Was sagt Aristoteles über den perfekten Staat?Wie muss er aufgebaut sein?

4 Antworten

Wo bitte, in welchem seiner Werke spricht er sich für den perfekten Staatv aus? Ich denke nicht, dass er so illusorisch war, einen solchen zu fordern als auch zu skizzieren. Einen perfekten Staat kann es nicht geben, denn wir haben es schließlich mit Menschen und keinen Maschinen zu tun.

Aristoteles, Πολιτικά (Politik; Politische Schriften; lateinischer Titel: Politica) ist das Werk, das Grundlage für eine Untersuchung dieser Frage ist.

Aristoteles überlegt, wie ein Staat unter gegebenen Verhältnissen am besten aufgebaut ist und was für ein Staat der beste realisierbare Staat überhaupt ist. Er entwirft einen idealen Staat, aber dabei geht es nicht um eine Perfektion, die von einer (zumindest unter günstigen Bedingungen) erreichbaren Umsetzung absieht, nicht um einen Staat für ganz und gar vollkommene Wesen. Aristoteles will nichts Unmögliches fordern (7, 4) Eine gute Verfassung/Staatsform hat nach Aristoteles Allgemeinwohl/gemeinsamen Nutzen und Gesetzlichkeit als Ziel und ist darauf bedacht.

Allgemeinwohl/gemeinsamer Nutzen und Gesetzlichkeit/Regieren nach dem Gesetz sind Maßstab bei der Unterscheidung zwischen richtigen Verfassungen und Entartungen/Abweichungen/Fehlformen (παϝεκβάσεις).

Aristoteles denkt einen guten Staat als Polis (πόλις), eine Organisationsform, die im antiken Griechenland zur üblichen geworden war. Die Polis war eine politische Gemeinschaft und Aristoteles unterscheidet diese von einem despotischen Herrschaftsverhältnis, bei dem es nur einen Herrscher/Herren und Untertanen gibt. Freundschaft und Gerechtigkeit sind Grundlage einer guten Polis.

Von der Vollbürgerschaft einer Polis sind nach Aristoteles (in Übereinstimmung mit der politischen Praxis und der gängigen Denkweise in dieser Zeit) „Sklaven von Natur“ und Frauen ausgeschlossen.

Bei der politischen Lehre des Aristoteles ist zu unterscheiden:

1) bester Staat in den meisten Fällen hinsichtlich gegebener konkreter Bedingungen/Verhältnisse/Umstände (Buch 4)

2) bester Staat, der überhaupt zu verwirklichen ist (Buch 7 – 8)

1) unter konkreten gegebenen Bedingungen meistens bester Staat

Aristoteles überlegt, welche Verfassung unter gegebenen Verhältnissen in der Praxis am geeignetsten und stabilsten ist. In dieser Hinsicht ist die beste Verfassung für die Mehrzahl der Staaten und Menschen eine Mischverfassung, die „Politie“ genannt wird (altgriechisch πολιτεία, was „Verfassung“ bedeutet und damit der Oberbegriff ist; diese Verfassungsform hat also im Grunde keinen besonderen eigenen Namen; das Wort könnte auch mit „Bürgerstaat“ wiedergegeben werden). Die Politie hält Aristoteles nicht für eine ideale Verfassung die beste Staatsform überhaupt, aber für die unter dem Gesichtspunkt praktischer Verwirklichung meistens empfehlenswerte. Die Politie kombiniert bei der Einrichtung der politischen Funktionen (Besetzung von Ämtern und Ähnliches) klug Elemente/Bestandteile der einzelnen Verfassungen.

Die Politie ist in der Hauptsache eine Mischung aus den Grundformen Demokratie (Herrschaft des Volkes) und Oligarchie (Herrschaft weniger). Die Beamten/Amtsinhaber sollen gewählt werden, nicht für die meisten Ämter unter allen Bürgern ausgelost. Das Wahlrecht soll nicht oder nur geringfügig eingeschränkt sein (z. B. durch die Anforderung eines Mindestbesitzes). Die Politie ist eine Verfassung mit einiger Bandbreite, weil die genaue Art der Mischung unterschiedlich ein kann. Der Tendenz nach geht die Mischung eher etwas in Richtung Demokratie als Oligarchie.

