Radikalische Substitution?

1 Antwort

Moin,

bei einer typischen radikalischen Substitution versucht man, ansonsten eher reaktionsträge Stoffe wie beispielsweise Alkane in halogenierte Alkane umzuwandeln, mit denen man chemisch mehr anfangen kann.

Der (ideale) Verlauf ist immer gleich:

Schritt 1 - Die Radikalbildung
Chlor- und Brom-Minimoleküle neigen dazu, bei Bestrahlung mit UV-Licht homolytisch gespalten zu werden und so einzelne Chlor- bzw. Bromradikale zu bilden.
Radikale sind Teilchen mit ungepaarten Elektronen und darum sehr reaktiv. Sie greifen in der Regel alles in ihrer Nähe an, um den energetisch ungünstigen radikalischen Zustand zu beenden.

Br–Br --[UV-Licht]--> Br• + •Br
bzw.
Cl–Cl --[UV-Licht]--> Cl• + •Cl

Schritt 2 - Der Kettenstart (die Initiation)
Die gerade gebildeten Chlor- oder Bromradikale greifen nun zum Beispiel ein Alkan an. Dabei entreißen die Radikale dem Alkanmolekül ein Wasserstoffatom mitsamt dessen Elektron. Dadurch entsteht einerseits ein Halogenwasserstoff-Molekül, andererseits ein Alkylradikal.

Br• + H–CH2–R ---> H–Br + •CH2–R

Schritt 3 - Die Kettenreaktion (die Elongation)
Das Alkylradikal greift nun noch nicht gespaltene Brom-Minimoleküle (oder Chlor-Minimoleküle) an und entreißt diesen ein Brom-Atom (Chlor-Atom) mit dessen Elektron. Es entsteht ein Brom-Radikal (Chlor-Radikal) und ein einfach bromiertes (chlorierstes) Alkan.
Das entstehende Halogen-Radikal kann dann wieder ein Alkanmolekül angreifen und so die Kettenreaktion am Laufen halten.

R–CH2• + Br–Br ---> R–CH2–Br + •Br
Br• + H–CH2–R ---> H–Br + •CH2–R
usw.

Schritt 4 - Der Kettenabbruch (die Termination)
Zum Abbruch der Kettenreaktion gibt es zwei Möglichkeiten, nämlich a) die Radikalkombination (was der häufigste Grund ist) und b) die Disproportionierung (die viel seltener vorkommt).

Bei der a) Radikalkombination treffen zwei Radikale aufeinander und vereinigen sich. Danach gibt es den radikalischen Zustand nicht mehr und die Reaktion kommt zum Erliegen. Folgende Radikalkombinationen sind denkbar:

Br• + •Br ---> Br–Br

Br• + •CH2–R ---> Br–CH2–R

R–CH2• + •CH2–R ---> R–CH2–CH2–R

Einmal entstehen wieder Halogen-Minimoleküle (wie es sie ganz am Anfang gab; sie können natürlich durch UV-Licht wieder gespalten werden).
Dann entstehen eventuell auch halogenierte Alkane.
Oder es entstehen längere Alkanketten.

Komplizierter ist die b) Disproportionierung. Hier kommt es dazu, dass ein Radikal einen Wasserstoff bei einem Alkylradikal „klaut” und zwar so, dass dies in unmittelbarer Nachbarschaft zum radikalischen C-Atom passiert.
Dadurch entsteht ein Diradikal. Die zwei benachbarten Radikal-Kohlenstoffatome bilden dann eine C=C-Doppelbindung aus und beenden ihre radikalischen Zustände.

Br• + •CH2–CH2–R‘ ---> H–Br + •CH2–•CH–R‘
•CH2–•CH–R‘ ---> H2C=CH–R‘

Das ist der ideale Verlauf. Aber wegen der Aggressivität der Radikale, die alles angreifen, was in ihre Nähe kommt, entstehen nicht nur einfach halogenierte Alkane, sondern auch zweifach oder noch stärker halogenierte Alkane. Außerdem können auch längere Alkane entstehen, die mehr oder weniger stark halogeniert sind.

Du siehst, es entsteht bei einer radikalischen Substitution immer eine Produktpalette, von der die einzelnen Bestandteile anschließend mühsam abgetrennt werden müssen.
Man kann versuchen, den Reaktionsverlauf ein bisschen zu steuern, zum Beispiel indem man die Mengen an Halogen und Alkan geschickt wählt oder während des Versuchs ergänzt. Auch kann man die UV-Bestrahlung steuern, damit immer nur eine begrenzte Zahl von Halogen-Radikalen wirksam sind. Aber vollständig kontrollieren kann man radikalische Substitutionsreaktionen nicht.

LG von der Waterkant