: „Bitte verschreibe morgen für Xiao Mingtiao erneut eine Tube der Ekzem-Salbe, ich überweise dir das Geld.“ und schickte ein Foto der Pimafucort-Creme. Wang Lifei antwortete: „In Ordnung.“ Xu Dan schrieb: „Sag mir Bescheid, wenn die Salbe fertig ist, dann schicke ich den Fahrer, um sie zur Schule zu bringen.“
Am 4. Januar 2023 bat Xu Dan per WeChat erneut Wang Lifei, Pimafucort-Creme und andere Medikamente zu besorgen.
Am 11. Juli 2023 (Tatzeitpunkt) mittags wies Xu Dan den Fahrer Le Jiabao per WeChat an, Pimafucort-Creme zu kaufen.
- Tatsachen bezüglich der ärztlichen Behandlung des Beklagten Xiao Mingtiao
Am 2. November 2023 suchte der Beklagte Xiao Mingtiao das Wuhan-Erste-Krankenhaus auf. Die körperliche Untersuchung ergab schuppige, gerötete Flecken mit leichter Hautverdickung im Bereich des Hodensacks. Die ambulante Diagnose lautete: Ekzem.
Am 8. Dezember 2023 suchte der Beklagte das Tongji-Krankenhaus der Huazhong-Universität der Wissenschaft und Technologie auf. Die Untersuchung ergab vereinzelte blassrote Flecken und Knötchen beidseits in der Leistenwurzel und am Hodensack, trockene, schuppende Hautläsionen an den Gliedmaßen sowie verstreute Rötungen. Die Erstdiagnose lautete: atopische Dermatitis.
Am 28. Dezember 2023 suchte der Beklagte das Tongji-Krankenhaus (协和医院) erneut auf. Die Untersuchung ergab trockene Haut mit hellbraunen Pigmentflecken im Bereich der Leistenwurzel und des Hodensacks ohne erkennbare Knötchen oder Bläschen; am ganzen Körper wurde trockene, schuppende Haut mit wenigen Kratzspuren festgestellt. Die Erstdiagnose lautete ebenfalls: atopische Dermatitis.
II. Zu den Tatsachen im Zusammenhang mit der atopischen Dermatitis des Beklagten Xiao Mingtiao im Bereich der Leistenwurzel und des Hodensacks
- Tatsachen bezüglich der ärztlichen Behandlung und Medikamentenbeschaffung durch die Eltern des Beklagten Xiao Mingtiao
Am 10. Juli 2020 informierte Xu Dan über WeChat den Fahrer der Firma des Vaters des Beklagten, Le Jiabao, den Pimafucort-Creme (Aineda Bimemox) zu kaufen (geeignet für Patienten mit leichter bis mittelschwerer atopischer Dermatitis ab 3 Monaten ohne Immunsuppression).
Am 22. Februar 2021 erkundigte sich der Vater des Beklagten via WeChat bei Dr. Liu Xiangyang von der orthopädischen Abteilung des Tongji-Krankenhauses der Huazhong-Universität für Wissenschaft und Technologie (im Folgenden „Tongji-Krankenhaus“): „Xiao Mingtiao sagt, dass die Wurzel seiner Hoden immer juckt. Er kratzt sich häufig, fast bis zur Verletzung. Was für eine Salbe soll er verwenden?“ Er fügte Fotos der Symptome am Hodensack des Beklagten bei. Dr. Liu antwortete: „Erinnerst du dich, welche Salbe er gegen den Juckreiz verwendet hat? Es sieht etwas verhärtet aus. Viele Juckreizsalben enthalten Corticosteroide, ich befürchte, dass eine Anwendung schaden könnte. Vielleicht probieren wir Halometason-Salbe aus. Ich frage meine Kollegen.“ Der Vater antwortete: „Das ist schon lange so, er kratzt sich oft, ich habe ihn erst jetzt gefragt.“ Dr. Liu leitete die Fotos an seinen Kollegen, Dr. Chen Wenmao von der Dermatologie im Tongji-Krankenhaus, weiter und fragte: „Das Kind hat am Damm ständig Juckreiz, kratzt sich häufig und fast bis zur Verletzung. Was für eine Salbe soll er auftragen? Die Haut ist lokal verdickt.“ Dr. Chen antwortete: „Das sieht etwas nach neurodermitischem Ekzem aus, ist der Juckreiz stark? Man könnte Crotamiton- oder Halometason-Salbe in Erwägung ziehen.“
Am 13. Oktober 2023 erließ die Universität Wuhan den Bescheid Wu Da Xue Gong Zi (2023) Nr. 32 „Entscheidung über die Verhängung einer Ordnungsstrafe gegen Xiao Mingtiao“. Darin heißt es:
„Am 11. Juli 2023 zeigte Xiao Mingtiao im Nordflur der Bibliothek des Geistes- und Naturwissenschaftlichen Fachbereichs der Universität Wuhan ein unangemessenes Verhalten, das dem Ansehen der Studierenden schadete und einen negativen Einfluss ausübte. Die Universität beschließt, gegen Xiao Mingtiao eine Verwarnung (‚Verweis‘) auszusprechen. Die Dauer der Strafe beträgt zwölf Monate ab dem Datum des Bescheides.“
Am 4. Februar 2024 veröffentlichte die Southern Metropolis Daily den Artikel „Männlicher Beteiligter im Fall der sexuellen Belästigung an der Universität Wuhan äußert sich erstmals: Kratzen über der Kleidung, Klage wegen Cybermobbings eingereicht“. Darin erklärte die Mutter des Beklagten, Xu Dan:
„Es handelte sich nicht um Masturbation, geschweige denn um sexuelle Belästigung. Mein Kind leidet seit seiner Kindheit an atopischer Dermatitis. An jenem heißen Tag traten die Ekzeme an den Beinen wieder auf. Er kratzte lediglich durch die Kleidung den Juckreiz. Dies ist durch langjährige Krankenakten belegt.“
Am 12. Juli 2023 suchte die Klägerin den Tutor des Beklagten, Liu Di, auf und forderte, dass der Beklagte keine Auszeichnungen oder Förderungen mehr erhalten dürfe und im Beisein seiner Eltern um Entschuldigung bitten müsse.
