Was ist der Unterschied zwischen den Theaterkonzepten von Lessing und Gottsched?

3 Antworten

Gottsched, der Literaturpapst in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, forderte für das Drama die Einhaltung der Regeln des Aristoteles (in dessen Schrift „Poetik“ entwickelt): das sind die 3 Einheiten des Ortes, der Zeit und der Handlung. Ziel des von ihm favorisierten heroischen Trauerspiels ist die moralische Belehrung des Publikums: ein Lehrsatz wird an einem bekannten historischen Stoff dargelegt. Gegenstand sind also Ereignisse, die den Zuschauern im Prinzip vorher aus anderen Quellen bekannt sind. Die Auswahl der Handlung ist nach den poetischen Regeln der Ständeklausel an Personen von Stand (i. d. R. regierende Häupter, historische Helden) gebunden. Die Gestaltung erfolgt im hohen Stil, der allein der Würde des Gegenstandes angemessen ist. Der tragische Held ist weder ganz gut noch ganz böse: sein Schicksal ist zunächst vom Ausgang her offen, wird durch unglückliche Umstände jedoch zu einem fatalen Ende gelenkt.

Wenn die Autoren (Dichter) – sagt Gottsched – diese Regeln beachten, kommen im Sinn der Katharsislehre Bewunderung und Furcht bei den Zuschauern von allein zustande und bewirken eine Reinigung des Gemütes. (Aristoteles: das Drama ruft Furcht und Mitleid hervor und bewirkt im Zuschauer eine Reinigung der Seele, eine Entspannung). Vorbilder sind für Gottsched auch die klassizistische Tragödie aus Frankreich. Prägend wirkt hier besonders Pierre Corneille (1606-84).

Gottscheds Literaturtheorie wurde von Lessing heftig kritisiert. Dieser lehnte alle Forderungen Gottscheds ab, ohne aber von den aufklärerischen Ideen abzuweichen. Die Überwindung der Ständeklausel von Lessing wurde dadurch ermöglicht, dass der Mensch nicht mehr nach seinem sozialen Status handelt, sondern darüber hinausgeht. Auch Bürgerliche können Helden einer Dramenhandlung sein (s. "Emilia Galotti"). Lessing gab der Literatur eine neue Funktion: sie sollte das Leserpublikum sittlich läutern und es nicht moralisch belehren wie bei Gottsched. Dem Mitleid wurde in der Katharsiswirkung oberste Priorität eingeräumt.

An die Tragödie stellte Lessing besondere Forderungen: Angst, Furcht und Mitgefühl sollten beim Leser und Zuschauer erweckt werden. Der Leser sollte mit den Protagonisten mitfühlen und sich davor fürchten, das gleiche Schicksal zu erleiden. Die daraus folgende Katharsis findet – wie gesagt – in Form einer sittlichen Läuterung statt. Der Held durfte deswegen keine ideale Figur darstellen, sondern er musste eine reale Person sein. Lessing forderte, im Gegensatz zu Gottscheds naturalistischer und vernunftgeleiteter Nachahmung der Natur eine poetische Nachahmung, d.h. die dichterische Wiedergabe der Gesetze der Kunst und der Natur soll mit der Schöpferkraft des Genies vereint werden. Denn „das Genie trage die ewigen und lebendigen Gesetze wahrer Kunst unbewusst in sich“. (Fricke/ Schreiber, Geschichte der Literatur). Damit mussten die 3 Einheiten nicht unbedingt eingehalten werden (siehe bei Shakespeare, den Lessing als Vorbild empfahl. Er scherte sich überhaupt nicht um die Enheiten der Zeit und des Ortes).

Mit dieser Auffassung hat Lessing der Gottsched‘schen Regelpoetik ein Ende bereitet. (s. auch Wikipedia, Literaturtheorie der Aufklärung)

Haldor  20.11.2019, 18:37

Korrektur: Es muss heißen: "Die Überwindung der Ständeklausel wurde von Lessing dadurch ermöglicht, dass der Mensch nicht mehr nach seinem sozialen Status handelt, sondern darüber hinausgeht."

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Soweit ich mich erinnern kann steht bei Gottsched die Katharsis im Mittelpunkt. Lessing war das auch wichtig, er fand aber dass die Unterhaltung der Leute auch nicht zu kurs kommen darf.

Indem du einiges dazu liest.

Gottsched war der Klassiker, dem alles Neue ein Dorn im Auge war, für Lessing war er also schon ein Gegner. Lessing plädiert für ein nationales Theater mit eigener Ästhetik, wobei er sich seine Ideen undogmatisch bei Corneille, Shakespeare oder Diderot holte (Hamburger Dramaturgie).