Entspringt Glaube an Gott dem Eindruck, dass das Diesseitige von der wahren Wirklichkeit trennt?

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5 Stimmen

3 Antworten

Andere Antwort

Nicht das "Diesseitige" trennt, wir selbst trennen uns von der Wirklichkeit - durch unsere Vorstellungen und Erwartungen.

Nein

Zunächst muss man verstehen, dass die uns bekannten Religionen alle im Rahmen einer kulturellen Evolution entstanden sind.

Der Glauben an "den einen Gott des klassischen Monotheismus" kam erst sehr, sehr spät dazu.

Wenn man das absolute Minimum an menschlicher Evolution nimmt, reden wir von 100.000 Jahren (die Schätzungen gehen bis zu einer Millionen Jahre).

Der Gott des Monotheismus ist erst ca. 3.000 Jahre alt, das sind maximal 3% der Evolution des Menschen.

Wer also behauptet, dass es "zu allen Zeiten" den Glauben an Gott gegeben habe, der irrt massiv, er liegt zu mindestens 97% falsch. Gott ist ein sehr neuzeitliches Phänomen, wenn man die Geschichte der Menschheit als Maßstab nimmt.

Und auch Gott selbst ist evolviert, der Glauben an ihn unterlag und unterliegt einem kulturellen Wandel. Jede monotheistisch orientierte Kultur hat eine andere Vorstellung, deswegen ist der Glauben stets kulturspezifisch.

Wissenschaft ist weltweit gleich, die Gesetze der Optik gelten überall. Daher ist die Wissenschaft nur marginal kulturabhängig (ganz kann man einen Einfluss der Kultur aber nicht bestreiten). Der Glauben an Gott ist nicht nur extrem abhängig von der Kultur, sondern ist sogar individuell verschieden, teils massiv.

Pascal Boyer, Scott Atran u. a. m., Anthropologen und Psychologen, können ein immer besseres Bild der kulturspezifischen Entwicklung der Religion zeichnen, obwohl kulturelle Zeugnisse nicht weiter als ca. 20.000 Jahre zurückreichen.

Zu Anfang nahm man an, dass es ein Ergebnis der Evolution sei, dass wir Religionen und einen Glauben an Gott entwickelt haben.

Das ist wohl eine falsche Annahme, weder der Glauben an Gott noch Religionen sind im Rahmen der biologischen Evolution entstanden. Vielmehr handelt es sich um Nebeneffekte der biologischen Evolution: Religion ist ein emergentes Phänomen.

Kulturell kann man kurz folgende Chronologie zeichnen, wobei es kulturelle Differenzen gibt:

Animismus, Geisterglauben, Ahnenverehrung, Polytheismus, Henotheismus, Monotheismus.

Der Glauben an Geister — also Wesen, die zwar ein menschliches/tierisches Bewusstsein besitzen, aber keinen physischen Körper — ist ein Nebeneffekt unserer angeborenen Ontologie. Bereits Neugeborene ab dem ersten Tag unterscheiden zwischen leblosen Objekten und intentionalen Agenten.

Dieser Unterschied ist im Laufe unserer Stammesgeschichte entstanden und war überlebenswichtig. Leblose Objekte reagieren, intentionale Agenten agieren nach eigenen Willen. Einige dieser Agenten sind lebensgefährlich, die meisten größeren Raubtiere sind dem Menschen an Schnelligkeit, Stärke und natürlicher Bewaffnung deutlich überlegen.

Ohne Werkzeuge (Waffen) geht eine direkte Konfrontation zwischen einem Menschen und einem der größeren Raubtiere nahezu immer schlecht für den Menschen aus, meistens tödlich.

Unsere Vorfahren mussten also Angreifer, denen sie zur Beute werden konnten, möglichst frühzeitig erkennen.

Wenn man die physische Präsenz eines Raubtiers wahrnahm war es meist schon zu spät, dann war man praktisch tot, falls man alleine war. Man musste also intentionale Agenten anhand von Spuren und Indizien vorhersagen können. Das Wirken intentionaler Agenten muss also unabhängig von ihrer physischen Präsenz wahrgenommen werden.

Daraus hat sich die Annahme entwickelt, dass geistige Präsenz und physische Präsenz zwei verschiedene Dinge sind. Wir sind sozusagen "geborene Substanzdualisten", wir nehmen an, dass Geist und Materie zwei voneinander unabhängige, substanziell verschiedene Dinge sind.

Wir sind beim Entdecken eines intentionalen Agenten auf "überempfindlich" eingestellt. Lieber hundertmal fälschlich angenommen, dass ein intentionaler Agent präsent ist, als einmal zu übersehen, dass einer da ist. Ersteres führt zu mehr Vorsicht und das ist kein Nachteil, letzteres kann sehr schnell tödlich enden. Wir sehen buchstäblich überall Gespenster bzw. sind darauf vorbereitet.