Am 9. Oktober 2023 wandte sich die Klägerin erneut an Liu Di und erkundigte sich nach dem Stand des Verfahrens. Liu Di erklärte, die Angelegenheit müsse noch durch die Sicherheits- und Studentenabteilung der Universität geprüft werden; das Verfahren könne länger dauern, werde aber zügig vorangetrieben. Die Klägerin äußerte Unzufriedenheit darüber, dass nach zwei bis drei Monaten keine Fortschritte erkennbar seien.
Am 11. Oktober 2023 um ca. 10:00 Uhr veröffentlichte die Klägerin in dem WeChat-Konto „Jing Rong Yin Bing“ einen Beitrag mit dem Titel „Über den Vorfall der sexuellen Belästigung, den ich in der Bibliothek der Universität Wuhan erlebt habe“. Darin schrieb sie:
„Am Abend des 11. Juli zwischen 18:00 Uhr und 20:20 Uhr wurde ich im Nordflur der Bibliothek des Geistes- und Naturwissenschaftlichen Fachbereichs der Universität Wuhan von einem Studenten der Fakultät für Fremdsprachen sexuell belästigt. Nach drei langen Monaten über reguläre Kanäle konnte das Problem nicht gelöst werden. Da die Angelegenheit festgefahren ist, habe ich mich entschlossen, den Vorfall öffentlich zu machen, um eine schnellere Lösung zu erreichen.“
Am selben Tag gegen 21:00 Uhr erstattete der Beklagte beim Polizeirevier Luojia Shan der Unterabteilung Wuchang des Polizeibüros Wuhan Anzeige mit dem Inhalt: „Jemand hat in einem öffentlichen WeChat-Account verleumderisch behauptet, ich hätte sie sexuell belästigt.“
Die Polizei vernahm daraufhin den Beklagten, den anwesenden Kommilitonen Huang Qixin sowie den Tutor Liu Di.
Die Ermittlungsbeamten fragten den Beklagten Xiao Mingtiao:
„Warum behauptet die Studentin, Sie hätten sie sexuell belästigt?“
Der Beklagte antwortete:
„Während des Selbststudiums habe ich mit der linken Hand meinen Schrittbereich gekratzt, weil ich unter Ekzemen leide.“
Die Beamten fragten:
„Was bedeutet die Formulierung in Ihrem Entschuldigungsschreiben ‚Ich habe meine Schwester gefilmt, ihren Körper gefilmt‘?“
Der Beklagte antwortete:
„Das Mädchen hat mich damals in der Bibliothek lautstark beschuldigt und mich gezwungen, ein Entschuldigungsschreiben zu verfassen. Ich wusste gar nicht genau, warum, und habe es einfach so geschrieben. Sie hat mein Handy überprüft; darin waren keine Fotos oder Videos, die ich aufgenommen hätte.“
Die Beamten fragten weiter:
„Was ist mit der im Entschuldigungsschreiben erwähnten Formulierung ‚Ich habe eine unanständige Handlung gegenüber meiner Schwester begangen‘ gemeint?“
Der Beklagte antwortete:
„Das Mädchen sagte damals, ich hätte ihr etwas Ekelhaftes angetan. Ich konnte nichts anderes tun, als es so zu schreiben. Mir war überhaupt nicht bewusst, dass ich etwas Ekelhaftes getan hätte. Ich wollte nur schnell weg und den Vorfall beenden.“
Die Beamten fragten:
„Wann haben Sie verstanden, was die Studentin mit ‚ekelhaft‘ meinte?“
Der Beklagte antwortete:
„Am nächsten Tag hat mein Tutor Liu Di nicht mit mir selbst gesprochen, sondern direkt meinen Vater kontaktiert. Als mein Vater mich daraufhin fragte, erinnerte ich mich an meine Bewegungen in der Bibliothek. Da wurde mir klar, dass es an meiner Hauterkrankung liegen könnte. Ich habe Ekzeme an den Oberschenkeln und im Genitalbereich, weshalb ich manchmal unbewusst kratze.“
Die Beamten fragten weiter:
„Erinnern Sie sich, wie oft Sie während der zwei Stunden in der Bibliothek die betroffenen Stellen gekratzt haben?“
Der Beklagte antwortete:
„Ich erinnere mich nicht. Manchmal habe ich unbewusst ein paar Mal gekratzt, die Bewegungen waren klein.“
Die Beamten befragten auch Huang Qixin:
„Im Internet heißt es, der Student habe die Studentin sexuell belästigt. Haben Sie konkrete Handlungen oder Äußerungen des Studenten beobachtet?“
Huang Qixin antwortete:
