Sind die deutschen im Schnitt eine technikfeindliche Gesellschaft?

4 Antworten

In der Frage wird einerseits „Feindlichkeit“ mit Skepsis gleichgesetzt und darüber hinaus auch enorm pauschalisiert.

Beispiel: Wenn man gegenüber des WLAN_Standarts skeptisch ist, dann verschlüsselt man es. Aber das macht diesen Skeptiker noch längst nicht zum WLAN-Feind.

Mit Blick auf die immer stärkere Technisierung unseres Lebens reduziert sich die Bedeutung zunehmend auf die Abwägung Freiheit vs. Sicherheit vs. Datenschutz.

Wozu könnten beispielsweise die biometrischen Daten auf dem Perso verwendet werden? Weshalb sollte ich meine komplette Krankenakte einer GmbH (Gematik) anvertrauen? Weshalb sollen e-Autos und Wärmepumpen die bessere Technologie sein, wenn die Verbrennung fossiler Rohstoffe doch lediglich in Kraftwerken zentralisiert wird und gesetzlich geforderte Neuanschaffungen nur zu unnötigen Mehrkosten führen? Fragen dieser Art lassen sich beliebig fortsetzen.

Das grundsätzliche Problem scheint mir tatsächlich zu sein, dass viele Neuerungen einerseits mit hohen Kosten oder mit Einschnitten in die Persönlichkeitsrechte einhergeht. In Deutschland ist es Usus, das uns Neuerungen per Gesetz vor die Nase gesetzt werden, ohne dass die Bevölkerung sich aktiv an entsprechende Debatten beteiligen, geschweige denn lenkend eingreifen könnte. Wir sind einer Regierung innerhalb einer Legislaturperiode mehr oder weniger auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Verfassungsbeschwerden dauern, Petitonen werden nur unzureichend debattiert, Demos werden zu häufig zu Schlachtfeldern.

Für mich geht es deshalb völlig in Ordnung, neuen Technologien ggü. eine gesunde Skepsis walten zu lassen. Erst recht, wenn diese Technologien gesetzlich angeordnet werden, weil sie sich sonst am Markt nicht durchsetzen.


DrOnion95 
Fragesteller
 15.08.2023, 09:22

Da würde ich dir gar nicht widersprechen, wenn ich nicht das Gefühl hätte, dass diese Skepsis technologische Innovationen und den Wettbewerb mit China und den USA nicht auch oft stark behindern würde.

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Amtsschreck  15.08.2023, 09:37
@DrOnion95

Es ist vermutlich auch ein Frage des Standpunkts: Ist es Nachhaltiger, die neue e-Mobilität zu befürworten oder alte Verbrenner weiterhin zu nutzen? Überwiegt der ökologische Nutzen zB im Hinblick auf die CO2-Bilanz, neue e-Fahrzeuge zu produzieren oder bereits produzierte Verbrenner noch 10-20 Jahre weiterzufahren? Als Fan von Oldtimern tendiere ich zu den Verbrennern. Für mich sind Oldtimer nachhaltig.

Klar ist Wettbewerb wichtig. Aber wenn eine Regierung sich schon lenkend in den Markt einmischt, sollte sie sich beispielsweise im Bereich der e-Mobilität vorrangig auf die Infrastruktur beschränken. Flächendeckende Nutzung von Wärmepumpen und e-Fahrzeugen überlastet unser Stromnetznachweislich , vor allem auf der letzten Meile.

Es ist wahrscheinlich auch eine Frage der Kommunikation. Und vielleicht fehlt uns die Cebit?

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DrOnion95 
Fragesteller
 15.08.2023, 09:43
@Amtsschreck

Ja, aber schau dir mal an, was in China mit den Erneuerbaren weitergeht. Woher kam das I-Phone und wie weit ist Deutschland mit der Digitalisierung im Vergleich zu den USA und vor allem Ostasien? Auch der Fachkräftemangel und das Demographieproblem. Warum wurde so viel verschlafen?

