Wie beeinflusst ein Sprachwechsel unser Denken (gute Frage)?

Das Ergebnis basiert auf 6 Abstimmungen

Sapir - Whorf - Theorie 83%
Wilhelm von Humboldt - Theorie 17%

2 Antworten

Sapir - Whorf - Theorie

Irgendwie sehe ich da Ursache und Wirkung vertauscht..

Nach Humboldt ist Sprache nicht nur ein Mittel der Kommunikation, sondern auch ein Ausdruck des Geistes und der Kultur eines Volkes. Aber nur, weil ich eine Sprache erlerne, integriere ich deshalb doch noch nicht die kulturellen Konzepte des zugehörigen Landes. Eher ist es umgekehrt: Erst, wenn ich mich in diese fremde Kultur integriere, verstehe ich ihre andersartigen kulturellen Konzepte -und das bewirkt dann auch, dass ich für diese nach passenden sprachlichen Ausdrucksformen suchen werde.

Nach Sapir-Whorf ist unser Denken durch die Beschränkungen unserer Sprache ebenfall beschränkt: Wir können nur das denken, was durch unsere Sprache ausdrückbar ist. Aber auch hier gilt meines Erachtens: Allein durch das Erlernen einer anderen Sprache erweitere ich noch nicht mein Denken. Mein sprachlicher Werkzeugkasten wird zwar größer, aber ob ich ihn auch nutze (oder eben doch nur einen 1:1 Ersatz meines bisherigen Vokabulars weiterverwende) hängt wohl eher davon ab, ob und wie stark ich mich in die fremdländische Kultur integriere.

Denkt man das konsequent zu Ende, dann haben beide Thesen teilweise (un)recht. Humboldt, weil er die Beziehung zwischen Sprache und kultureller Identität betont: Ich kann mich nicht in eine fremde Kultur integrieren, wenn ich nicht auch das verstehen lerne, was diese Kultur in ihrer Sprache alles auszudrücken vermag. Dann ist es aber eben wieder erst diese Integrationsleistung, die mich verändert -und das wirkt sich natürlich (unter anderem!) dann auch darauf aus, dass ich dieses kulturell Neue auch sprachlich artikulieren kann. (Und nicht umgekehrt..)

Und Sapir-Whorf hat insofern recht, dass das, was unsere Sprache begrifflich ausdrücken kann, natürlich auch jene "innere Sprache" betrifft, mit der wir in unserem Kopf arbeiten. Das heißt, die Entitäten unserer Sprache sind auch die Entitäten unseres Denkens. Aber auch hier gilt meines Erachtens die Ursache-Wirkungskette, dass erst die kulturelle Integration dazu führt, jene neuen Kategorien zu verstehen und zu denken, für die man dann in Konsequenz auch Stück um Stück zusätzliche sprachliche Konstrukte benötigt.

Und beide liegen meines Erachtens falsch, wenn sie "Sprache" als Ursache und "Integration" als Wirkung ansehen (statt umgekehrt). Die Unterscheidung zwischen "sich ändern" und "sich erweitern" sehe ich da deutlich weniger schwarz-weiß als die beiden: Letztlich erweitere ich als Mensch meinen geistigen Horizont ständig. Wenn ich als Europäer nach Asien gehe, dann werde ich dadurch kein Asiate. Aber ich erweitere mein Denken und meine Sichtweise und adaptiere mich. -Das ist natürlich auch eine "Änderung" meiner Persönlichkeit, aber eben durch "Erweiterung" des Denkens. (Und reicht sehr viel weiter als nur Sprache..).

Würde ich Jahre später wieder von Asien nach Europa zurückziehen, dann müsste ich in der Logik Humboldts alles in Asien Erlernte wieder vergessen und mich "zurückändern", weil ich ja jetzt wieder ausschließlich meine ursprüngliche Sprache verwende: Aber das ist natürlich Unsinn, denn was immer ich in Asien gelernt habe, werde ich natürlich auch weiterhin in meinem Denken verwenden -selbst, wenn ich es sprachlich umschreiben müsste, wenn die Ausdrucksstärke meiner Muttersprache hierfür nicht ausreicht.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung
Sapir - Whorf - Theorie

Klingt irgendwie logischer