Habe die Krankheit auch seit 10 Jahren.
Wenn deine Mutter sagt, dass man es nicht sieht, sieht man es vermutlich auch nicht. Wir mit Trichotillomanie machen uns gerne verrückt und sehen kahle Stellen, wo keine sind, steigern uns da etwas rein, ich kenne das.
Trichotillomanie ist eine ungesunde Methode mit Stress umzugehen. Andere Leute entspannen sich, machen Sport, wackeln mit dem Knie auf und ab, knibbeln an den Fingernägeln, beißen auf der Unterlippe. Wir reißen uns die Haare aus. Alles Methoden, um Stress zu bewältigen. Nur ist unsere nicht besonders gut für uns.
Trichotillomanie ist außerdem eine Impulskontrollstörung im Hirn. Das Gehirn gesunder Menschen sendet keinen Impuls an die Hand, sich Haare auszureißen. Unseres schon. Wenn wir das immer wieder machen, schleift sich das so richtig schön ein. Es entstehen Bahnungen im Hirn, die Nervenbahnen, die diesen Impuls tragen, werden dicker je öfter wir es tun, was dazu führt, dass wir es noch leichter und noch öfter tun und es noch schwieriger wird wieder aufzuhören.
Mir hilft momentan am besten den Impuls umzuleiten. In einer Studie wurde herausgefunden, dass den Impuls zu unterdrücken nicht funktioniert bei Trichotillomanie. Stattdessen ist der Ansatz die Nervenbahnung quasi ''totzulegen'', indem man eine Ersatzhandlung macht und den Impuls somit umleitet. Du bekommst den Impuls, dir Haare auszureißen. Dann musst du bewusst begleiten. Such dir eine ähnliche Bewegung in eine ähnliche Richtung, aber fass deine Haare/Augebrauen nicht an. Ich knete mein Ohrläppchen, statt meine Haare anzufassen und auszureißen. Anschließend schnipse ich dann, was quasi das Reißen ersetzt und die Handlung für mich beendet.
Das ist ziemlich anstrengend und erfordert ganz schön viel bewusste Aufmerksamkeit über viele Monate und Jahre hinweg, aber ist eine Möglichkeit die Krankheit zumindest etwas einzudämmen. Außerdem hilft mir mit Knete zu kneten, eine Mütze aufzusetzen (falls du dir Kopfhaar ausreißt), ein Gummiband/Haargummi um den Arm zu machen und immer daran zu zupfen, statt an meinen Haaren. Oder die Hände irgendwie zu beschäftigen. Mit Sticken, malen, häkeln, nähen, irgendwas.
Für den Anfang ist erstmal wichtig, dir bewusst zu werden, dass du dir gerade überhaupt Haare ausreißt; dass du es nicht immer unterbewusst machst und es immer mehr zum Automatismus wird. Versuch mal in Situationen, in denen du das immer machst, dich in die Gegenwart zurück zu rufen und checke, ob du gerade reißt. Dazu reicht ja ein einfacher Gedanke oder die Frage ''reiße ich gerade''. Du kannst auch ein Reißtagebuch führen, wo du immer reinschreibst, wann du wie lange in welcher Situation gerissen hast. Daran siehst du dann auch, welche Methoden für dich funktionieren und welche eher nicht. Wenn du dir jedes Mal bewusst wirst, dass du gerade reißt, kannst du etwas unternehmen (Haargummi, Knete/sonstiges Spielzeug, was die Hände beschäftigt hält, Impuls umlenken).
Eine Therapie wird dir helfen. Bei Trichotillomanie wird meistens Verhaltenstherapie gemacht. Da lernst du Methoden mit deiner Krankheit umzugehen, bekommst u.U. Beratung über mögliche Medikation usw. Mir hat meine Therapie damals sehr geholfen.
Ich habe eine ziemlich starke Veranlagung für Depression, war schon zweimal schwer depressiv. Mir ist aufgefallen, dass ich immer dann den besonders starken Impuls habe zu reißen, wenn ich unter Stress stehe oder mir mal wieder Sorgen mache und grüble. Dann ist es wichtig das Grübeln versuchen abzustellen. Etwas anderes zu tun, sich abzulenken, sich klarzumachen, dass einem das Grübeln nicht hilft.
Um generell entspannter zu sein hilft Sport. Weil beim Sport Glückshormone ausgeschüttet werden, hilft Sport sowohl kurz- als auch langfristig gegen Depressionen, ist nachgewiesen. Mir helfen zusätzlich noch Entspannungsübungen. Meditation, autogenes Training, Jacobsen, Yoga, Alexandertechnik. Generell entspannter zu werden wird deinen Drang zu reißen auch vermindern, weil du dann nicht mehr so viel und stark unter Strom stehst.
Am wichtigsten ist aber Psychotherapie. Frag deine Mutter mal. Ansonsten kannst du auch zu deinem Hausarzt gehen und ihm die Situation schildern, der dürfte dich dann überweisen. Eine andere Möglichkeit ist ein sozialpsychiatrischer Dienst, die vermitteln auch Plätze in Kliniken, beraten dich usw. Vielleicht kann dir ein/e Freundin/Freund helfen oder deine Mutter?
Schildere denen mal deine Situation. Und schäm dich nicht für die Krankheit. Die gehört halt zu uns wie andere an Fingernägeln kauen. Sie ist schwierig zu beseitigen, aber man kann das schaffen. Und es haben diese Krankheit viel mehr Menschen als man immer so glaubt. Ich allein kenne zwei weitere Menschen persönlich, die sie auch haben.