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Amtsschreck  15.08.2023, 10:03
@DrOnion95

Auch die Windräder haben ökologische Schwächen, wie Rotoren aus nicht recycelbaren Verbundstoffen oder die Verwendung des klimaschädlichen Treibhausgases Schwefelhexafluorid SF6, dass nach wie vor noch verwendet wird und bei alten Windrädern nur selten fachgerecht entsorgt wird.

Stichwort verschlafen: Dir ist vermutlich bekannt, dass die CDU es vor allem war, die unsere damals führende Solarindustrie durch Wegfall der Subventionen vor die Wand fahren lassen hat? Zum Wohle unserer Energieriesen EON, Vattenfall und RWE.

Auch der Transrapid mit seiner Schwebebahntechnologie wurde nach nur einem ernsthaften Unfall an China abgestoßen. Hintergrund waren allerdings auch hier wieder die hohen Subventionen.

Fachkräfte gibt es bei uns noch genügend. Nur nicht die, die gefordert sind. Gesucht werden vor allem Fach-Idioten mit schmalem Spezifikatinsfokus anstatt breit aufgestelltem Fachwissen. Und gerne mit niedrigen Gehaltsvorstellungen. Habe zwei Freunde mit vielen Qualifikationen, beides Techniker. Bewerbungen zwecklos, weil „überqualifiziert“ und somit zu teuer.

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DrOnion95 
Fragesteller
 15.08.2023, 10:08
@Amtsschreck

Du kannst natürlich bei allem die Skepsis überwiegen lassen, aber die Chinesen und auch die USA scheinen diese Überlegungen in den Hintergrund zu stellen. Eine ideale Technologie, gibt es ja vermutlich ohnehin nicht.

Und ja natürlich war das die CDU, aber die wurde ja auch gewählt. Und Merkel und die Grünen stehen doch symbolisch für die deutsche Sehnsucht nach Harmonie und dem typischen Diskurs: Ökologie vs Technologie. Merkel hat sich doch nicht grundlos seit Fukushima als Anti-Atom und Klimakanzlerin inszeniert. Das war vielen Deutschen sehr sympathisch.

Dass es genügend Fachkräfte gibt, kann ich als jemand, dessen Großfamilie zumindest zur Hälfte aus Handwerkern besteht und der auch Kontakt zu deutschen Handwerkern hat so nicht bestätigen. Und bei uns Österreich mangelt es auch schon an Ärzten, Lehrern und einigen MINT-Berufen.

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Das trifft eher auf die alte Generation zu. Was aber in Deutschland im Gegensatz zu den USA auffällt ist, dass wir sehr an Technologie festhalten. Wir eignen uns eine neue Technologie /Software an und versuchen diese so lange wie möglich zu nutzen. Die Amerikaner springen einfach auf die aktuellste und meistgenutzte Technik auf und wechseln immer wieder bei Bedarf. Für die ist WhatsApp total veraltet und es nutzt kaum noch jemand. Bei uns ist es immer noch der meistgenutzte Messenger. Und bis vor ein paar Jahren praktisch konkurrenzlos, da fast niemand etwas anderes nutzte.


Chris1202  15.08.2023, 08:36

Wirklich? Was ist dann mit den ganzen Magnetstreifenkartenterminals, die angeblich noch oft in den USA verwendet werden?

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Sind die Deutschen in diesem Zusammenhang einfach ein wenig extrem?

Wenn es etwas gibt, was typisch deutsch ist, dann ist es die Neigung zu Extremen. So wirst du bei Deutschen nicht selten die Einstellung vorfinden "Wenn ich etwas mache, mache ich es richtig oder gar nicht. Halbe Sachen sind Energieverschwendung."

Diese Neigung zu Extremen findet sich sowohl im Guten als auch im Schlechten überall in der deutschen Geschichte und in der Gesellschaft.

