Ulla hahn?

2 Antworten

Mitten im Leben

Wenn es tagt kommt mit erstickten Schritten

durch die leeren Straßen Traurigkeit

und ich steh am Fenster und ich warte

daß sie kommt und bin für sie bereit.

Längst schon fühlt sie sich in diesen Räumen

wie zu Hause rückt sich ohne Hast

deinen Stuhl zu Recht nah an meinem

trinkt aus deiner Tasse und dann faßt

sie mich an: ihr Kleid schlägt über mir

schwarz zusammen warm in ihrem Schoß

lieg ich wieder hat sie mich gefangen

macht mich wunsch herz atem wesen los.

 

Das wunderschöne Gedicht "Mitten im Leben", das auch "Pfiffikussi" hier aufgeführt hat, ist tatsächlich von Ulla Hahn (SPIELENDE, Gedichte DVA, 1983, Seite 46).

Ich wollte das zuerst nicht glauben, weil es sich durch die Reime und das gleichmäßige Versmaß so ganz anders präsentiert als die sonstigen typischen Hahn-Gedichte.

Gut, dass ich Ulla Hahns "Spielende" sicherheitshalber nochmal aus dem Lyrikregal meiner Bibliothek rausgezogen habe, jetzt hab ich noch ein Lieblingsgedicht mehr. Ich werde mich gleich dranmachen und es auswendig lernen.

Vielen Dank für die Frage!

mychrissie  06.04.2020, 10:58

Was übrigens ganz wichtig ist, die Gleichsetzung der Traurigkeit, die die Dichterin besucht, und einem dritten, wohl ihrem Geliebten (Klaus von Dohnanhi?), aus dessen Tasse die Traurigkeit trinkt undh auf dessen Stuhl sie sich setzt.

Das ist eine versteckte Gleichsetzung ihrer eigenen Beziehung mit Traurigkeit. Ulla Hahn hat öfter Stellen in ihren Gedichten, die einen beim ersten Lesen stocken lassen. Oft macht sie das übrigens mit Ligaturen, die einen am Ende einer Zeile eine bestimmte Fortsetzung in der nächsten oktroyieren – und dann geht es ganz anders weiter.

Lyrische Stopschilder gewissermaßen!

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