Hat bedingungslos aufrichtiger Glauben natürliche Grenzmechanismen?
Hallo allerseits, ich arbeite gerade an einer Verständnisfrage um neue, beziehungsweise zeitgenössische Erkenntnisse zu gewinnen. Daher eine Umfrage.
Konkret lautet die Frage, ob ein bedingungslos aufrichtiger Glauben (zum Beispiel an ein Gottkonzept) auch natürliche Grenzmechanismen kennt?
Beispiel: Ein natürlicher Grenzmechanismus sorgt dafür, dass aus nicht falsifizierbarem Wissen kein unreflektierter Glaube entsteht. Andernfalls könnte dies zu Naivität, Selbstbetrug, Unseriosität oder sogar Albernheit in der gesellschaftlichen Norm führen.
Ein prägnantes Beispiel dafür ist die Behauptung, Wasser sei nicht nass, sondern trocken, die Erde ist eine Scheibe, oder die Aussage, ein Apfel sei dasselbe wie eine Birne. Solche Aussagen widersprechen fundamentalen Tatsachen und schaffen eine neue Realität, die sich aus einem authentizitätslosen Glaubenskonstrukt speist, dass persönliche Überzeugungen über allgemein akzeptierten Wahrheiten stehen.
Fragt sich daher: Gibt es einen inneren Grenzmechanismus, der verhindert, dass aus vorliegendem Wissen naiver Glaube entsteht? Oder darf Wissen auch zum Glauben werden und Fundamente zählen nicht mehr?
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Konkret lautet die Frage, ob ein bedingungslos aufrichtiger Glauben (zum Beispiel an ein Gottkonzept) auch natürliche Grenzmechanismen kennt?
Ich bin religiöser Atheist und habe hoffentlich eine gute Antwort für Dich 😊 Aber verstehe, das dies keinesfalls in zwei oder drei Zeilen erledigt wäre und eine Länge braucht! Ich will es trotzdem so kurz wie möglich machen. Die Wissenschaft kann die Grenzen im Religiösen keineswegs aufzeigen, sie hat nichts damit zu tun, nur im Wissen! Beides hat aber trotzdem miteinander zu tun. Man muss etwas Richtiges wissen, um entscheiden zu können, ob etwas glaubhaft ist oder nicht!
Um das zu entscheiden, müssen unbedingt die Begriffe bedingungslos, aufrichtig und Glauben näher beleuchtet werden.
Bedingungslos heisst für mich, das es für den Glauben keine Bedingungen gibt, also frei ist nach dem Motto: Ohne Zwang sei der Glaube, andernfalls wäre er ja wohl kaum bedingungslos. Der Glaube kennt dann keine Grenzen.
Soweit das Erste
Aufrichtig heisst für mich, ohne andere oder sich selbst zu belügen und deshalb zu dem Glauben stehen zu können.
Soweit das Zweite ...
... und nun das Dritte
Glauben heisst für mich Vertrauen.
Denn was ich nicht weiß und es deshalb glaube, kann nur durch das Vertrauen in den Verkünder geglaubt werden. Und da taucht die entscheidende Frage auf: Wer muss der Verkünder oder die Verkünderin sein und wie soll etwas verkündet werden, das ich das glauben kann, was verkündet wird?
Vertrauen muss man sich verdienen und das geht nur, wenn das was Vertrauen auslöst, sich in der Realität bewährt und hilft. Daher erscheint es mir klar, das nur Wirklichkeitskompatibles dieses Vertrauen verdient, denn nur das kann sich auf Dauer bewähren. Letztlich ist das erstens eigene Erfahrungssache und zweitens bedarf es aber auch kritischer Distanz dann, wenn sich die Verkündigung als inkompatibel erweist.
Ein Glaube bewährt sich dann am ehesten, wenn alles zusammen Bestandteil des eigenen Glaubens ist und sein darf, denn das Leben in seiner Vielfalt und seiner Widersprüchlichkeit durch den Menschen, was auch Leben ist, sollte sich im Glauben manifestieren.
So wird der Glaube frei, bedingungsslos und aufrichtig dem Leben gegenüber, ---- und nur ihm, gegenüber. Und genau das muss Glaube leisten.
So lässt sich das in folgendem Satz konzentrieren:
Mache Dir die Welt zu Deinem Tempel, in dem Du die Vielfalt des Lebens als höchsten oder auch heiligsten Gegenstand Deines Dasein verehrst.
Das Leben wird dann zum Verkünder und Du musst es selbst interpretieren, abnehmen kann Dir das niemand.