Die Politie sucht den Ausgleich zwischen einer reichen Führungsschicht und einer armen Menge, fördert zu diesem Zweck die Mittleren (eine Bezeichnung, die eine sozialen Gesichtspunkt hat, bei dem die Mittleren eine Mittelschicht sind, und eine ethischen Gesichtspunkt, bei die Mittleren die auf die richtige Mitte ausgerichteten Leute sind) und ist eine auf Freundschaft beruhende Gemeinschaft freier Menschen mit der Mitte als maßgebender Richtlinie (4, 11- 13)

Aristoteles unterscheidet beratende und gesetzgebende Funktion, regierende/ausführende Funktion und richterliche Funktion (4, 14 – 16).

Kriterien der meistens am besten realisierbaren Verfassung sind:

  • Garantie von Mehrheitsentscheidungen (politisches Kriterium)

  • Herrschaft der mäßig Wohlhabenden (wirtschaftliches/ökonomisches Kriterium)

  • Errichtung der Herrschaft von Freien über Freie (soziales Kriterium)

  • Herrschaft der Vortrefflichen/Tugendhaften (ethisches Kriterium)

  • Minimierung der Umsturzgefahr (Kriterium der Stabilität)

Die Mittleren sind am besten mehr als die sehr Reichen und sehr Armen.

Albrecht  19.12.2013, 05:41

2) bester Staat überhaupt

Voraussetzung für eine Erörterung der besten überhaupt zu verwirklichenden Staatsform, der besten/idealen Polis, und der Erziehung der in ihre lebenden Menschen ist die Bestimmung des wünschenswertesten Lebens.

Dieses ist das gute Leben, die Glückseligkeit (7, 13), εὐδαιμονία. Diese wird nach Aristoteles durch eine Tätigkeit erreicht, bei der menschliche Vortrefflichkeit zur Entfaltung kommt.

Für die beste Verfassung überhaupt (von konkrete Umstände unabhängig betrachtet) hält Aristoteles eine an Allgemeinwohl und Gesetzlichkeit orientierte Herrschaft einer Elite (des Besten bzw. der Besten), also eine Monarchie oder Aristokratie (Buch 7 und 8). Aristokratie meint Herrschaft der Besten (nicht Herrschaft des Adels/der ihrer Herkunft nach Vornehmsten).

Gesucht wird ein Ausgleich zwischen Qualität (Kategorien von Vermögen [Armut oder Reichtum], Freiheit, Adel, Bildung, Vortrefflichkeit/Tugend, die als Gründe für Herrschaftsansprüche im Staat je nach sozialer Schichtung der Bevölkerung geltend gemacht werden) und Quantität (Mehrheit des Volkes).

Alle Vollbürger haben politisch Anteil und treffen Entscheidungen. Eine Elite übt die Leitung aus.

Die allerbeste Polis hat eine Einwohnerzahl mit einer gut überschaubaren Größe. Für die Erfüllung der Bedürfnisse werden sechs Gruppen benötigt: Bauern, Handwerker, Händler/Kaufleute, Krieger/Soldaten, Reiche/Wohlhabende, Priester und Politiker bzw. Richter (7, 6 - 9).

Bei striktem Vorgehen gehören Bauern, Handwerker und Händler/Kaufleute zwar zur Bevölkerung, aber nicht zur Vollbürgerschaft der besten Polis. Aristoteles meint, sie hätten keinen Zugang zu Muße und Vortrefflichkeit/Tagend (ἀρετή [areté]), was aber zur politischen Teilhabe als Bürger gehöre.

Die Krieger/Soldaten bekommen erst nach Ablauf ihrer Dienstzeit politische Rechte.

Die Priester haben aufgrund ihres Alters nicht mehr politischen Einfluß.

Nur die Gruppe mittleren Alters übt politische Macht aus.

