Warum wollte Clodius Pulcher Cicero ins Exil bringen (Reden von Catilina)?

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Publius Clodius Pulcher hatte zwei Gründe, Marcus Tullius Cicero ins Exil zu treiben, einen politischen und einen persönlichen Grund:

1) Rechtsverstoß Ciceros durch Übergehung des Provokationsrechts bei der Hinrichtung gefangengenommener Anhänger Catilinas in Rom am 5. Dezember 63 v. Chr; das Recht zur Anrufung des Volkes (provocatio ad populum) bei Strafen durch Magistrate gegen Leib und Leben galt als Bestandteil der Freiheit römischer Bürger und die Betonung des Provokationsrechts gehörte zur sogenanten popularen Politik, der sich Clodius zugewendet hatte

2) persönliche Feindschaft zwischen Clodius und Cicero, anscheinend entstanden durch eine Zeugenaussage Ciceros im Zusammenhang mit dem sogenannten Bona Dea –Skandal 62 v. Chr., Clodius am fraglichen Tag in Ciceros Haus in Rom gesehen zu haben, was einem Alibi widersprach, das Clodius vorgelegt hatte

Übergehung des Provokationsrechts

Publius Clodius Pulcher beantragte als Volkstribun 58 v. Chr. ein Gesetz (Lex Clodia de capite civis romani), wonach der Ächtung verfiel, wer einen römischen Bürger ohne Gerichtsurteil habe töten lassen. Cicero verließ schon in der Nacht vor der Abstimmung Rom. Das Gesetz wurde von einer Volksversammlung beschlossen.

Cicero hat als Konsul bei der Hinrichtung das Provokationsrecht (bei einer Bedrohung mit dem Tod hatte ein römischer Bürger das Recht zur Anrufung des Volkes [provocatio ad populum]) übergangen. Cicero war dafür rechtlich verantwortlich. Er handelte nach einem Mehrheitsbeschluß des Senates. Der Senat übernahm damit eine politische Mitverantwortung, aber rechtlich blieb Cicero verantwortlich, der aufgrund seiner Amtsgewalt als Konsul die Hinrichtung befahl. Der Senat war kein Gericht.

Bei der Beratung am 5. Dezember 63 v. Chr. im Senat über die Bestrafung festgenommenen Anhänger Catilinas hat Cicero als Konsul Bericht erstattet. Er neigte wohl dazu, eine Todesstrafe zu beschließen, hielt sich aber mit einer eindeutigen Festlegung erst einmal zurück. Die (in der Abfolge einer Rangordnung) um ihrer Meinung befragten Senatoren befürworteten zunächst eine Todesstrafe. Dann hat sich Gaius Iulius Caesar als designierter Praetor gegen eine Todesstrafe ausgesprochen. Er schlug lebenslange Haft in verschiedenen Landstädten (municipia) Italiens, Einziehung des Vermögens (Konfiskation) und ein Verbot der Wiederaufnahme des Verfahrens vor Senat oder Volksversammlung vor. Caesars Argumentation erzielte Eindruck. Der designierte Konsul Decimus Iunius Silanus, der sich zuerst für die äußerste Strafe ausgesprochen hatte, wobei an Hinrichtung zu denken war, erklärte anscheinend in einer Umdeutung, nur eine Gefängnisstrafe gemeint zu haben. Nur der ehemalige Konsul Quintus Lutatius Catulus hielt scharf an einem Standpunkt gegen Caesar fest. Erst Marcus Porcius Cato, designierter Volkstribun, brachte mit einer energischen Rede eine Mehrheit der Senatoren wieder dafür, eine Todesstrafe zu befürworten.

Caesar war offenbar die Beachtung des Provokationsrechts (Recht zur Anrufung des Volkes - provocatio ad populum - bei Bedrohung mit dem Tod) wichtig. Gaius Sempronius Gracchus hatte als Volkstribun 123 v. Chr. zur Provokation ein Gesetz (Lex Sempronia) beantragt, das vom Volk beschlossen worden war. Caesar trat für ein populares Prinzip ein. Er wollte verhindern, einen Präzedenzfall für ein Außerachtlassen des Provokationsrechts zu schaffen.

Cicero hat seine Stellungnahme in der Senatssitzung am 5 Dezember 63 v. Chr. in einer überarbeiteten Fassung später als vierte Rede gegen Catilina veröffentlicht.

Cicero hat als Konsul noch am 5. Dezember 63 v. Chr. die Hinrichtung angeordnet, die im Tullianum, einem unterirdischem Raum des römischen Staatsgefängnisses (carcer) stattfand. Hingerichtet wurden:

  • Publius Cornelius Lentulus Sura, Angehöriger der Nobilität, 71 v. Chr. Konsul, 70 v. Chr. aus dem Senat ausgeschlossen, 63 v. Chr. Praetor und damit wieder Senator
  • Gaius Cornelius Cethegus, Angehöriger der Nobilität, Senator
  • Publius Gabinius Capito, römischer Ritter (eques)
  • Lucius Statilius, römischer Ritter (eques)
  • Marcus Caeparius

Cicero hat zwar bewußt für die Tötung die politische Rückendeckung durch den Senat gesucht, doch behielt er die rechtliche Verantwortung.