Damit tust Du alles was dieses Leben fördert. Die Grenzen sind dann genau hier, wie Albert Schweitzer es in seiner Ethik formulierte.
"Ehrfurcht vor dem leben - Leben das leben will, inmitten von Leben, das leben will!"
Hier ein kurzer Ausschnitt aus einem biographischen Film über ihn
https://www.youtube.com/watch?v=fMZwfiH-_VU
Wenn das nicht berücksichtigt wird, verliert sich der Mensch in diesen Kategorien und Begriffen
Merksatz
Die Überwindung des Dogmas und der Indoktrinierung, ist der Beginn der Befreiung hin zu einer der Freiheit verpflichteten Internalisierung.
Damit wird Religion aller ihrer Zwänge befreit.
Der von mir erstellte Satz kristallisiert sich aus den Folgen dieser Begriffe heraus:
Dogma
https://de.wikipedia.org/wiki/Dogma
Indoktrination
https://de.wikipedia.org/wiki/Indoktrination
Internalisierung
https://de.wikipedia.org/wiki/Internalisierung_(Sozialwissenschaften)
Rationalisierung
https://de.wikipedia.org/wiki/Rationalisierung_(Psychologie)
Das freut mich wirklich sehr was Du schriebst. Ich selbst bin und das sei erklärend hinzugefügt, ein Freireligiöser und gehöre hierher. Aber es gibt noch eine Gemeinschaft die sich nur Freireligiös nennt, sind aber aus dem Katholizismus entstanden, wir aus dem freien Protestantentum, glauben aber beide dasselbe und sind miteinander befreundet. Leider ist es, wohl aus historischen Gründen, zu keiner Fusion gekommen. Das lag an den Freireligiösen die das nicht wollten.
Als Freireligiöser bleibt es nicht aus, sich mit anderen Religionen bzw. Glaubensrichtungen zu beschäftigen, denn man sollte ganz genau wissen warum etwas glaubt bzw. etwas nicht glaubt. Ich halte das für eine sehr wichtige Angelegenheit. Und als Parteimitglied bei Bündnis90/Die Grünen kann ich sagen, das die sozialökologische Transformation genau diese Weltanschauung braucht damit sie gelingt. Dich dies braucht noch viel Zeit, doch die Kirchen beider Konfessionen verzeichnen immer schneller und zunehmend Austritte aus ihren Gemeinschaften.
Ich selbst habe Religionspsychologie und Religionsphilosophie zu meinem Lebensinhalt gemacht und lebe dies.
Hi, deine Gemeinschaft ist wirklich interessant. Ich habe den Namen schon einmal gehört und beim Überfliegen der Inhalte einige Parallelen zur interreligiösen Neugeist-Vereinigung entdeckt. Auch die Geschichte scheint ähnlich zu sein. So basiert das Ablehnen dogmatischer Ansichten auf denselben Wurzeln, was man kaum glauben mag, bei den Siebenten-Tags-Baptisten liegt. Diese waren im Jahr 1653 wesentlich liberaler und spiritueller als viele heutige Gemeinden im Freikirchenbund. Ich werde mich mal intensiver mit dem Unitarismus und den spezifischen Ideen zur Trinität auseinandersetzen.
Als Freireligiöser bleibt es nicht aus, sich mit anderen Religionen bzw. Glaubensrichtungen zu beschäftigen, denn man sollte ganz genau wissen warum etwas glaubt bzw. etwas nicht glaubt.
Kann ich 100% zustimmen, das waren auch meine Beweggründe. Ich habe große Schwierigkeiten zu verstehen, warum die Mehrheit der traditionellen Christen so nachlässig und leichtfertig mit der Originalität der Lehren umgeht. Es scheint, als spiele es keine Rolle, ob etwas von der Urlehre abgewandelt wurde oder nicht.
Gerne würde ich dieses Phänomen besser verstehen, daher die Umfrage. Ich vermute, dass es mit natürlichen Grenzmechanismen zusammenhängt, die möglicherweise unterdrückt werden. Dadurch könnte Tradition über der wahrscheinlichsten Wirklichkeit stehen, oder es könnte aus Wissen ein Glaube konstruiert werden. Das ist halt besonders merkwürdig, wenn man die heutigen Wissensquellen betrachtet. - Zum Thema Grüne, na ja, da bin ich eher Team BSW auf der politischen Ebene. Aber kein Problem. :-)
Ich selbst habe Religionspsychologie und Religionsphilosophie zu meinem Lebensinhalt gemacht und lebe dies.