„Ich habe keine konkreten Handlungen der Belästigung gesehen und keine belästigenden Worte gehört.“
Diese Beweise zeigen, dass der Inhalt des Entschuldigungsschreibens nicht mit den Aussagen des Beklagten und des Zeugen im polizeilichen Vernehmungsprotokoll übereinstimmt und dass kein Beweis vorliegt, dass der Beklagte „selbstbefriedigte“. Die von dem Beklagten vorgelegten WeChat-Nachrichten belegen, dass die Eltern des Beklagten bereits im Februar 2021 bei Ärzten wegen Juckreiz am Hodensack Behandlungsmöglichkeiten erfragten und Fotos der Symptome übermittelten. Außerdem bestellten sie mehrfach Medikamente, darunter die für atopische Dermatitis geeignete Pimafucort-Creme. Die medizinischen Untersuchungen im November und Dezember 2023 bestätigten bei dem Beklagten an Leistenwurzel und Hodensack Rötungen und Pigmentveränderungen mit der Diagnose atopische Dermatitis, eine chronische, rezidivierende, entzündliche Hauterkrankung. Zum Tatzeitpunkt im Sommer bestand daher eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Beklagte wegen Juckreiz im betroffenen Bereich kratzte. Unter Berücksichtigung der Videos, der Entschuldigungsschreiben, Tonaufnahmen, polizeilichen Protokolle und der medizinischen Befunde hält das Gericht die Beweislage für unzureichend, um eine Selbstbefriedigung des Beklagten nachzuweisen. Die Universität Wuhan sprach eine Disziplinarmaßnahme wegen „unanständigen Verhaltens“, jedoch nicht wegen „Selbstbefriedigung“ oder sexueller Belästigung aus. Deshalb wird die Behauptung der Klägerin, der Beklagte habe „selbstbefriedigt“, vom Gericht nicht anerkannt. Das Verhalten des Beklagten fällt daher nicht unter sexuell bezogene Belästigung.
II. Ob das Tatbestandsmerkmal der gezielten Belästigung einer bestimmten Person erfüllt ist
Sexuelle Belästigung muss sich gegen eine bestimmte Person richten. Fehlt eine eindeutige Zielrichtung, auch wenn sich eine oder mehrere Personen belästigt fühlen, liegt keine sexuelle Belästigung vor. Dieses Merkmal ist zudem Voraussetzung dafür, dass der Wille des Opfers verletzt wird. Laut Überwachungsvideo befanden sich Klägerin und Beklagter in einem offenen Bereich der Bibliothek mit häufigem Durchgangsverkehr. Der Beklagte hatte nicht nur die Klägerin vor sich, sondern auch andere Personen. Während der zwei Stunden kam es zu keinem direkten Kontakt oder Austausch zwischen den Parteien. Die Klägerin erklärte, sie habe erst aufgrund der Tischbewegung einen möglichen Selbstbefriedigungsvorgang bemerkt und die Videos angefertigt. Der Beklagte unterhielt sich nicht mit der Klägerin. Beide verließen mehrfach ihre Plätze und kehrten zurück. Die versteckten Bewegungen unter dem Tisch konnten keine bewusste sexuelle Anspielung oder Provokation gegenüber der Klägerin darstellen.
Zusammenfassend erfüllt das Verhalten des Beklagten weder das Merkmal einer sexuell bezogenen Belästigung gegen eine bestimmte Person, noch sonst die Tatbestandsvoraussetzungen sexueller Belästigung. Die Klage der Klägerin auf sexuelle Belästigung wird vom Gericht nicht anerkannt. Da das Gericht keine sexuelle Belästigung des Beklagten gegenüber der Klägerin feststellt, fehlt es an einer rechtlichen Grundlage für die Klage auf öffentliche Entschuldigung und Schmerzensgeld, sodass diese abgewiesen wird.
Auf Grundlage von Artikel 1010 Absatz 1 des Zivilgesetzbuches der VR China, Artikel 23 Absatz 1 des Gesetzes zum Schutz der Rechte und Interessen der Frauen, den Artikeln 67, 145 und 152 der Zivilprozessordnung der VR China sowie Artikel 108 der Auslegungen des Obersten Volksgerichtshofs zur Anwendung der Zivilprozessordnung entscheidet das Gericht nach Beratung im Richterkollegium:
Die Klage der Klägerin Yang Jingyuan wird insgesamt abgewiesen.