Diese drei Gruppen sind zeitliche Durchgangsstufen.

Erziehung und Bildung (παιδεία [paideia]) der Bürger sind Angelegenheit der Polis.

Der ideale Staat will im Ganzen nicht tyrannisch ein, das heißt nicht über andere Staaten herrschen und nicht militärische Aggression betreiben.

Er hat genug Bürger, um politisch autark zu sein, aber nur so viele, daß grundsätzlich alle einander kennen können (Überschaubarkeit der Bürgerschaft).

Das Territorium (Gebiet) ist so groß, das die Polis wirtschaftlich autark ist, aber nicht zu groß, um gut verteidigt werden zu können.

Der Staat ist idealerweise von Land und Meer gut zugänglich, damit sich Handel entwickeln kann.

Der Kontakt zu Fremden ist lose und gut kontrollierbar (7, 4 – 6).

In Büchern gibt es ausführlichere Darstellungen, z. B. (mit Hinweisen auf weitere Literatur):

Wolfgang Detel, Aristoteles. Originalausgabe. 1. Auflage. Leipzig : Reclam, 2005 (Reclams Universal-Bibliothek ; Bd. 20301 : Grundwissen Philosophie), S. 106 - 124

Hellmut Flashar, Aristoteles. In: Ältere Akademie, Aristoteles, Peripatos (Grundriss der Geschichte der Philosophie. Begründet von Friedrich Ueberweg. Völlig neu bearbeitete Ausgabe. Herausgegeben von Helmut Holzhey. Die Philosophie der Antike - Band 3). Herausgegeben von Hellmut Flashar. Völlig neu bearbeitete Ausgabe. Basel ; Stuttgart : Schwabe, 2004, S. 231 – 234 und S. 303 – 316

Otfried Höffe, Aristoteles. Originalausgabe 3., überarbeitete Auflage. München : Beck, 2006 (Beck'sche Reihe : Denker ; 535), S. 255 – 273

Ada Neschke-Hentschke, Die uneingeschränkt beste Polisordnung (VII – VIII). In: Aristoteles, Politik. Herausgegeben von Otfried Höffe.2., bearbeitete Auflage. Berlin : Akademieverlag, 2011 (Klassiker auslegen ; Band 23), S. 147 - 162

Kristina Reisch, Aristoteles. Politika. In: Großes Werklexikon der Philosophie. Herausgegeben von Franco Volpi. Stuttgart : Kröner, 1999. Band 1: A – K, S. 86 – 88

Eckhard Schütrumpf, Verfassungen und politische Institutionen (IV 1- 6). ). In: Aristoteles, Politik. Herausgegeben von Otfried Höffe.2., bearbeitete Auflage. Berlin : Akademieverlag, 2011 (Klassiker auslegen ; Band 23), S. 105 - 118

Eckhard Schütrumpf, Politische Schriften. In: Aristoteles-Handbuch : Leben – Werk – Wirkung. Herausgegeben von Christof Rapp und Klaus Corcilius. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 2011, S. 147 – 154

Eckhard Schütrumpf, Polis. In: Aristoteles-Handbuch : Leben – Werk – Wirkung. Herausgegeben von Christof Rapp und Klaus Corcilius. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 2011, S. 303 - 307

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Zumindest lassen sich 2 wichtige Aussagen von ihm festhalten: Er hat einerseits gesagt, dass politische Betätigung (im Sinn eines Amtes) zeitlich begrenzt sein sollte (2 Jahre wenn ich mich richtig erinnere), andererseits hat er als "beinahe ideal" eine Mischung aus Demokratie und Aristokratie beschrieben...was wohl der heutigen Form einer repräsentativen Demokratie nahe kommt.

Aristoteles entwirft anders als Platon keinen "perfekten Staat". Er erörtert - im Rahmen der damaligen Weltsicht (d.h. Sklaverei galt als naturgemäß) - Zweck und Ziel des Staates, dem sich die organisatorische Form unterzuordnen hat. Lies dazu mal das:

http://www.textlog.de/33557.html