Wann sind Quintparallelen erlaubt?

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Hallo Marcoschnarko!

Die Frage, die sich dabei stellt, ist: In welchem "historischen" Stil bewegst Du Dich? Das Parallelenverbot ist ja ganz eindeutig eine "modische" Reaktion auf die Organum-Praxis, die vor allem mit Parallelen gearbeitet hat.

Den Tonsatz des Barock mit Hilfe der zugehörigen Regeln für allgemeingültig zu erklären, ist eine Krankheit einer unhistorischen Musikpädagogik. Man muss sich nur einmal z.B. bei Grieg umsehen, da wimmelt es vor Parallelen - oder sieh Dich mal in jazzigen Big Band-Sätzen um! Was sollte einen heute im 21. Jahrhundert daran hindern, Parallelen zu schreiben?

Und selbst im Barock: Abgesehen von der Abkehr vom Organum hat das Parallelenverbot natürlich auch den Hintergrund, in einem polyphonen Satz Verdünnungen von z.B. 4 Stimmen auf weniger zu vermeiden. Das mag in einem Chor oder einem Streichquartett sinnvoll sein. Ist es das immer noch auf dem Klavier oder der Orgel, wo es faktisch gar keine unterschiedlichen Stimmen gibt?

Aber wenn es um Stilkopien geht, dann kann man als Faustregel anwenden, dass Parallelen da möglich sind, wo es in eine Dissonanz geht. Das macht ja auch Clemens non papa in Deinem Beispiel.

Gruß Friedemann

Ja, die Wikipedia... Sie hat sich im Laufe der vergangenen Jahre gemacht, jedoch stößt hier ein Autor an seine Grenzen. Ich denke, Du meinst dieses Beispiel:

„Es gibt jedoch auch viele Situationen [...]" Das ist Unsinn.
Man findet tatsächlich in ganz seltenen Fällen eine offene Quintparallele, spontan fällt mir nur die letzte Variation aus der Choralpartita „Sei gegrüßet..." von J. S. Bach ein. Es ist ein durchgehend sechsstimmiger Satz und so komplex, dass man das „vermindert -> rein" auch dann nicht als falsch wahrnimmt, wenn man die Stelle wieder und wieder spielt.

Alle Tonsatzregeln sind nicht im Sinne von richtig und falsch im mathematischen Sinne zu verstehen, sondern: Klingt es gut, oder klingt es nicht gut?
Das Beispiel oben klingt aus verschiedenen Gründen gar nicht gut, da stört mich die Quintparallele nicht an erster Stelle. Zudem verstößt es gegen mehrere Regeln des klassischen Tonsatzes.
Den Akkord über f gibt es nicht. Als Vorhaltsakkord müsste er noch im 2. Takt aufgelöst werden (e" nach d"), und dann stellt sich die Frage nach der Quintparallele nicht mehr. Im 3. Takt fehlt auf der Eins der Terzton; der dürfte fehlen, wenn im Alt ein Quartvorhält stünde, das ist jedoch nicht der Fall. Auch dann wäre die Quintparallele vermieden. Das Nachliefern des Terztones im Bass ist billig und klanglich unbefriedigend.

Du siehst: Es handelt sich um ein fehlerhaftes, an den Haaren herbeigezogenes Konstrukt ohne Bezug zur Praxis. Ich hoffe, die Sache ist nun für Dich nicht mehr stockfinster. 😉

Marcoschnarko 
Fragesteller
 15.11.2019, 21:50

Danke dir! Ich finde den Hinweis, vom Klanglichen auszugehen, sehr vernünftig, ebenso wie die Warnung (die ich herausgelesen habe) vor zu wenig Praxisbezug und/oder Kontext.

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Ich hab selber noch was gefunden, und zwar in Thomas Daniels "Kontrapunkt" (2002). Auf S. 342 heißt es:

"Allerdings kamen schon im Duo-Satz vereinzelt ,leichte Durchgangsquinten' vor (...), die als minderschwere Fehler oder gar legitim gelten können, wenn sie dank rhythmischer und satztechnischer Differenzierung der Stimmen kaum auffallen. Dasselbe gilt für die Dreistimmigkeit, und so dürfte die (...) [folgende Quintparallele], die eine Dissonanzauflösung der Oberstimme mit einem halbschweren Durchgang der Mittelstimme verbindet, eher akzeptiert werden (...)."

Hier ist das Beispiel:

Bild zum Beitrag

Clemens non Papa: O Gott, hör an mein' Klage, Souterliedekens Nr 54, T.11 (T, T, B)

Es kommt also nicht nur auf die Funktion der jew. Quinttöne an, sondern u.a. auf Rhythmus, Satz, Dissonanzauflösungen, Durchgänge und was weiß ich noch alles...

Woher ich das weiß:Recherche
 - (Musik, Musiktheorie, Tonsatz)