Die Tötung verstieß verfahrensrechtlich strenggenommen gegen geltendes Recht, das eine Hinrichtung römischer Bürger ohne Gerichtsurteil verbot. Cicero hat das Provokationsrecht übergangen.

Notstand und eine durch den Senat ausgesprochen Bevollmächtigung der Magistraten mit den Konsuln an der Spitze, Schaden vom Staat abzuwehren (sogenanntes senatus consultum ultimum; kurz: SCU), boten keine rechtlich einwandfreie Grundlage für Cicero, weil die betreffenden Verschwörer nicht vor ihrer Festnahme zu Staatsfeinden erklärt worden waren und sie auch nicht bewaffnet und im offenen Aufstand ergriffen worden waren. Der Senat war aber kein Gericht. Das Vorgehen war rechtlich anfechtbar.

persönliche Feindschaft

Publius Clodius Pulcher stand zur Zeit der catilinarischen Verschwörung auf Seiten Ciceros. Er war ein Patrizier und sein ursprünglicher Familienname (nomen gentile) bis 59 v. Chr. Claudius (er hieß also bis dahin Publius Claudius Pulcher). Ende des Jahres 62 v. Chr. drang er als Frau mit einer Laute (ein Musikinstrument) verkleidet in ein Fest der Bona Dea (»gute Göttin«) ein, das vornehme Frauen feierten und bei dem die Teilnahme von Männern verboten war. Das Fest wurde in diesem Jahr in Caesars Haus gefeiert. Nach einem Gerücht hatte Clodius ein Liebesverhältnis mit Caesars damaliger Ehefrau Pompeia (Caesar ließ sich danach von ihr scheiden, ohne die Aussage ausdrücklich zu bestätigen, er gab an, Caesars Ehefrau müsse schon über einen solchen Verdacht erhaben sein). Eine Dienerin erkannte ihn aufgrund seiner Stimme, mit der er ihr antwortete, als Mann. Caesars Mutter Aurelia brach die Feier ab, suchte den Mann und fand ihn in der Kammer einer Dienerin. Die Frauen trieben ihn aus dem Haus.

Aufgrund dieses Vorfalls (»Bona Dea –Skandal«) gab es im Jahr 61 v. Chr. einen Prozeß gegen Publius Clodius Pulcher wegen Religionsfrevels (das Ergebnis war ein Freispruch mit knapper Mehrheit, wohl mit Hilfe großer Bestechungsgelder). Publius Clodius Pulcher behauptete, sich an dem betreffenden Tag in Interamna aufgehalten zu haben (140 km von Rom entfernt). Cicero machte eine Zeugenaussage, Clodius sei an dem betreffenden Tag in Ciceros Haus in Rom zur Begrüßung erschienen. Cicero widersprach also seinem Alibi, was Clodius übelnahm.

Bücher zu Clodius und seiner Politik:

Herbert Benner, Die Politik des P. Clodius Pulcher : Untersuchungen zur Denaturierung des Clientelwesens in der ausgehenden römischen Republik. Stuttgart : Steiner-Verlag Wiesbaden, 1987 (Historia, Einzelschriften ; Heft 50). ISBN 978-3-515-04672-5

Wilfried Nippel, Aufruhr und „Polizei“ in der römischen Republik. 1. Auflage. Stuttgart : Klett-Cotta, 1988. ISBN 978-3-608-91434-4

Wilfried Nippel, Publius Clodius Pulcher - »der Achill der Straße«. In: Von Romulus zu Augustus : große Gestalten der römischen Republik. Herausgegeben von Karl-Joachim Hölkeskamp und Elke Stein-Hölkeskamp. 2. Auflage, unveränderter Neudruck. München : Beck, 2010, S. 279 - 290

Wolfgang Will, Der römische Mob : soziale Konflikte in der späten Republik. Darmstadt : Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1991. ISBN 978-3-534-80129-9

Cicero hatte einmal auf einem Fest „Bona Dea“, bei dem nur Frauen anwesend sein durften, gesehen, dass sich Clodius unter diese geschmuggelt hatte, indem er sich verkleidete. Dieses Fest hat bei Cäsar stattgefunden und man sagt Clodius eine Liebschaft mit Caesars Frau als Grund für sein Erscheinen nach. Cicero jedoch hatte ihn bemerkt und konnte somit später als Zeuge im Gerichtsprozess gegen ihn aussagen, was zur Feindschaft der beiden führte. Deshalb erließ Clodius später als Volkstribun ein Gesetz, das jeden dazu verpflichtete, andere nur nach einem vollzogenen Gerichtsprozess töten zu dürfen, was direkt gegen Cicero gerichtet war, der ja die Catilinarier hatte töten lassen. Dadurch erreichte er eine Rechtfertigung für Ciceros Exil, aus dem er später vor allem durch den mutigen Einsatz seines Freundes und Volkstribuns Sestius und dessen Kollegen Milo wieder herauskam.