Zudem hat sich unser Denken hauptsächlich in sozialen Bezügen entwickelt. Wer nur einen Hammer hat, für den sieht die ganze Welt aus wie ein Nagel. Wer in erster Linie in sozialen Geflechten denkt, für den ist die ganze Welt ein soziales Geflecht.

Wir projizieren unseren eigenen Verstand in die Welt, und was wir sehen, ist eine Reflektion dieses Verstands. Dies nennt man in der Psychologie Mentalisierung. Das ist der Grund, warum wir mit Autos oder Computern schimpfen: Wir behandeln sie wie soziale Wesen, unbewusst, unwillkürlich.

Wir sind intelligent genug, um das Wirken intentionaler Agenten in der Natur zu erkennen, aber nicht intelligent genug, den falschen Alarm von einem echten zu unterscheiden. Wir sind blind für unser eigene Projektion, aber wir sehen das, was wir projizieren.

Aus dem Glauben an Geister entwickelte sich der Glauben an ein Überleben von Menschen nach dem Tode. Tote Menschen können uns in Träumen erscheinen, woher wollen wir wissen, ob das nicht real ist?

Daraus entwickelte sich die Ahnenverehrung, und daraus wiederum der Glauben an Götter. Götter waren früher Teile der Natur, Naturkräfte, denen man persönliche Eigenschaften gab. Das Meer ist launisch — das ist eine Zuschreibung einer menschlich-sozialen Eigenschaft zu einer an sich unpersönlichen Naturkraft.

Diese Mentalisierung der Natur führt zu den Göttern, die dann immer abstrakter wurden, weil unser Wissen über die Welt abstrakter wurde. Früher galt eine Sonnenfinsternis als eine Laune der Götter, bis Thales von Milet herausfand, dass diese aus einem mechanisch ablaufenden Regelwerk der Natur entstehen.

Aus diesem Polytheismus entstand wiederum der Henotheismus: Es gibt viele Götter, aber einen Hauptgott. Die Idee eines schöpfenden Gottes, der immer weiblich war — Frauen sind die Schöpfer des Lebens — verlor sich mit der Erstarkung des Patriarchats und ging schließlich auf einen männlichen Gott über.

Der erste Versuch, einen Gott zu monopolisieren, und damit die Macht der Priester zu erlangen, scheiterte mit dem Pharao Echnaton. Tausend Jahre später erbten die Israeliten diese Idee, Gott zu monopolisieren. Damit konnte man die Macht besser in einem Herrscher bündeln und instrumentalisieren.

Während im Polytheismus jeder die Zeichen der Natur als Zeichen der Götter selber deuten konnte und dazu eventuell den Rat eines Priesters brauchte, wurde der Gott des Monotheismus zu einem entfernten, abstrakten, unsichtbaren Gott: Um diesen zu erkennen brauchte man den Glauben, nicht die Erfahrung der Natur.

Man musste also den Priestern glauben und vertrauen, man war abhängig von ihnen, das gab ihnen Macht. Priester wurden so zu Mittlern zu Gott, und wer denkt, dass diese Macht nicht auch zu Machtmissbrauch führt und die Mächtigen verdirbt, den muss man naiv, dumm und leichtgläubig schimpfen. 

Der sexuelle Missbrauch von Kindern ist als Beweis nur für sehr naive Menschen nicht ausreichend, wobei der sexuelle Missbrauch nur die Spitze des Eisbergs ist: Priester verführen die Kinder zu einem Glauben an genau den Gott, der ihnen die Macht gibt, die sie haben.

Das führt nur bei einer Minderheit auch zur sexuellen Ausbeutung, aber bei der Mehrheit zu einer finanziellen Ausbeutung und Abhängigkeit — und man weiß nicht, was schlimmer ist. Immerhin durchschauen nur die Wenigsten noch heute, dass Gott so konstruiert wurde, den Priestern Macht und Deutungshoheit zu geben. So wurde die katholische Kirche zur reichsten NGO des Planeten.

Einige sind immerhin schlau genug, sich die Deutungshoheit zurückzuholen, aber nicht schlau genug, um sich von der frühkindlichen Indoktrination zu lösen. Das ist eine Herkulesaufgabe die den mental Starken vorbehalten ist — den Atheisten, denen es gelingt, sich aus den Fängen des Glaubens zu befreien.

Andere Antwort

Der Glaube entspringt der Offenbarung Gottes durch Propheten an die Menschen

Woher ich das weiß:Hobby – Paradenker