Führe nur einige wenige Beispiele an, wo das offensichtlich wird.

Wenn man sich entschließt, Qualität zu produzieren, wird das bis ins Extrem getrieben. Nicht umsonst hat "Made in Germany" weltweit einen besonderen Ruf. Deutsche Autos gehören zu den besten weltweit. Wenn Forschung und technologische Entwicklung getrieben wird, geht man ebenfalls bis an die Grenzen des Machbaren. Deutschland war vor dem 2. Weltkrieg die führende Wissenschaftsnation schlechthin. Viele Erfindungen kommen aus Deutschland. In vielen technologischen Bereichen ist Deutschland nach wie vor weltweit führend. In der Philosophie gelten die deutschen Philosophen bei vielen im Ausland als besonders, weil auch in diesem Bereich das Denken bis ins Extrem getrieben wurde.

Auch der 2. Weltkrieg, zu dem sich die Deutschen von dem katholischen Österreicher Hitler haben verführen lassen, war der extremste Krieg, den die Menschheitsgeschichte jemals erleiden musste. In vielen Ländern gab es Antisemitismus und Judenverfolgung, aber auch hier wurde dies in Deutschland bis ins Extrem getrieben wie nirgendwo anders.


DrOnion95 
Fragesteller
 15.08.2023, 08:35

Wie erklärst du dir diese Tendenz zum Extremen?

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Das wird hierzulande wohl eher an der ins Krautt geschossenen Bürokratie und dem Amtsschimmel deutscher Behörden liegen. Bloß nichts ändern, wenns läuft und wenn man seine internen Richtlinien und Gesetze hat, die funktionieren. Konkurrenz bei Zuständigkeiten und Budgets dürften weitere Punkte sein, die flexibles Reagieren unmöglich machen.


DrOnion95 
Fragesteller
 15.08.2023, 08:33

Aber ihr seid doch mal ein Land der Ingenieure und Physiker gewesen. Ihr wart sehr innovativ.

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JMC01  15.08.2023, 08:38
@DrOnion95

Wir waren auch mal ein Land der Dichter und Denker. Die Zeiten ändern sich eben. Schau dir die Regierung an. Was will man da noch erwarten? Die Mehrheit träumt von blühenden Landschaften voller Windkraftwerke und Lastenfahrräder, auf denen Greise zahlende Kunden durch sie Rapsfelder chauffieren, während die Kinder ihre Geschlechter wechseln und bei OnlyFans ihr Taschengeld aufbessern.

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DrOnion95 
Fragesteller
 15.08.2023, 08:39
@JMC01

Dieses Harmoniebedürfnis findest du aber auch in der politischen Rechten und bei den Dichtern und Denkern. Ich kenne einige Literaten aus dem 19. Jahrhundert, die die ganze Zeit das idyllische Landleben idealisierten, obwohl sie natürlich selber städtische Bürgerliche waren. Vielleicht hat das auch mit dem deutschen Idealismus zu tun.

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JMC01  15.08.2023, 08:44
@DrOnion95

Es sind einfach falsche Entscheidungen. Die Masse machts und die Richtung ist politisch und gesamtgesellschaftlich gewollt und im Trend. Wer nicht mitjubelt, ist ein Nazi und damit hat sichs dann in Sachen "Argumente".

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DrOnion95 
Fragesteller
 15.08.2023, 08:47
@JMC01

Naja als Nazi würde mich als Atomkraftbefürworter wohl noch keiner bezeichnen. Das hoffe ich zumindest.

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JMC01  15.08.2023, 08:48
@DrOnion95

Ja, dann hoffe mal. Das geht hier schneller, als du "nur 2 Geschlechter" oder "ich esse gerne Fleisch" sagen kannst.

