GEDICHT „ICH“ VON GOTTHOLD EPHRAIM LESSING?

2 Antworten

Ich habe da etwas gefunden:

https://norberto42.wordpress.com/2020/08/24/lessing-ich-text-und-analyse/

Die drei Strophen stehen jede für sich und werden doch durch einen Grundgedanken zusammengehalten, eine Variation des barocken Vanitas-Motivs. Da steht also, dass wir nur zugezählte Stunden haben (V. 3), die uns zur Flucht bleiben, also eine kurze Zeit, um zu leben; da steht, dass uns nur kurze Wege zur Verfügung stehen (V. 6), um etwas zu genießen; da steht drittens, dass es nicht lange währt (dauert), bis wir begraben sind (V. 9 f.). Das ist also die Grundtatsache unseres Lebens: dass unsere Zeit sehr knapp bemessen ist. Von dieser Tatsache aus bedenkt das reflektierende Ich die drei Fragen, die verschiedene Wege zum Glück bezeichnen.

Ganz anders geht es in der zweiten Strophe zu: Der Bericht, dass das Ich keine Schätze begehrt hat, macht nur einen Vers aus (V. 5). Die Begründung umfasst dann drei Verse, wieder in einer rhetorischen Frage: dass man von den aufgehäuften Schätzen „das wenigste“ selbst verzehren könnte (V. 8), da die Wege kurz sind (V. 6), dass man also im Prinzip nur für potenzielle Diebe Schätze gesammelt hätte (V. 7). Hier sind die Reime sinnvoll: nicht begehrt / das wenigste selbst verzehrt (V. 5/8); auf kurzen Wegen / Schätze hegen (V. 6/7).

In der dritten Strophe geht es um die entscheidende Frage, wer ich bin. Das Ich beginnt mit zwei rhetorischen Fragen (V. 9-11), um kraftvoll mit der These zu schließen: [Es genügt,] wenn ich selber weiß, wer ich bin (V. 12). Die erste Frage greift noch einmal das Vanitas-Motiv auf und kann so primär zur Begründung des Verzichts auf Ehre und Schätze dienen (V. 9 f.). Mit dem Stichwort „Nachwelt“ wird dann aber doch zur These in V. 12 übergeleitet, indem das Desinteresse der Nachwelt, die auf dem später Toten bloß herumtrampelt (V. 10 f.), in einen Kontrast zu meinem Interesse an mir selber gestellt wird („ich“ betont, V. 12). Der Gedankenzusammenhang ist weithin nicht ausgesprochen, er stellt sich mir etwa so dar: Die Mitwelt hätte nur auf das geschaut, was ich habe (Schätze) und was ich darstelle (Ehre); die Nachwelt interessiert sich dafür nicht mehr, wenn ich begraben bin (V. 10) – aber ich selber, ich muss im Gegensatz zur Mitwelt jetzt wissen, wer ich bin, weil nur dieses für mich zählt – die kurze Zeit, die ich da bin; und wegen der Kürze der Zeit zählt nichts anderes, auch die Nachwelt nicht.

Kleiner Tipp am Rande: Suche lieber im Netz nach Seiten, die etwas über das, was Du möchtest, schreiben. Hier ist es ein wenig schwierig diesbezüglich, denke ich.

Ich drucke es hier mal ab. Copyright ist keines mehr drauf, denn L ist länger als 70 Jahre tot:

Ich

Die Ehre hat mich nie gesucht;

Sie hätte mich auch nie gefunden.

Wählt man, in zugezählten Stunden,

Ein prächtig Feierkleid zur Flucht?

Auch Schätze hab ich nie begehrt.

Was hilft es sie auf kurzen Wegen

Für Diebe mehr als sich zu hegen,

Wo man das wenigste verzehrt?

Wie lange währt’s, so bin ich hin,

Und einer Nachwelt untern Füßen?

Was braucht sie wen sie tritt zu wissen?

Weiß ich nur, wer ich bin.