Warum reden manche Genetiker von einer, "ghost population" die noch wenig untersucht wurde, weil es keine Proben gibt, oder sonstige Aufschlüsse darüber?

2 Antworten

Wenn du populationsgenetische Studien durchführst, z. B. um herauszufinden wie groß die Populationen sind oder wie groß die Migrationsrate zwischen den Populationen ist, brauchst du genetische Proben. Du kannst in der Regel jedoch nicht von jedem einzelnen Individuum eine Probe nehmen, das wäre viel zu aufwändig und teuer oder gar unmöglich. Stattdessen muss man sich mit einer bestimmten Stichprobengröße begnügen. In der Regel weiß man aber nicht, wie viele Populationen es gibt, sodass es sein kann, dass man z. B. von zwei Populationen Proben von Individuen gesammelt hat, es aber noch eine dritte Population gibt, die mit den beiden Proben in einem genetischen Austausch steht, von der man aber keine Proben gesammelt hat. Eine solche Population nennt man ghost population, also Geisterpopulation. Eingeführt wurde das Konzept der ghost population 2004 von Peter Beerli (Beerli 2004). Es ist eine hypothetische Population ohne Daten, die von einem Rechenmodell berücksichtigt wird, um zu untersuchen, welche Effekte beim Probensammeln übersehene Populationen auf die Populationsgröße und die Migrationsrate zweier beprobter Populationen haben (Beerli 2004).

Es kann sein, dass man zufälligerweise kein Individuum der dritten Population erwischt hat. Denkbar wäre aber auch, dass es in der Vergangenheit zwischen der dritten Population und den beiden anderen (oder nur einer der beiden) einen genetischen Austausch gegeben hatte und die dritte Population später ausstarb. Von dieser Population können wir folglich heute natürlich gar keine Proben mehr nehmen. Wir können aber, wenn wir uns die uns zur Verfügung stehenden genetischen Daten der beiden heute noch existierenden Populationen anschauen, indirekt auf die Existenz dieser Geisterpopulation schließen, weil die ghost population durch den Genfluss zwischen den Populationen in der Vergangenheit ihre Spuren hinterlassen hat, nämlich die Allele, die sie durch Migration in die beiden (oder eine) noch existierende(n) Populationen hineingeschwemmt hat.

Beim Vergleich der Genome heute lebender Europäer mit den aus Fossilmaterial gewonnenen Genomen ursprünglicher Europäer, die zwischen 7000 und 8000 Jahren vor heute gelebt haben, fand man heraus, dass die meisten Europäerinnen und Europäer auf drei genetische Hauptlinien zurückgehen: eine westeuropäische Jäger-Sammler-Linie, eine nordeuropäische und eine östliche Linie früher Bauern; darüber hinaus fand man Spuren einer vierten Linie, die sich mit der östlichen Linie vermischt hat und die sich bereits sehr früh von den anderen eurasischen Linien getrennt haben muss (Lazaridis et al. 2014). Diese Linie ist fossil bislang jedoch unbekannt, also eine Geisterpopulation, und wird in der Literatur als "basale Europäer" bezeichnet.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig

"Ghost population" /Geisterpopulation ist ein allgemeinerer Begriff, "basal Eurasian" ist dagegen eine postulierte "Geisterpopulation" in der Menschheitsentwicklung.

Genetiker können anhand verschiedenen Rahmendaten eine anzunehmende genetische Variationsbreite einer Population errechnen (ohne Durchmischung mit anderen Populationen). Wenn es zu einer Mischung mit einer anderen Population gekommen wäre, kann die jedoch deutlich höher sein. Wenn die Genetiker nun herausfinden, dass genetische Variabilität ohne Durchmischung mit einer anderen Spezies keinen Sinn macht, dann kam es wohl zu einer Durchmischung. Und wenn die neuen Varianten zu keiner anderen bekannten Population passen, dann gab es vielleicht eine Population(Gruppe/Unterart/... ), die archäologisch noch nicht bekannt ist.

Daher Geisterpopulation: Nur das Genom ist der Anhaltspunkt, dass da wohl eine andere Population war. Und es bleibt die Möglichkeit, dass einige Basisannahmen nicht stimmten - und es diese Population doch nie gegeben hat.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Abgeschlossenes Studium als Diplom Biologe