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DrOnion95 
Fragesteller
 15.08.2023, 08:49
@JMC01

Verstehe mich nicht falsch. Ich bin auch kein Freund der rechten Gegenbewegung. Ich will keine 50er Jahre zurück, sondern eine Gesellschaft der Vernunft und des rationalen Ausgleichs zwischen sinnvoller rechter und linker Politik. Die Menschenrechte müssen dabei durchaus als Grundlage dienen.

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JMC01  15.08.2023, 08:53
@DrOnion95

Das erinnert mich an die Zeit des Mauerfalls, als Menschen in der DDR von einem Sozialismus "mit menschlichem Antlitz" träumten, während die Masse sich in langen Schlangen ihr Begrüßungsgeld abholte, um damit Jacobs-Kaffee bei Kaisers und Jeans bei Woolworth zu kaufen.

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DrOnion95 
Fragesteller
 15.08.2023, 09:06
@JMC01

Naja aber die Gesellschaft, die ich beschreibe, existierte doch lange, zumindest im Westen. Die 60er, 70er, 80er, 90er des Westens? Viele Menschen würden sich diese Zeit zurückwünschen.

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JMC01  15.08.2023, 09:54
@DrOnion95

Die 60er bis 80er legten den Grundstein für den Mist, mit dem wir es heute zu tun haben.

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DrOnion95 
Fragesteller
 15.08.2023, 10:00
@JMC01

Aber wann war es denn dann deiner Meinung nach gut in Europa? 15 Jahre vorher war Krieg und in den 50ern war sicher auch nicht alles ideal. Als Schwuler wärst du noch im Knast gelandet, mein Vater hatte noch antisemitische Altnazis als Lehrer, die die Schüler schlugen und zumindest als Frau bei uns in Österreich brauchtest du für etliche Angelegenheiten die Zustimmung des Mannes. Also, wann war es denn gut?

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JMC01  15.08.2023, 10:04
@DrOnion95

Du kannst doch nicht versuchen, "gut in Europa" auf irgend eine Zeit pauschal runterzubrechen. Dann würde ich dir antworten, dass die 70er Jahre in der DDR die beste aller Zeiten war. Für MICH. Europa hat mich damals nicht interessiert und tut es auch jetzt nicht.

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DrOnion95 
Fragesteller
 15.08.2023, 10:16
@JMC01

Wieso soll man das nicht herunterbrechen können? Die Babyboomer haben keinen großen Krieg, steigenden Wohlstand, soziale und gesundheitliche Absicherung, keinen Hunger, keine Armut und zumindest lange Zeit keine Existenzängste erlebt. Und das gilt für mehrere Länder Europas und diese Frieden konnte ja auch nur durch eine Abkehr aller Westeuropäer von Krieg, Größenwahn und totalitären Ideologien stattfinden. Insofern sehe ich nicht, was gegen die Aussage spricht, dass das eine ,,großartige Zeit für Westeuropa" darstellte. Dass du das als ,,Ostdeutscher" (gehe ich jetzt einmal davon aus) nicht nachvollziehen kannst, ist vielleicht eine andere Sache, die auch biographische Ursachen haben kann. Du wurdest ja dann völlig anders sozialisiert als ich in Österreich, dass nie ein sozialistisches System hatte.

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JMC01  15.08.2023, 10:21
@DrOnion95

Du versuchst seit mehreren Kommentaren, deine idealistische Sichtweise zu verteidigen und dein textlicher Aufwand wird immer größer. Ich kann sehr wohl nachvollziehen, warum du Westeuropa in der Vergangenheit so verklärt siehst. Aber ich kenne auch die Schattenseiten dieser Epoche und habe die erwähnt. Für manche Menschen war selbst das Dritte Reich toll. Oder das Frankreich des 18. Jahrhunderts. Oder die Eroberung des amerikanischen Westens. Denk mal drüber nach.

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DrOnion95 
Fragesteller
 15.08.2023, 10:25
@JMC01

Ja aber du hast mir die Schattenseiten noch nicht erklärt. Ich würde sie gerne nachvollziehen. Deshalb hatte ich ja die Frage gestellt.

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