Finde ich sehr gut und bereichert auch das Leben und die Erkenntnisaneignung.
Ich werde mich mal intensiver mit dem Unitarismus und den spezifischen Ideen zur Trinität auseinandersetzen.
Ich bin gerne bereit, Dir in dieser Hinsicht weiterzuhelfen, über Private Nachricht. Musst mir dann eine Freundschaftsanfrage übermitteln.
Werde ich gerne dann tun, falls ich nicht weiterkomme...
Deine Beispiele sind nicht geeignet, mit dem Glauben verglichen zu werden.
Bei den Beispielen handelt es sich um beweisbare Tatsachen, deren Kenntnis dem heutigen Stand des Wissens entspricht.
Glaube hingegen ist dann notwendig und angebracht, wenn es um Ansichten geht, die nicht bewiesen werden können, etwa die Existenz Gottes.
Wie sollte ein solcher Grenzmechanismus funktionieren? Wie soll er etwa unterscheiden, ob wir das als Wissen bezeichnen, was uns die Wissenschaften sagen? Oder ist das nicht eher auch ein Glaube an die Wissenschaft, die sich bekanntlich auch irren kann?
Deine Beispiele sind nicht geeignet, mit dem Glauben verglichen zu werden.
Doch, sind sie in der Tat. Ich habe mir bei der Formulierung etwas gedacht, da ich für die Erkenntnis die ich mir erhoffe verschiedene Fragmente benötige. Und du hast mir mit deiner Antwort bereits ein weiteres Fragment aufgezeigt. Danke.
Bei den Beispielen handelt es sich um beweisbare Tatsachen, deren Kenntnis dem heutigen Stand des Wissens entspricht.
Richtig darauf kam es mir an.
Glaube hingegen ist dann notwendig und angebracht, wenn es um Ansichten geht, die nicht bewiesen werden können, etwa die Existenz Gottes.
Auch das ist richtig, doch gehe mal eine Ebene zurück ... Wie schaut es aus mit Textquellen, die sich zum Beispiel auf Ursprungsort und Alter bezogen beweisen lassen? Mir geht es um die Erkenntnis herauszufinden, wo die Linie ist, wo aus Wissen Glauben / Blinder Glaube wird innerhalb des Religionspluralismus.
Wie schaut es aus mit Textquellen, die sich zum Beispiel auf Ursprungsort und Alter bezogen beweisen lassen?
Wie ist das gemeint?
Und wie kann aus Wissen Glauben werden?
"Wer nichts weiß, muss alles glauben"
Und wie kann aus Wissen Glauben werden? "Wer nichts weiß, muss alles glauben"
Ein interessanter Ansatz! Meinst du, dass Bildung eine zentrale Rolle dabei spielt, zwischen Fakten und Konstrukten, wie zum Beispiel der Flachen Erde, zu unterscheiden?
Für mich ist es so, dass jemand, der grundlegende Tatsachen nicht anerkennt, etwa dass die Erde nicht flach ist, nicht nur 6000 Jahre alt ist oder, es eventuell eine andere Gotteslehre gibt, dass ein Apfel keine Birne ist usw. die Grundpfeiler unseres Wissens halt auf den Kopf stellt. Solche Personen scheinen keine natürlichen Grenzen der Vernunft zu besitzen und agieren oft aus irrationalen Gründen heraus, was halt schon in der heutigen Welt merkwürdig ist, mit all dem wissen was uns zur Verfügung steht.
Wow, sehr ausführlich und gleich vorweg, ja du hast mir definitiv mit deiner Antwort geholfen, eine weitere Perspektive für meine gesuchte Erkenntnis zu bekommen. Danke hierfür. Mir gefällt es, dass du sachlich die Voraussetzungen die ich formuliert habe, einzeln bewertet hast. Zeigt mir, dass du dir wirklich Gedanken gemacht hast.
Perfekt! Ich teile deine Sichtweise, und sie stützt meine Vermutung. Es geht mir im Kern um die Verbindung zwischen Glauben und Beliebigkeit, die entstehen kann, wenn natürliche Grenzmechanismen außer Kraft gesetzt werden. Im Rahmen der Religionsgeschichte und Religionspsychologie versuche ich herauszufinden, welche Impulse für blindes Vertrauen und das Aufheben dieser natürlichen Grenzen verantwortlich sind. Kulturelle Gründe oder vererbte Traditionen erscheinen mir in diesem Zusammenhang zu banal irgendwie.
Auf jedenfall schon mal Danke, habe jetzt bisschen was zum Nachdenken.