Wie ist es als Rettungs- oder Notfallsani zu arbeiten?

3 Antworten

Es gibt, wir bei fast allen Dingen zwei Seiten:

-zum einen gibt es definitiv Berufe, in denen man für weniger Geld mehr und härter arbeitet. Durch den 24h- oder 12h- Dienst hat man mehr und öfter frei, als Menschen mit "normalen(also Tagesdienst-)Berufen". Das Gehalt ist wirklich in Ordnung (insbesondere beziehe ich mich hier auf den RS, der nach 3,5 Monaten Lehrgang mit etwas Glück beim Arbeitsplatz mehr netto als mancher Facharbeiter mit Berufsausbildung hat), sowohl RS und RA als auch NFS. Man ist sehr "unabhängig", kann seine Arbeit praktisch selbst gestalten, vieles "nebenher" erledigen, also Einkäufe, Besprechungen etc. Wenn es ruhig bleibt, hast du praktisch mit Freizeit dein Geld verdient. Wenn in den ersten 3 Stunden deiner Schicht kein Einsatz anfällt, kannst du ein lukullisches Frühstück veranstalten und wirst dafür bezahlt. Es gibt immer mehr technische Einrichtungen, die uns das arbeiten erleichtern: elektrohydraulische Trage, elektrischer Treppenstuhl, Reanimationsgeräte etc, was das betrifft, wird an der Gesundherhaltung der Mitarbeiter gearbeitet. Hin und wieder gibt es noch wirklich dankbare und freundliche Patienten, die mitarbeiten, nicht rumzicken, sich beraten lassen, sich nach dem Einsatz bedanken, das sind die Einsätze, für die man (selbst wenn es kein dramatischer Einsatz mit zig angewandten Kompetenzen war) den Beruf macht. Die Kollegialität ist im Rettungsdienst und der Feuerwehr einfach immer noch sehr groß. Man stellt eine große Familie dar und verbringt wirklich viel Zeit zusammen.

-zum anderen gibt es Faktoren, die definitiv nerven und wegen denen derzeit viele Kollegen den Rettungsdienst an den Nagel hängen: das Einsatzaufkommen steigt rasant an (in meiner Stadt zum Beispiel innerhalb eines Jahres ein plus von 5000 Fahrten), während die Anzahl der Rettungsmittel nur alle fünf Jahre verändert werden kann (Periode, in der der sog. Rettungsdienstbedarfsplan aufgestellt wird, und dementsprechend neu geplant/ausgeschrieben wird). Parallel dazu sinkt der Anteil der Einsätze, die mit echter Notfallmedizin zu tun haben, in denen du dein erlerntes Wissen anwenden kannst und etwas bewirkst, rapide. Der Anteil liegt, einer von mir geführten eigenen Statistik nach, bei etwa zehn Prozent (die Erfahrungen der Kollegen liegen da im ähnlichen Bereich). Immer öfter hört man, das die Probleme seit Tagen oder Wochen bestehen und der einzige Grund, warum man uns angerufen hat, ist der: "Wir haben kein Auto", "mit euch kommen wir schneller dran" und ähnlicher Bullshit. Und das zu jeder Tages- und Nachtzeit. Es wird sich nicht selbst geholfen. Der Hausarzt hat Urlaub? Vertretung aufsuchen oder Rettungsdienst rufen?... Sonntag Morgen Kopfschmerzen (seit Freitag). Den hausärztlichen Notdienst anrufen oder den Rettungsdienst rufen (und was von Schlaganfall labern)?... Kumpel ist besoffen. Mit drei Mann nach Hause schleppen oder den Rettungsdienst rufen?... Offensichtlich obdachloser Mensch sitzt entspannt und nicht gefährdet auf einer Bank. Hingehen und Hilfe anbieten oder Rettungsdienst rufen? Bauchschmerzen seit drei Tagen. Den hausärztlichen Notdienst aufsuchen/selber ins Krankenhaus fahren oder Sonntag Abend um 22 Uhr den Rettungsdienst rufen und behaupten, man wüsste nicht, wie man google bedient um ein Krankenhaus zu suchen?... Übrigens alles echte Highlights meiner letzten 12h- Dienst- Blocks. Solche Dinge steigern eine Frustration und resultieren auch irgendwo in einer Abnahme der Versorgungsqualität bei echten Notfallpatienten, weil man die Abläufe nicht oft genug macht, die Geräte nicht oft genug bedient und eine gewisse Fixierung/Betriebsblindheit entsteht. Man wird leider immer noch, sowohl von Fachpersonal (niedergelassenen Ärzten, deren Personal, Pflegekräften etc) als auch von Laien als eine Art Hilfsarbeiter und Befehlsempfänger angesehen: "Sie müssen den mitnehmen" (Nein, muss und DARF ich auch nicht), "Ich fahre nicht mit, ich weiß besser als Sie (mit zig Jahren Berufserfahrung), was meine Thoraxschmerzen bedeuten" (aber antanzen durften wir trotzdem). "Ich gehen wieder in meine Wohnung zurück", "Nein, sie haben eine sehr gefährliche Menge an Rauchgasen eingeatmet", "Ach Sie haben ja keine Ahnung!". Die Liste an gehörten stupiden Situationen und Aussagen ist nach 12 Jahren Rettungsdienst echt lang. Manchmal darfst du regelrechte Vorträge und Diskussionen an Einsatzstellen abhalten, weil das was wir sagen, GRUNDSÄTZLICH falsch ist, wir aber eine Sorgfaltspflicht und Hilfeleistungspflicht haben. Die Gewalt gegenüber Einsatzkräften ist in den letzten Jahren auch ein zunehmendes Problem geworden, ich kenne keinen einzigen Kollegen, der nicht schon mindestens ein Mal Gewalt (in jedweder Form, auch verbal) erlitten hat. Anschreien, beschimpfen sind die fast täglichen Erfahrungen, es geht über anspucken und anpissen weiter bis hin zur Anwendung von Handgreiflichkeiten oder sogar dem vorhalten von Waffen (sehr selten). Die meiner Meinung nach absolute Krönung war, dass ein Kollege von einer Seniorin absichtlich (deutliche verbale Ankündigung) angefahren und zwischen Rettungswagen und dessen Fahrertür eingequetscht wurde, weil der Rettungswagen der Dame im Weg stand. Rettungswagen werden versucht selbst umzuparken, zugeparkt, Ausrüstungsgegenstände daraus gestohlen, beschmiert, angepisst, etc. Ich selbst durfte aus einer Patientenwohnung beobachten, wie ein Vater einen Helm aus unserem Rettungswagen nahm und ihn seinem Kind aufsetzte, weil das Kind "ja immer schon mal sonen Feuerwehrhelm tragen wollte". Was du bedenken musst: die Karriere im Rettungsdienst ist, mit ganz wenigen Ausnahmen, eher eine Sackgasse. Als Mitarbeiter im Rettungsdienst bleibst du auch ein solcher. Altersstellen und Aufstiegschancen sind sehr dünn gesät und beschränken sich für reine Rettunsgdienstler auf Dozentenstellen in Fachschulen oder wenige Verwaltungsposten.

