Wieso ist das Grundgesetz so progressiv?
Aus heutiger Sicht wirkt das Grundgesetz natürlich nicht mehr progressiv, sondern die Werte sind zum Großteil gesellschaftlich anerkannt. In der Zeit in der es erstellt wurde, sah das aber meines Wissens anders aus.
Werte, wie Gleichheit zwischen Mann und Frau standen zu diesem Zeitpunkt ja im grundgesetz, waren aber der facto ja alles andere als gegeben, da in den Anfangsjahren rechtlich immens vom Mann abhängig waren (ausüben des Berufs, Kontoeröffnung, etc. benötigte Zustimmung des Mannes) und Sachen wie Vergewaltigung in der Ehe war strafrei und würde als legitimer Bestandteil der Ehe angesehen. Das bezieht sich nicht nur auf die konservativ dominierenden Kräfte in der Anfangszeit der bundesrepublick, sondern auch auf die Alliierten. Ich kenne die Rechtslage in Ländern wie Großbritannien oder der USA zu diesem Zeitpunkt nicht, aber ich gehe mal stark davon aus, dass die Länder ebenfalls weit von einer der facto Gleichstellung entfernt sind.
Für mich wirkt es so als gäbe es also nur (aus heutiger Sicht) konservative Akteure, die auf das Grundgesetz gewirkt haben. Wie kann es also sein, dass das Grundgesetz so (besonders aus damaliger sicht) progressiv war?
Mir fällt Grad noch ne Frage ein: Wieso hat das Bundesverfassungsgericht (gegründet 1951 meines Wissens nach) die oben genannten Gesetze nicht als verfassungswidrig erklärt, da sie ja in vielen Punkten direkt dem Grundgesetz widersprachen?
5 Antworten
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit lautet das Motto der Französischen Revolution, in der die absolute Monarchie zu Fall gebracht und die Republik gegründet wurde. Wir schreiben das Jahr 1798 und befinden uns also mitten in der Aufklärung. Die Welt soll rational und wissenschaftlich erfasst werden. Es handelt sich um eine Fortführung des Humanismus, der im 15. Jh. seinen Ausgang nahm und sich vom theozentrischen Weltbild abwandte. Der Mensch steht jetzt im Mittelpunkt des Interesses und nicht mehr ein übergrosser Gott, der die Menschen kleinhält.
Das war damals also schon progressiv und ist es interessanterweise heute immer noch.
Berufstätigkeit und Girokontoeröffnung !!
Ehefrauen durften berufstätig sein, wenn es mit ihren Hausfrauen- und Kinderpflichten vereinbar war. Das wars leider selten, es gab keinen vollautomatischen Haushalt wie heute. Girokonten, die es ungefähr ab1965 gab, durften nur Leute eröffnen, die auch Einnahmen hatten, also keine Hausfrauen oder Studenten, etc. Wozu auch, es kam ja nichts rein und brauchte auch nichts abgebucht zu werden. Das war aber kein Gesetz, sondern die Banken wollten es so. War eine Frau berufstätig, konnte und musste sie sogar ein Girokonto haben, da brauchte sie auch keine Zustimmung des Mannes. Sparkonten konnten dafür alle Menschen haben. Meine Oma hat für mich in den 60er Jahren ein Sparkonto angelegt, da brauchte sie keine Zustimmung, weder von ihrem Mann noch meinem Vater.
Dass die Gleichberechtigung erst später in das Bürgerliche Gesetzbuch eingetragen wurde, hat etwas mit der Saumseligkeit des Herrn Adenauer zu tun. Aber nur, weil diese Eintragung erst später stattfand, galten die Grundgesetze trotzdem. Denn das Grundgesetz steht nunmal über allen anderen Gesetzen. Beim Grundgesetz wurde vereinbart, dass alle Gesetze bezüglich der Gleichberechtigung, die bis 31.03.1953 nicht gelöscht oder angepasst wurden, ihre Gültigkeit verlieren.
Das Grundgesetz ist verfasst worden mit dem Grundsatz die Fehler der Weimarer Verfassung auszumerzen und Grundrechte unumstößlich zu verankern. Es ist klar mit dem Verweis verfasst worden die NS-Diktatur hinter sich zu lassen und auch dass es nicht mehr möglich sein soll die selben Schlupflöcher zu nutzen. So z.B. ist die Machtfülle des Bundespräsidenten stark beschnitten worden und der Föderalismus und Parlamentarismus hervor gehoben. Im Gegensatz zu Monarchien und Präsidialsystemen sollte es keine all zu hohe Machtfülle einzelnen Personen verleihen. Wobei auch schon die Weimarer Verfassung schon gerade zu revolutionär war. Aus diesem Grund hat das Grundgesetz, da es neu aufgesetzt wurde Mitte des 20 Jahrhunderts wohl auch weniger Altlasten.
Es gibt wohl kaum eine andere Nation welche neue Verfassungen verabschieden musste nach zuvor totalen Niederlagen in Kriegen. Die Passage der Gleichstellung zwischen Mann und Frau war aber zu seiner Zeit auch sehr kontrovers geführt worden in der Diskussion.
Weil das keine Verfassung der Souveränität ist. Hätten wir eine richtige Verfassung, dann würde diese einzig und allein von dem Deutschen Einheitsvolk ausgehen und nicht den Allierten.
Die Alliierten haben die Ausarbeitung der Verfassung der westdeutschen Länder in der Tat veranlasst. Als Inhaber der obersten Staatsgewalt mussten sie das ja auch. Aber was drinsteht, stammt vom Parlamentarischen Rat, und der griff dabei ausgiebig auf die Weimarer und teilweise sogar auf die Frankfurter Verfassung zurück, was man durch Textvergleich leicht feststellen kann. Inhaltliche Unterschiede ergaben sich hauptsächlich durch die Erfahrungen mit der Nazi-Diktatur.
Auch der Name "Grundgesetz" geht auf einen Wunsch des Parlamentarischen Rats zurück. In den Frankfurter Dokumenten hatten die Alliierten ausdrücklich von einer "Verfassung" gesprochen, und die haben sie ja dann auch bekommen.
Ich denke, man muss die Verfassung vor dem Hintergrund des 3. Reiches verstehen! Menschenrechte waren im Nationalsozialismus nicht vorhanden! Die Missstände, die Du erwähnt hast, sind natürlich nicht zu verstehen! Wie gut, dass wir auch ohne rechtliche Rahmenbedingungen eine Weiterentwicklung gefunden haben, die langsam auch diese Widersprüche entsorgen können.