Man kann Glück haben und eine ruhige Rettungswache finden (vermutlich eher auf dem Land) oder Pech haben und im letzte Loch einer Großstadt zehn Fahrten in zwölf Stunden machen und dabei den Rettungswagen mit Graffiti beschmiert bekommen.

Wie du siehst, gibt es positive und negative Seiten am Rettungsdienst. Wenn du innerlich ausgeglichen bist und über eine hohe Frustrationstoleranz verfügst, kannst du im Rettungsdienst durchaus eine angenehme und lukrative Beschäftigung finden.

Mit der Verantwortung komme ich sehr gut zu Recht, da ich mich strikt an Verfahrensanweisungen halte und meinem ärztlichen Leiter und Amtsleiter nicht zu wieder handele. Solange man sich an Dienstanweisungen, Verfahrensanweisungen, SAAs hält, alle Maßnahmen sorgfältig ausführt und dokumentiert, ist man relativ sicher. Damit möchte ich nicht sagen, dass ich glaube perfekt zu arbeiten (erst gestern habe ich vergessen bei zwei Patienten in Folge einen Vitalwert, zum Glück nur die Temperatur, zu erheben), das wäre töricht. Selbstverständlich passieren Fehler, das ist unvermeidbar, wenn Menschen mit Menschen arbeiten, aber wenn man diese Fehler rekapituliert, offen damit umgeht, die Verantwortung übernimmt, kann man daraus lernen. Man ist im Rettungsdienst nie allein und beide Kollegen auf einem Auto müssen immer beide Augen offen haben. In kritischen Situationen (Intubation, Medikamentengabe, generell invasiven Maßnahmen) wird vom nicht ausführenden Kollegen überwacht und dieser steht in der Pflicht bei Fehlern einzuschreiten. Ein Beispiel: in einer Übung letzte Woche in der Rettungsdienstschule habe ich dem "Patienten" 5ml Urapidil (ein Medikament zur Behandlung des akuten Bluthochdruckes) verabreicht. Die in der SAA angebende und erlaubte Dosis ist 5mg. Also ein klassischer Interpretationsfehler. Zur Aufklärung: in der 5ml Ampulle Urapidil sind 25mg Wirkstoff, das heißt, ich habe dem Patienten fünf mal mehr Wirkstoff verabreicht, als in der ersten Gabe erlaubt. Das Fazit war: der Patient hatte kaum noch Blutdruck und wurde bewusstlos. Mein Kollege hätte mir die Maßnahme verboten, wäre er da gewesen. Ich habe ihn aber den Transport vorbereiten lassen. Klassischer Crew- Ressource- Management- Fehler, aus dem eine Patientenschädigung resultierte. DER Fehler passiert mir nicht noch mal. Du lernst in der Ausbildung, mit der Verantwortung umzugehen und musst dich immer wieder selbst reflektieren und alle Maßnahmen reevaluieren. Tragen wirst du die Verantwortung aber jede Schicht, damit muss man zu Recht kommen.

Diesen Bericht bitte nicht als allgemeingültig ansehen. Er stellt einen rein subjektiven Erfahrungsbericht dar und andere Kollegen hier im Forum können gänzlich andere Erfahrungen haben und andere Pro-/Contra- Argumente liefern.

Woher ich das weiß:Berufserfahrung
Von Experte iwaniwanowitsch bestätigt

Hi,

wie iwaniwanowitsch schon festgestellt hat: die Arbeitswelt Rettungsdienst ist recht speziell und man kann nicht verschweigen, dass es auch hier erhebliche Schattenseiten gibt...

Im Grunde genommen ist es ein Arbeitsleben zwischen Extremen - Abwechslung, Herausforderungen, Verantwortung, Freude am Beruf einerseits, andererseits Frustration, Überlastung, Hilflosigkeit, Unvorhersehbarkeit und schwierige Entscheidungen.

Man kann relativ niedrigschwellig Verantwortung übernehmen, man kann sich durchaus in vielen Bereichen fortbilden und eigene "Spezialgebiete" finden, man ist in aller Regel sein eigener Chef - und man hat viel mit unterschiedlichsten Menschen zu tun.

Arbeitszeit

Eine 48-Stunden-Woche, 12-Stunden-Schichten (seltener: 24-Stunden-Schichten), Wochenend-, Feiertags- und Nachtarbeit gehören genauso dazu wie die Wechselschichtarbeit par excellence und, zumindest in der Notfallrettung, ein nicht planbarer Feierabend.

Wenn man mit seinem "Lebensmodell" gut dazu passt und nicht unbedingt auf freie Wochenenden angewiesen ist, kann man trotz allem eine recht gute Work-Life-Balance haben.

Bezahlung

Grundsätzlich: der Rettungsdienstler nagt nicht am Hungertuch und die üblichen Tarifverträge der Hilfsorganisationen und des öffentlichen Dienstes sind passabel.

Der Rettungssanitäter verdient - gemessen an Verantwortung und Ausbildungsdauer - als "Hilfsarbeiter" durchaus sehr gut; beim Notfallsanitäter ist der Verdienst mittlerweile nicht mehr unbedingt leistungsgerecht (wenn auch nicht schlecht).

Wachenleben

Wahrscheinlich ist das der größte Unterschied zu vielen anderen Berufsfeldern: Kollegialität wird groß geschrieben, nicht selten entstehen gute Freundschaften auf der Arbeit - was nicht verwunderlich ist, wenn man oftmals mehr Zeit auf der Wache als Zuhause verbringt.

Man "lebt" zu einem erheblichen Teil auf der Wache und das Arbeitsklima ist - mal mit einem typischen 9-to-5-Bürojob verglichen - gänzlich anders.

Einsätze

"Rettungsdienst könnte so schön sein, wenn es keine Einsätze gäbe"

Das ist zwar durchaus übertrieben, hat aber einen wahren Kern: der Rettungsdienst wird oft - und das wissentlich und willentlich - als Taxi- oder Hausarzt-Ersatz missbraucht.

Die Menschen werden, zumindest gefühlt, immer hilfloser, die Gesundheitskompetenz nimmt kontinuierlich ab und die Hemmschwelle, den Rettungsdienst bei Banalitäten zu rufen, sinkt. Die Folge ist, dass durchaus Tage in der Notfallrettung vergehen, wo man nicht einen venösen Zugang gelegt hat, aber fünf Beratungsgespräche (die eher einem "Life-Coaching" als einer medizinischen Beratung entsprechen) geführt hat, für die der Rettungsdienst nicht bezahlt wird. Und das frustriert.

Und wie kommt man mit der Verantwortung klar ?

Im Endeffekt auch so, wie der geprüfte Betriebswirt in einer Leitungsposition mit der Verantwortung klar kommt: man wurde solide ausgebildet, in seinem Fach geprüft und hat sich freiwillig dafür entschieden.

wobei mich da der Notfallsani etwas abschreckt, da die Verantwortung höher ist.

Nun, der Notfallsanitäter hat im Vergleich zum Rettungssanitäter dafür auch eine wesentlich längere und umfassendere Ausbildung genossen (3 Jahre vs. 3 Monate) - man ist also auch ganz klar dafür ausgebildet und qualifiziert worden, diese Verantwortung zu übernehmen.

Fazit

Man kann im Rettungsdienst trotz teils widriger Umstände glücklich werden - und bei den meisten, die sich entscheiden, im Rettungsdienst zu bleiben, ist das auch der Fall.

"Rettungsdienstromatik" halte ich für Fehl am Platz - meine Entscheidung, in den Rettungsdienst zu gehen, habe ich aber auch nach Jahren nicht bereut.

LG

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Notfallsanitäter, Blogger, Medizinstudent

Ist nicht schön , Rettungsleute haben oft mit dem Wust hinter dem Bahnhof zu tun weil es Leute gibt die wegen denen den Notruf wählen.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung